Das Sekten-Drama in Waco hielt 51 Tage lang ein ganzes Land in Atem: In einem Gebäude verschanzte sich der religiöse Anführer David Koresh mit seinen Anhängern, den Branch Davidians. Die Behörden setzten sogar Panzer ein, um ihn zum Aufgeben zu bewegen. Am Ende starben mehr als 80 Menschen, darunter 21 Kinder, in einer Flammenhölle.
Die Razzia bei der Sekte Branch Davidians am 28. Februar 1993 in deren Hauptquartier Mount Carmel Center östlich von Waco im US-Bundesstaat Texas ist bis heute einer der umstrittensten Polizeieinsätze in den USA. An jenem Sonntag stürmen rund hundert Beamte der ATF, der amerikanischen Behörde für Tabak, Alkohol und Schusswaffen, den riesigen Gebäudekomplex auf dem rund 30 Hektar großen Grundstück. Sie haben einen Durchsuchungsbeschluss und wollen den Anführer der Sekte, David Koresh, dessen richtiger Name Vernon Howell ist, wegen illegalen Umbaus halbautomatischer Waffen in vollautomatische Waffen verhaften. Nach Darstellung der Behörden hat Koresh seit Oktober 1991 ein Arsenal an Waffen und Sprengstoff im Wert von fast 200.000 Dollar angelegt und sich auf eine militärähnliche Operation vorbereitet. “Wir gingen von 40 bis 50 Maschinengewehren und 100 Handgranaten aus”, erinnert sich ein ehemaliger Special Agent des ATF in einer Netflix-Doku. Auch gab es Gerüchte, dass er Kinder sexuell missbrauche. Das Problem: Kurz vor der Razzia erfährt Koresh von dem bevorstehenden Einsatz und somit ist der Überraschungseffekt futsch. Was daraufhin folgt ist das größte Feuergefecht innerhalb der USA seit dem Bürgerkrieg. “Dann brach die Hölle los”, erinnert sich ein ehemalige Sektenmitglied. Wie in einem Action-Film beginnt ein gewaltiger Kugelhagel, der rund 40 Minuten andauert. Außen die Bundespolizisten, drinnen die Sektenmitglieder. Deren Anführer wählt den Notruf und bittet darum, aufzuhören, da sich Frauen und Kinder in dem Gebäude befänden.
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David Koresh, damals 33, fixiert seine Anhänger auf sich mit einer Kombination aus bizarren Bibelinterpretationen und seiner charismatischen Persönlichkeit. Vor 1979 soll er laut einer Freundin eine “langhaariger, spaßversessener Gitarrentyp” gewesen sein, der gelegentlich kiffte und nie Ärger mit der Polizei hatte. Nach einem Nervenzusammenbruch soll er Halluzinationen bekommen haben und glaubt fortan, mit Gott zu sprechen. 1981 führt sein Weg zu Mount Carmel. Koresh hält sich für den wiedergekommenen Christus, der den Weltuntergang einläuten soll. Seine Lehre gründet sich auf die biblische Offenbarung, die vom jüngsten Gericht und ewigem Leben spricht. Die Anhänger halten seine Verkündigungen für ebenso bedeutsam, wie die Bibel. Eines Tages eskaliert ein Machtkampf zwischen ihm und dem Sohn der verstorbenen Anführerin der Branch Davidians. Es kommt zur Schießerei und Koresh und seine Anhänger werden wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Jury kann sich jedoch nicht entscheiden und so kommt es zu keinem Urteil.
David Koresh fixierte seine Anhänger auf sich, mit einer Kombination aus bizarren Bibelinterpretationen und seiner charismatischen Persönlichkeit
1987 übernimmt Koresh die Führung der Davidianer-Sekte. Später heiratet er die 14-jährige Tochter eines Sektenmitglieds und erklärt, Gott habe ihm gesagt, er solle sich mit den Frauen der Gruppe fortpflanzen und eine “Armee für Gott” aufbauen. Zunächst nimmt er nur ledige Mädchen und Frauen, später trennt er auch Paare und schwängert die Frauen, während der Rest der Männer enthaltsam leben muss. “Wir waren alle mit David verheiratet”, erzählt eine ehemalige Anhängerin. “Denn David war unser Christus, der uns Gottes Wahrheit gab.” Um die Existenz der Sekte zu sichern beginnt er einen Handel mit Schusswaffen auf regionalen Messen. Seine Anhänger lehrt Koresh, dass sie Gottes auserwähltes Volk sind und die Auseinandersetzung mit der Regierung in der Bibel vorhergesagt wäre. Auch den Kindern wird in der religiösen Gemeinschaft schon früh der Umgang mit Waffen beigebracht. Und so ist es nicht verwunderlich, dass alle am Tag der Razzia gewillt sind, ihre Festung bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.
