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Analyse: Giftgas in Rebellenhänden? Warum Israel weiter auf Assad setzt

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In Syrien wollen Milizen den Machthaber stürzen und Israel steht vor der Frage des geringeren Übels: der bekannte Feind Assad oder Islamisten mit sonderbaren Liebesbekundungen?

In Israel kursiert gerade ein Witz über die Kämpfe islamistischer Milizen in Syrien gegen das dortige Regime: “Wir wünschen beiden Seiten viel Glück”. Denn die Gefechte im arabischen Nachbarland toben zwischen zwei Parteien, die beide eher nicht für ihre Freundschaft zu Israel bekannt sind.

Auf der einen Seite der diktatorische Machthaber Baschar al-Assad. Verbündeter Russlands und des Irans, Israels Erzfeind.

Auf der anderen Seite islamistische Gruppen, die sich zwar ihrer Opposition gegen das Assad-Regime einig sind, aber zum Teil unterschiedliche Ziele verfolgen und unberechenbar sind. 

Was also ist das geringere Übel? Der altbekannte Feind – Assad? Oder islamistische Milizen, mit denen man zwar einen gemeinsamen Feind teilt, deren Absichten bezüglich Israel aber unklar sind? 

PAID Aleppo Syrien Rebellen Fabian.  14.00

Syrien und Israel stehen seit mehr als einem halben Jahrhundert in Konflikt, Israel hat einen wesentlichen Teil des Grenzgebietes, die Golanhöhen, schon vor Jahrzehnten annektiert. Beschuss durch Syrien bezeichnen Experten jedoch oft nur als Routineangriffe, die selten Schaden anrichten und meist in unbewohntem Gebiet niedergehen. Israel wiederum beschießt besonders in den vergangenen Tagen Ziele in Syrien, die mit dem Iran in Zusammenhang stehen, mit dessen Nachschubrouten für die Hisbollah, etwa Waffenlager. Auch iranische Funktionäre wurden schon gezielt getötet. 

Doch anders als andere Verbündete des Irans verzichtet das Assad-Regime bisher darauf, eine eigene Kriegsfront gegen Israel zu eröffnen. Seit dem brutalen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 bleibt es von syrischer Seite aus vor allem bei sporadischen Angriffen. Assad, das ist eben: ein Feind. Aber einer, den Israel einzuschätzen weiß.

Irans Einfluss auf Syrien wächst

Jedoch ist der Einfluss des Irans in Syrien seit dem Bürgerkriegsbeginn 2011 immer weiter gewachsen, das Land wird abhängiger von dessen Importen, Geldern und der militärischen Unterstützung. Der Iran nutzt dies gezielt für seine Anti-Israel-Strategie: Das Mullah-Regime hat in einigen Teilen Syriens eine starke Militärpräsenz aufgebaut. Und allein geografisch ist Syrien für den Iran und seine verbündeten Milizen wichtig: Über syrisches Territorium führt der Weg in den Libanon. Und dort sitzt die Hisbollah, deren Waffenarsenale über diese Route aufgefüllt werden. 

Die Hisbollah hatte Israel seit dem 7. Oktober heftig beschossen, Israels Armee hatte zurückgeschlagen, zwei Monate lang herrschte offener Krieg. Die kürzlich verhandelte Waffenruhe droht nun wieder zu bröckeln. Die Hisbollah feuerte auf israelische Positionen im Gebiet der Golanhöhen und sprach von einer “Warnung” an Israel, dessen Armee ebenfalls wieder Angriffe auf den Libanon flog.

Nordisrael Hisbollah Israel.  14-00

Islamisten in Syrien wohl auch durch Israel erfolgreich

Das sorgsam austarierte Gleichgewicht des Schreckens droht jetzt zu kippen. In einer rasanten Attacke von nur 72 Stunden haben die islamistischen Milizen Syriens zweitgrößte Stadt Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht. Die Hauptgruppe heißt Hayat Tahrir asch-Sham (HTS). Die Rebellen kämpfen seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 gegen Assad. Der Machthaber ließ während des Krieges Proteste gegen die Regierung brutal niederschlagen. Eine halbe Million Menschen wurde getötet, Millionen weitere wurden vertrieben. Zuletzt schien der Konflikt weitgehend eingefroren.

