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Kognitive Dissonanz: Schokolade statt Sport: Warum wir manchmal gegen unsere Ideale handeln

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Wir wollen abnehmen, essen dann aber doch die ganze Tafel Schokolade. Wenn wir gegen unsere eigenen Vorsätze handeln, entsteht ein ungutes Gefühl: kognitive Dissonanz. 

Die Klimakrise ist omnipräsent und trotzdem hängen wir an unserem Auto und kaufen Plastikprodukte. Wir wissen um die Energiekrise und drehen doch manchmal die Heizung auf, obwohl es nicht unbedingt sein müsste. Jedes Kind lernt, dass Rauchen ungesund ist – und dennoch hängen viele Erwachsene am Glimmstängel. Wir wissen, wie gesunde Ernährung funktioniert und dass Sport uns fit und gesund hält, finden uns abends dann aber doch Chips essend und auf dem Sofa liegend wieder.

Es ist nahezu menschlich, sich ab und an gegen die eigenen Ideale zu verhalten. Oft ist das allerdings mit einem negativen Bauchgefühl verbunden. Wenn die Tüte Chips leer ist, dann setzt nicht selten das schlechte Gewissen ein. Wenn wir lesen, wo unsere Kleidung herkommt, dann tragen wir sie manchmal nur noch mit einem lachenden – und einem weinenden Auge. Dieses zwiespältige Gefühl nennt man auch kognitive Dissonanz.

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Kognitive Dissonanz: Wenn die Welt widersprüchlich ist

Der Begriff kommt aus der Sozialpsychologie und beschreibt einen unangenehmen Gefühlszustand, der durch sich widersprechende Wahrnehmungen ausgelöst wird. Konkret können das nicht miteinander vereinbare Gefühle, Gedanken, Absichten oder Bedürfnisse sein. Wenn wir zum Beispiel abnehmen und gleichzeitig alles essen wollen, was wir möchten, dann entsteht kognitive Dissonanz. 

Das Ganze gibt es aber auch in einer größeren Dimension. Manche Menschen eifern ihr Leben lang ihrem Ideal-Ich hinterher und kommen dadurch immer mehr mit ihrem Real-Ich ins Straucheln. Das Ideal-Ich ist die Person, die wir gerne wären. Die perfekte, optimierte Version unserer Persönlichkeit, die wir vermutlich nie ganz erreichen werden. Trotzdem versuchen wir oft genau das – und scheitern daran kläglich.

Von Lebenslügen und Idealvorstellungen

Aber das Ganze geht auch andersrum: Es gibt Menschen, die sich tatsächlich ein Leben aufbauen, das ihrem Idealbild entspricht. So versuchen wir uns zum Beispiel manchmal unbewusst innerhalb einer Beziehung in die klassische Rollenverteilung zu quetschen und spielen die vorbildliche Ehefrau, die essen kocht oder den Mustermann, der das Geld nach Hause bringt – obwohl eigentlich ein anderer Lebensstil unserem Naturell entsprechen würde. Wir bauen uns also eine Art Lebenslüge auf.

Das Problem mit solchen Lebenslügen ist, dass sie irgendwann zu negativen Gefühlen führen – kognitive Dissonanz. Und in entsprechend ausgeprägten Fällen kann das Ganze sogar in einer Depression oder anderen psychischen Symptomen münden. Denn unsere echten Bedürfnisse sind nicht weg, nur weil wir sie versuchen, unserem Ideal-Ich unterzuordnen.

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Wie kann es aber dann dazu kommen, dass wir gegen unsere Werte leben? Der Schlüssel liegt oft in der Verdrängung. Es gibt gleich mehrere Coping-Strategien, die wir Menschen anwenden, um die Widersprüche zwischen Handeln und Fühlen auszumerzen und eine Rechtfertigung zu finden. In der Psychologie nennt man das Ganze Dissonanzreduktion.

Um das unangenehme Gefühl zu vermeiden, bewegen wir uns zum Beispiel gerne in Filterblasen. Wir suchen also vor allem Informationen und Meinungen, die unsere eigene Sichtweise oder die aktuelle Lebensart bestätigen und setzen uns bewusst nicht mit Standpunkten auseinander, die unserem Handeln widersprechen könnten. Wenn wir zum Beispiel trotz Klimakrise Inlandsflüge machen wollen, dann konsumieren wir aktiv Informationen, die uns in genau dem Verhalten bestätigen.

Wie wir uns die Welt zurechtbiegen

Wenn wir eine falsche Entscheidung getroffen oder einen irrsinnigen Weg im Leben eingeschlagen haben, dann suchen wir außerdem manchmal die Schuld dafür bei einer anderen Person oder schieben es auf die Umstände. Auch das ist ein beliebtes Dissonanzreduktionsverhalten.

In jedem dieser Fälle blenden wir allerdings auch einen Teil der Realität aus. Das mag im ersten Moment dazu beitragen, dass wir uns besser fühlen – denn das Gefühl der kognitiven Dissonanz wird abgestellt. Aber langfristig helfen uns diese Strategien nicht, mit den Widersprüchlichkeiten umzugehen, die das Leben nun einmal mit sich bringt. Das Problem: Genau diese Prozesse spielen sich meistens innerhalb von wenigen Sekunden in unserem Unterbewusstsein ab. Es ist deshalb nicht so einfach, die kognitive Dissonanz auf gesunde Art und Weise zu überwinden. Unmöglich ist es aber auch nicht.

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Wichtig dafür ist erstmal, zu erkennen, bei welcher kognitiven Dissonanz überhaupt Handlungsbedarf besteht. Denn in einem gewissen Maße sind wir ohnehin mit Widersprüchen konfrontiert. Niemand kann immer frei nach seinen Idealen und Bedürfnissen handeln, denn es gibt meistens auch noch andere Menschen, die mit eigenen Idealen und Bedürfnissen in Prozesse verwickelt sind. Es geht am Ende also oft um Kompromisse.

Handlungsbedarf besteht dann, wenn die kognitive Dissonanz zum Lebenskonzept wird und man sich entweder auf der Jagd nach dem Ideal-Ich verliert oder ständig selbst sabotiert. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn man sich gegenüber Menschen, die man mag, abweisend verhält oder ein Leben führt, das vor allem andere glücklich macht, einen selbst aber mit Leere erfüllt.

Selbstsabotage erkennen und überwinden

Der Ausweg besteht hier oft in einer Verhaltensveränderung. Die Basis dafür ist allerdings zunächst die Erkenntnis, dass etwas im eigenen Leben falsch läuft oder man sich eigentlich selbst im Weg steht. Selbstsabotage entsteht meistens aus einer Angst vor dem Guten heraus. Klingt erstmal kurios, ist aber weit verbreitet. Vor allem Menschen, die in ihrem Leben häufig enttäuscht wurden, reagieren auf Hoffnung mit Selbstsabotage und verhalten sich häufig genau entgegengesetzt ihrer eigentlichen Bedürfnisse.

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Wer erkennt, dass er selbst sein größter Feind ist, der ist bereits einen großen Schritt weiter. Und dann gilt es, sich selbst kritisch zu hinterfragen: Warum erlaube ich mir mein eigenes Glück nicht? Was möchte ich für ein Leben führen und warum tue ich, was ich tue? Das sind nur einige Beispiele für Fragen, die einem bei der Reflektion der eigenen kognitiven Dissonanz helfen können. Denn nur wer weiß, was er wirklich will, der weiß auch, in welche Richtung er gehen muss, um mit sich selbst mehr im Reinen zu sein. 

Quelle: Theorie der Kognitive Dissonanz, Lexikon Kognitive Dissonanz

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