Home » Gutachten sät Zweifel: Verbände trommeln zur nächsten Runde im Streit um die Grundsteuer

Gutachten sät Zweifel: Verbände trommeln zur nächsten Runde im Streit um die Grundsteuer

Von

Ein neues Rechtsgutachten will nachweisen, dass die neue Grundsteuer in mehreren Bundesländern verfassungswidrig ist. Die auftraggebenden Verbände raten Eigentümern zum Einspruch – doch dahinter steckt Kalkül.

Die beiden Verbände Haus & Grund und Bund der Steuerzahler (BdSt) eröffnen die nächste Runde im Streit um die Grundsteuer: Sie legen ein Gutachten des bekannten Juristen Gregor Kirchhof vor, welches das Steuermodell vieler Bundesländer für rechtswidrig hält. Das Papier soll als argumentative Grundlage für Musterklagen dienen, die die beiden Verbände in mehreren Bundesländern vor Gericht bringen wollen.

Das sogenannte Bundesmodell, um das es in dem juristischen Gutachten geht, wurde vom heutigen Bundeskanzler und damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ersonnen. Es wurde schon früh von Steuerexpertinnen und -experten als besonders kompliziert kritisiert. Das Bundesmodell gilt derzeit in elf Bundesländern, darunter Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie leicht abgeändert im Saarland und in Sachsen. In den restlichen Bundesländern gelten jeweils eigene Grundsteuergesetze.

Das Gutachten nennt insgesamt zehn Punkte, die das Grundsteuergesetz angeblich rechtswidrig machen sollen. Die Argumente Kirchofs, der an der Universität Augsburg den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht innehat, beziehen sich dabei auf mehrere Parameter, die bei der Berechnung der neuen Grundsteuer ausschlaggebend sind:

In der Kritik: Bodenrichtwert, Gebäudealter, Mehrbelastung

Den Bodenrichtwert hält Kirchhof für problematisch, weil die Werte “systematische Bewertungsmängel” aufwiesen und “zuweilen kaum vergleichbar” seien. Der Wert basiert auf den Grundstückskaufpreisen einer Gemeinde und der statistischen Nettokaltmiete. Das Gutachten sieht hier die Gefahr, dass durch die strikte Anwendung des Bodenrichtwerts der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt wird.

Kirchhof argumentiert zudem, dass das Gesetz die Grundsteuer unnötig kompliziert mache, statt sie zu vereinfachen. Das sehen auch andere Expertinnen und Experten so. Beim Bundesmodell sind eine ganze Reihe Parameter relevant, darunter die Wohnfläche, das Baujahr, Bewirtschaftungskosten, Liegenschaftszinssatz und Restnutzungsdauer. Vor allem die Rolle des Gebäudealters widerspreche dem Gleichheitssatz.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die möglichen Mehrkosten, die unverhältnismäßig seien. “Zwar steht die endgültige Grundsteuerlast erst fest, wenn die Gemeinden über die Hebesätze entschieden haben”, heißt es in dem Gutachten. “Doch werden die strukturell zu hohen Bewertungen von Immobilien aufgrund fehlerhafter Bodenrichtwerte oder pauschaler Nettokaltmieten angesichts des Alters von Immobilien, von Restnutzungsdauern oder von nicht berücksichtigten wertmindernden Faktoren verfassungswidrige Überbelastungen bewirken.”

STERN PAID C+ Grundsteuer FAQ 11.30

Als gute Lösung wertet Kirchhof die Grundsteuergesetze in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Hamburg. “Die Länder geben Beispiele für moderne Steuergesetze, die wenige Parameter nutzen und bald vollständig digital anwendbar sind”, schreibt er. Seine Auftraggeber Haus & Grund sowie der BdSt leiten daraus die Forderung ab, dass die Länder mit dem Bundesmodell sich für “ein Grundsteuersystem der Länder Bayern, Hamburg, Hessen oder Niedersachsen entscheiden” sollten. “Das zu komplizierte und intransparente Bundesgesetz würde durch klare und einfach anzuwendende Landesgesetze ersetzt.” Dass eines der betroffenen Länder das jetzt noch macht und das Modell wechselt, ist aber äußerst unwahrscheinlich.

Das Ergebnis des Gutachtens ist wenig überraschend. Kirchhof ist einer der Steuerrechtler, die bereits in vorherigen Gutachten und vor dem Finanzausschuss des Bundestages Stellung zur Grundsteuer genommen haben. Schon 2019 äußerte er verfassungsrechtliche Bedenken. Für den Landesverband Baden-Württemberg des BdSt hat er ebenfalls ein Gutachten verfasst, in dem er das dortige Bodenwertmodell als rechtswidrig bewertet. Andere Steuerexperten halten dieses hingegen für gut und praktikabel, weil es als besonders einfach und nachvollziehbar gilt. Zwei Verfahren unter anderem von BdSt und Haus & Grund laufen derzeit in Baden-Württemberg.

Einspruch nur in Ausnahmen sinnvoll

Seit Wochen fordern die Verbände Haus & Grund sowie der Steuerzahlerbund Eigentümerinnen und Eigentümer dazu auf, Einspruch gegen den Grundsteuerwertbescheid ihres Finanzamts einzulegen und so eine “Klagewelle” zu provozieren.

Ein genereller Einspruch gegen den Grundsteuerwertbescheid ist für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler jedoch keinesfalls sinnvoll, sondern hilft eher den Lobbyverbänden als argumentative Unterfütterung und Rechtfertigung ihrer Klagen. Trotzdem sollten Steuerpflichtige den Bescheid unbedingt zeitnah und aufmerksam prüfen. Enthält er tatsächlich Fehler, ist die Frist für einen begründeten Einspruch eng.

CAPITAL Bitcoin Aufwind 16.59

Eigentümer sollten dafür die Daten des Bescheids genau mit den Daten aus der Steuererklärung vergleichen. Nur so kann man sichergehen, dass alle Werte stimmen oder falsche Angaben entdeckt werden. Andernfalls wird später falsch besteuert, was vor allem Mieterinnen und Mieter hart treffen kann, denn Vermieter können die Grundsteuer voll auf sie umlegen.

So prüfen Eigentümer den Bescheid

Gründe für fehlerhafte Bescheide können etwa ein falscher Bodenrichtwert oder falsche Quadratmeterzahlen zur Wohn- und Grundstücksfläche sein. Diese häufigen Fehler sollten Grundstückseigentümer unbedingt vermeiden. Entdecken Steuerpflichtige Unstimmigkeiten, müssen sie binnen vier Wochen Einspruch beim Finanzamt einlegen und diesen begründen.

Die reine Feststellung, dass der Grundsteuerwert gestiegen ist, reicht nicht als Grund für einen Einspruch. In diesem Fall wird ihn das zuständige Finanzamt höchstwahrscheinlich ablehnen. Weil die Immobilien- und Grundstückspreise in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten extrem gestiegen sind, erhöhen sich folgerichtig auch die Werte der Immobilien und Grundstücke. Auch ein Einspruch aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken hat kaum Aussicht auf Erfolg. Gegen die Ablehnung müssten Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dann vor Gericht klagen.

Übrigens: Sollte in einigen Jahren ein Gericht doch ein Grundsteuergesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen kippen, würde das Urteil für alle Bescheide gelten und nicht nur für diejenigen Eigentümer, die Einspruch beim Finanzamt eingelegt haben.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist zuerst bei CAPITAL erschienen.

VERWANDTE BEITRÄGE