Waco: Tote und Verletzt nach Razzia bei Davidianer-Sekte
Sechs Sektenmitglieder und vier ATF-Beamte kommen bei der Schießerei ums Leben, 16 Beamte werden verletzt. Auch David Koresh wird angeschossen. Später zeigt er in einem Video eine seiner blutenden und eitrigen Wunden an der Hüfte. Auch sein linkes Handgelenk ist verletzt. Doch ergeben will er sich auf keinen Fall. Auch medizinische Hilfe lehnt er – wie alle anderen Verwundeten – ab. Mit dem Tod der ATF-Beamten übernimmt von Gesetzes wegen da FBI die Angelegenheit. Das FBI errichtet 13 Kilometer von Flughafen entfernt ein Kommandoposten. Zeitgleich wird auch das Geiselrettungsteam mit Panzern angefordert. Ein Umstand, der in den folgenden Tagen noch für erhebliche Unruhe sorgen wird.
Eine Masse an Medienvertretern berichtete jeden Tag live vor Ort
Was dann folgt sind wochenlange zähe Verhandlungen zwischen dem FBI, dem Sektenführer und dessen Anhängern.In den folgenden 51 Tagen sind mehr als 700 Ordnungskräfte an den Bemühungen um die Beendigung der Pattsituation beteiligt. Offenbar ist man auf Seiten des FBI mit dem Umgang des selbsternannten Propheten überfordert. Während dieser zumeist einseitigen Gespräche droht Koresh dem FBI, erörtert die Ereignisse vom 28. Februar, predigt stundenlang, diskutiert seine mögliche Bestrafung und die Todesstrafe und erklärte seine “wundersame Begegnung” mit Gott im Jahr 1985.
David Koresh will seine Botschaft landesweit verbreiten – mit Hilfe der Presse
Während die Beamten versuchen, ihn und seine Gefolgsleute zum Aufgeben zu überreden, verlangt er nach der Presse. Die Schießerei hat das Interesse der Medien geweckt. Etliche Reporter tummeln sich seitdem am Ort des Geschehens und berichten live von den Verhandlungen. Fast täglich geben die verantwortlichen Einsatzkräfte Pressekonferenzen. Ein Umstand, der David Koresh offenbar gefällt. Man solle ein Statement von ihm abspielen. Die Welt solle wissen, dass er von Gott gesandt wurde, um seine Lehren zu verbreiten. “Für jedes Mal, wenn es abgespielt würde, würde er zwei Kinder herausgeben. Immer zwei, so wie bei Noahs Arche. Es hatte alles bei ihm einen religiösen Hintergrund”, erinnert sich der ehemalige FBI-Agent Jim Cavanaugh, einer der Verhandlungsführer. “Am Sonntag und Montag gab er uns zwölf Kinder. Am Dienstag nochmal sechs und zwei Frauen.”
David Koresh glaubte, er und seine Anhänger seien von Gott auserwählt, am Jüngsten Tag die Welt zu führen
Dann will Koresh, dass man eine 58-minütige Aufnahme von ihm und seiner Botschaft im Fernsehen auf einem christlichen Sender ausstrahlt. Anschließend würde er mit den restlichen Anhängern herauskommen. Doch es kommt anders. Als sich bereits alle Anhänger von ihm verabschiedet haben, beginnt er zu beten und erklärte den Ermittlern, Gott habe ihm befohlen, zu warten. Er solle auf ein Zeichen warten. Am 5. März schickte er ein weiteres Kind aus dem Gebäude. Es ist das letzte.Am 7. März erklärt Koresh, es werden keine Kinder mehr kommen, da die verbliebenen seine biologischen Kinder seien. Kurz darauf kommt es zum Streit zwischen Koresh und dem Verhandlungsteam. “Wir sind bereit für einen Krieg. Ich gebe euch die Chance euch zu retten, bevor ihr weggepustet werdet”, poltert er. Koresh erklärte, er habe etwas, was die Bradley-Panzer des Geiselrettungsteams zehn Meter hoch schleudern könnte. Die Beamten ordern daraufhin Panzer des Typs Abrams aus der nahe gelegenen Militärbase Fort Hood. Den größten Panzer, den das US-Militär zu bieten hat. Koresh reagiert in einem Video darauf: “Wie sie mit ihren Panzern anrücken. Als Amerikaner bin ich ein Mensch, der sich vor eine Panzer stellt. Ihr könnt mich überfahren, aber ich werde in die Ketten beißen. Niemand wird mir oder meiner Familie weh tun. Hier herrscht amerikanisches Recht.”