Den Erfolg ihres Blitzkrieges haben die dschihadistischen Gruppen wohl auch Israel zu verdanken. “Israel hat die Kräfte der Hisbollah, die Assad sonst den Rücken gestärkt hätte, massiv geschwächt. Assads Gegner haben die Gelegenheit genutzt”, sagt Nitzan Nuriel, israelischer Brigadegeneral und ehemaliger Direktor des Büros zur Terrorismusbekämpfung des israelischen Nationalen Sicherheitsrates. 

Syrischer Dschihadist: “Wir lieben Israel und waren nie seine Feinde”

Am Sonntag sprach ein syrischer Rebellen-Kommandeur sogar im israelischen Fernsehsender Channel 12 offen aus, warum man jetzt losschlug: “Wir haben uns die Waffenstillstandsvereinbarung mit der Hisbollah angesehen und verstanden, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um unser Land zu befreien”, sagte der Aufständische. Ziel sei es, das Assad-Regime zu stürzen und eine Regierung einzusetzen, die gute Beziehungen zu allen Nachbarn pflege – einschließlich Israel. Im israelischen Rundfunksender KAN sagte ein weiterer syrischer Oppositioneller: “Wir lieben Israel und waren nie seine Feinde”.

Syrien Explainer Rebellen Fabian

Pro-israelische Islamisten? Es klingt seltsam, denn vor Kurzem hörte man aus den Reihen der HTS noch andere Töne. Anführer al-Julani vertritt ultrareligiöse islamische Vorstellungen und sagte einige Tage nach dem 7. Oktober, “das Volk von Gaza” habe “den Stolz der Besatzungszionisten gedemütigt” und “den Unterdrückten Freude ins Herz gebracht”. Auf den als Terroristen eingestuften al-Julani ist in den USA sogar ein Kopfgeld von 10 Millionen US-Dollar ausgesetzt.

Die Angst vor den Chemiewaffen Assads

Wenn Israel in den vergangenen Jahrzehnten eines gelernt hat, dann, dass islamistische Milizen keine harmlosen Schachfiguren sind, die die Drecksarbeit erledigen: HTS war einst der syrische Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida, spaltete sich 2016 offiziell ab – bleibt aber eine salafistische Dschihad-Organisation, die unter anderem in den USA als Terrororganisation eingestuft ist. In Israel befürchten einige, dass ein gemeinsamer Feind nicht reicht, um ein Risiko auszuschließen: nämlich, dass die islamistischen Gruppen früher oder später vermehrt israelisches Territorium beschießen.

Und dann sind da noch die chemischen Waffen, für deren Einsatz Syriens Machthaber Assad berüchtigt ist. “Sollten chemische Waffen in die Hände der Rebellen fallen, könnte das Israel und die ganze Region bedrohen”, sagt Nitzan Nuriel. “Assad setzte chemische Waffen gegen seine Gegner ein. Vielleicht fühlen sich also die Rebellen frei, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Und gegen weitere Gegner einzusetzen. Sie sind unberechenbar.”  

Der plötzliche Vormarsch lässt manche gar den Aufstieg eines islamistischen, Taliban-ähnlichen Regimes befürchten. Noch ist jedoch unklar, was von den Rebellengruppen zu erwarten ist.

Israel besorgt über Chaos in Syrien

Schon am vergangenen Freitag berief Israels Premier Benjamin Netanjahu die Leiter des Verteidigungsapparats zu einer Sonderbesprechung ein. Man beobachte die chaotischen Entwicklungen in Syrien, hieß es. Ein israelischer Beamter sagte dem Newsportal “Ynet”: “Es betrifft uns nicht unbedingt, vor allem nicht kurzfristig, aber jede Erosion der Stabilität in einem Nachbarland könnte sich auch auf uns auswirken.” Vor allem sei man besorgt über die Möglichkeit, dass bestimmte Waffen in die Hände der Rebellen geraten könnten. 

Es wird davon ausgegangen, dass Israel wahrscheinlich direkt eingreifen würde, wenn syrische Chemiewaffen in die falschen Hände gerieten, oder wenn die Golanhöhen bedroht wären, das von Israel besetzte Grenzgebiet. “Israel stellt in dieser Situation vor allem sicher, dass die Grenze gut geschützt ist, durch Truppen und Geheimdienstinformationen”, sagt Nitzan Nuriel. Ansonsten gelte die Devise: “Heraushalten, außer es betrifft uns direkt.”

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