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Interview: Reiseanbieter fordert Quoten für Touristen – was steckt dahinter?

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Kann es für Reiseveranstalter zu viele Touristen geben?Ja, findet der Chef von Evaneos und sagt im stern-Interview, dass nachhaltiger reisen trotzdem nicht teuer sein muss.

Herr de Chorivit, was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Barcelona, Venedig oder Amsterdam denken?
Zu viele Touristen, die zur gleichen Zeit am selben Ort sind. Overtourism. Das ist ein großes Problem in der Branche.

Kann es denn für Reiseveranstalter zu viele Touristen geben?
95 Prozent aller Reisenden besuchen nur 5 Prozent aller Orte. Ob nun Paris, Dubrovnik oder eben Barcelona: Überall, wo zu viele Menschen unterwegs sind, verschlechtert sich die Lebensqualität für die Einheimischen und damit auch das touristische Erlebnis. 

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Das Phänomen ist auch für viele Orte ein Problem. Ihr Unternehmen bietet deswegen manche Sommerreisen nicht mehr an. Im Ernst?
Wir haben die Entscheidung getroffen, den Verkauf von Reisen nach Mykonos und Santorini im Juli und August einzustellen. Das war eine mutige Entscheidung, die von unseren Partnern in Griechenland sehr unterstützt wird. 

Damit beschneiden Sie aber Ihr eigenes Geschäft …
Ich denke, dass es eine gute Lösung ist, denn letztlich nutzt es den Reisenden, die nicht in überfüllten Orten urlauben müssen. Aber natürlich verzichten wir nicht nur, sondern bieten Alternativen auf den Kykladen an.

Merken Sie den Schritt in Ihren Umsätzen?
Ja, klar. Mykonos und Santorini machen mehr als 30 Prozent unseres Griechenland-Geschäfts im Sommer aus. Aber wir sind davon überzeugt, dass es auf lange Sicht von Vorteil sein wird, weil wir mit unseren lokalen Partnern neue Wege gehen, innovative Angebote und alternative Inselziele entwickeln können. Langfristig, so unser Plan, werden wir mehr Einnahmen generieren.

Laurent de Chorivit
Laurent de Chorivit ist Co-CEO beim französischen Reiseanbieter Evaneos. Das Unternehmen bietet vor allem Individualreisen an und propagiert nachhaltigen Tourismus
© Evaneos

Was kann ich tun, wenn ich trotzdem einmal, sagen wir, Rom sehen möchte, was dieses Jahr noch voller werden dürfte, als es ohnehin schon ist?
Sie buchen Ihre Reise bei uns! (lacht) Es gibt eine Reihe von lokalen Veranstaltern, die die genauen Orte und Zeitpunkte kennen, um Menschenansammlungen zu meiden. Und ich bin mir sicher, sie werden Ihnen gerne bei der Suche helfen.

So werden aber die letzten Rückzugsorte und -zeiten auch noch vollgestopft.
Deshalb treten wir für Quoten ein. Wenn die natürliche Regulierung nicht oder nicht mehr möglich ist, sollte die maximale Anzahl von Touristen zu einem bestimmten Zeitraum gedeckelt werden.

Eine Art Planwirtschaft für Urlauber?
Ich finde, es ist durchaus möglich, zu viele Touristen auf einmal zu vermeiden. Die Regulierung kann langfristig erfolgen oder auch innerhalb eines Tages: weniger Leute am Tag, dafür mehr am Morgen. 

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Sie bieten auch keine Flüge mehr für Wochenendtrips an?
Im Hinblick auf den CO2-Fußabdruck ist es keine gute Idee, nur für ein paar Tage durch Europa zu fliegen. Städtereisen per Flugzeug, die kürzer als fünf Tage sind, haben wir aus dem Angebot genommen. Und wir schauen gerade, ob es noch andere Bereiche gibt, für die wir Alternativen schaffen müssen.

Innerhalb von Europa gibt es Alternativen zum Flugzeug. Aber wenn ich einmal den Grand Canyon sehen möchte oder die Chinesische Mauer – da wird es schwieriger.
Je weiter weg Sie fliegen, desto länger sollten Sie dort bleiben, um die Kohlenstoffintensität Ihrer Reise zu verringern. Der Flug macht ungefähr 70 Prozent ihres gesamten CO2-Ausstoßes aus, 25 Prozent entstehen am Reiseziel, und die können Sie beeinflussen. Etwa durch die Lage des Hotels oder durch den Vor-Ort-Transport. 

Unterkunftsvermittler wie Airbnb verknappen in vielen Städten das Wohnungsangebot. Was halten Sie davon, dass etwa Paris oder New York deren Tätigkeiten deshalb einschränken?
Jede Entscheidung, die die Zufriedenheit der Reisenden und die der lokalen Bevölkerung erhöht, ist eine gute Entscheidung. 

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Aber hängt die Zufriedenheit von vielen Touristen nicht auch daran, günstig und unkompliziert an Unterkünfte und Instagram-Bilder zu kommen?
Leider verstärken einige Reiseveranstalter den Overtourism mit ihren Social-Media-Motiven. Wir versuchen mit Instagram und Co. neue, andere Gebiete zu präsentieren. Oder beliebte Ecken zu anderen Zeiten: Warum nicht mal im Winter nach Mykonos fahren?

Was antworten Sie Ihren lokalen Partnern und Agenturen, wenn die sagen: Ich bin erst zufrieden, wenn ihr mir mehr Besucher schickt?
Die Menschen am Zielort sind ja nicht blind. Sie wissen, dass sie sich mit zu vielen Touristen selbst schädigen. Schauen Sie sich einige afrikanische Länder an. Die Serengeti in Tansania kann keine halbe Million Besucher vertragen, deswegen sind die Kontingente dort beschränkt. Es geht darum, die richtige Balance zwischen Einnahmen, dem lokalen Ökosystem, der Wirtschaft und der Infrastruktur zu finden. 

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Wie viel teurer ist nachhaltigeres Reisen als das Pauschalangebot aus dem Supermarkt?
Gut, anders zu reisen ist nicht unbedingt besser für Ihre persönlichen Finanzen. Aber wenn Sie die Möglichkeit haben, außerhalb der Spitzenzeiten zu fahren, offen sind für neue Fotomotive, die noch nicht jeder hat, oder sich generell für nicht so überlaufene Orte interessieren, dann muss es auch nicht allzu teuer werden.

Haben Sie zum Schluss noch einen Reisetipp? Sagen wir im März für ein, zwei Wochen, nicht allzu weit entfernt?
Ich bin kein Spezialist für alle Reiseziele, aber wie wäre es mit dem Norden Spaniens? Nicht so viele Touristen, tolle Orte, große Geschichte. Auch wenn Sie Kultur mögen. Und Strände.

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