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Eine Mutter, die sich ergibt, um zu ihrem Kind zu kommen, wird kurz darauf in Handschellen in ein Gefängnis transportiert. Ein fatales Signal. Fortan vermuteten die Anhänger, sie würde ein ähnliches Schicksal ereilen, sobald sie herauskommen. Am 21. März verlassen vier Frauen und ein Mann das Gebäude. Eigentlich sollten es an jenem Tag mehr sein, doch die Panzer des Geiselrettungsteam überrollen plötzlich eigenmächtig und ohne Rücksprache mit dem FBI Koreshs antiken Ford Ranchero. Vermutlich eine Überreaktion, die den Frust der sonst für blitzschnelle und brachiale Einsätze zuständige Einheit zum Ausdruck bringt. Schließlich ist ein Geiselrettungsteam nicht gewohnt, tagelang untätig herumzusitzen und zu warten. Zudem kostet jeder Einsatztag das FBI mehr als eine Million Dollar. Doch das Plattmachen des Wagens macht die Sektenmitglieder nur noch wütender: “Wir kamen zu dem Schluss, dass wir diesen Lügnern nicht trauen konnten. Wir glaubten, dass sie uns etwas versprachen, um zu bekommen, was sie wollten”, so ein ehemaliger Anhänger. “Aber sie hielten ihre Versprechen nicht.” Die Sektenmitglieder sind fortan umso entschlossener, das Gelände nicht zu verlassen. Eine Anhängerin erklärt später: “Wären sie eingedrungen, hätten wir alle Selbstmord begangen.”
Behörden quälen Sektenmitglieder in Waco mit Schlafzentzug
Schließlich drehen die Behörden dem Gelände den Strom ab. Um den psychologischen Druck zu erhöhen, quälen sie die Davidianer mit Schlafentzug. Über Lautsprecher spielen sie in einer ohrenbetäubenden Lautstärke diverse Musikstücke oder Geräusche ab – wie etwa das eines Kaninchens, das geschlachtet wird oder das Besetztzeichen eines Telefons.
Die mehrwöchige Belagerung zieht auch Schaulustige an, vor allem Extremisten und Waffenrechtler. Der später als Oklahoma-City-Bomber bekannte Timothy McVeigh, verkauft vor Ort auf der Motorhaube seines Autos regierungsfeindliche Aufkleber.
Auch Panzer wurden bei der Belagerung eingesetzt
Am 19. April 1993 lässt das FBI Koresh bei einem Anruf wissen, dass sie Tränengas einsetzen werden, ohne jedoch dabei das Gebäude zu stürmen. Koresh fordert daraufhin seine Anhänger auf, die Gasmasken aufzusetzen. Gegen 6 Uhr morgens beginnen Panzer mit ihren Aufbauten Löcher in das Gebäude zu schlagen, damit sie die CS-Geschosse platzieren können. “Ich setzte mir eine Gasmaske auf. Schon bald bekam ich keine Luft mehr. Das Gas drang in die Haut ein und es brannte wie Feuer. Es fühlte sich an wie Batteriesäure oder so etwas”, beschreibt ein ehemaliges Sektenmitglied den Einsatz.Für die Kinder gibt es keine Gasmasken. Die Mütter wickeln sie in nasse Handtücher und Decken. Koresh weist sie an, im Bunker des Gebäudes Schutz zu suchen.
“Sobald wir das Tränengas einsetzten, schossen sie auf uns. Es sind vielleicht mehr als 1000 Kugeln auf uns abgefeuert worden”, erzählt ein ehemaliger FBI-Agent einem TV-Sender. Doch er beteuert: “Wir haben nicht einmal zurückgefeuert.” Irgendwann reißt das Geiselrettungsteam mit ihren Panzern das Gebäude ein, damit sich das Gas besser im Gebäude verteilt. Doch keiner der Sektenanhänger rennt ins Freie.
In den Überresten des Gebäudes wurden später 1,6 Millionen Schuss Munition gefunden
© Charles Bennett
Um kurz nach 12 Uhr – der Gaseinsatz dauert nun schon rund sechs Stunden – schießen plötzlich Flammen aus dem Anwesen. Luftaufnahmen zeigten, dass das Feuer an drei verschiedenen Stellen herauslodert. Durch den starken Wind breiten sich die Flammen rasend schnell auf das gesamte Gebäude aus. Die Einsatzkräfte warten, bis die Sektenanhänger vor dem Feuer nach draußen flüchten. Byron Sage, Hauptunterhändler des FBI, versucht Koresh und seine Leute zum Aufgeben zu bewegen. “Ich habe versucht über die Lautsprecher mit David zu reden”, erinnert er sich. “Ich rief: ‘David, lassen Sie es nicht so enden. Sind Sie nicht der Retter? Bringen Sie sie raus.'” Doch es kommt niemand. Am Ende sind es nur neun Menschen, die sich ins Freie retten. Mehr als 70 Sektenmitglieder folgen ihrem Anführer David Koresh in den Tod. In den Überresten des Gebäudes werden später 1,6 Millionen Schuss Munition gefunden. Ein Grund, warum laut Behördenaussagen auch die Feuerwehr zunächst zurückgehalten wurde – wegen der Explosionsgefahr.Insgesamt kommen bei dem Einsatz 82 Sektenmitglieder ums Leben, darunter zwei schwangere Frauen und 28 Kinder.
Kritik am Vorgehen der Behörden
Nach dem schrecklichen Ende der Belagerung hagelt es Kritik an dem Vorgehen der Behörden. Vor allem Menschenrechtsgruppen und rechtsgerichtete Milizen kritisieren die Regierung. Besonders die Frage, wer das Feuer gelegt hat, beschäftigt die Gemüter. 1999 zeigt eine Umfrage in des Time Magazines, dass 61 Prozent der Amerikaner glauben, die Einsatzkräfte hätten das Feuer gelegt und es dann vertuscht.
Einer Theorie zufolge entfachten die CS-Gasgranaten die Flammen. Das FBI hingegen behauptet, es wurden nur nicht brennende Materialien eingesetzt. Später kommt jedoch heraus, dass einige der Granaten das Gas mit Hilfe von Pyrotechnik verteilten. Laut FBI wurden diese allerdings bereits Stunden vor Ausbruch des Feuers verschossen. Eine andere Theorie besagt, dass das Feuer durch umfallende Kerosinlampen entfacht wurde. Die Behörden behaupten hingegen, die Davidianer haben das Feuer selbst gelegt. Trotz etlicher Anhörungen im US-Kongress wird niemand zur Rechenschaft gezogen.
Als zwei Wochen später die Leiche von David Koresh identifiziert wird, hat er eine Schusswunde in der Stirn. Laut abschließendem Bericht des stellvertretenden Generalstaatsanwalts über die Ereignisse in Waco starben mindestens 17 der insgesamt 75 Menschen, die im Feuer ums Leben kamen, an Schussverletzungen, darunter mehrere Kinder. Einige der Erwachsenen wurden von Sektenmitgliedern erschossen – vermutlich, um sie von ihrem Leid zu erlösen.
Mehr als 51 Tage lang verschanzten sich die Davidianer in ihrem Anwesen Mount Carmel bei Waco in Texas
Ärztliche Gutachten belegen später, dass die Kinder der Sekte bei geringsten Anlässen, zum Beispiel wenn sie Milch verschütteten, mit hölzernen Paddeln geschlagen wurden. Bei Fehlbetragen, so heißt es, gab es einen Tag nichts zu essen. Die Eltern mussten von den Kindern “Hunde” genannt werden, nur Koresh habe die Bezeichnung “Vater” zugestanden. Elfjährigen Mädchen sei ein Davidstern aus Plastik in die Hand gedrückt worden, der demonstrieren sollte, dass sie “erleuchtet” und zu sexuellen Handlungen mit dem Sektenführer bereit seien. Die Jungen auf dem Anwesen seien regelmäßig frühmorgens geweckt und militärisch gedrillt worden. Koresh habe das gesamte Leben des Camps kontrolliert.
Heute steht dort, wo das Feuer wütete, eine kleine, weiße Kirche, die von Freiwilligen erbaut wurde. Davor wurden zum Gedenken 80 Bäumchen gepflanzt. Besucher können auf Mount Carmel noch immer die nackten Betonfundamente der verbrannten Holzbauten besichtigen. Man sieht Trümmer, Müll, den Swimmingpool der Sekte, einen ausgebrannten Bus. An der Einfahrt zu Mount Carmel wird in einem kleinen Museum über die Sekte und den Angriff informiert.
Auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Feuertod der Davidianer explodiert 450 Kilometer weiter nördlich in Oklahoma City ein Bundesgebäude. 168 Menschen kommen ums Leben. Der Bombenleger, der inzwischen hingerichtete Timothy McVeigh, wollte mit dem Attentat offenbar die Toten von Waco rächen. Der 19. April – er bleibt in Waco und in Oklahoma City ein düsteres Datum.
Sehen Sie im Video: In Benin nutzen die Behörden die spirituellen Wurzeln des Voodoo-Glaubens, um Touristen anzulocken und die Wirtschaft anzukurbeln. Sehen Sie Eindrücke des Voodoo-Festivals.
Quellen: history.de, Netflix-Doku, Bericht der Generalstaatsanwaltschaft, Doku auf Youtube,