Die Oreschnik Rakete traf eine Fabrik in der Ukraine. Doch mit ihr droht Putin vor allem Westeuropa. Die Waffe kann Berlin in zwölf Minuten erreichen – eine Abwehr ist kaum möglich.
Russland hat eine neue Rakete eingesetzt, die Oreschnik. Eine Waffe, die sich noch in der Entwicklung befindet und – wenn man es so zynisch ausdrücken will – unter realistischen Bedingungen getestet wurde. Die Oreschnik ist so bedrohlich, weil man sie vermutlich nicht abfangen kann. Das Wort bedeutet “Haselnuss” und führt die Soweit-Tradition fort, Raketen nach Baumarten zu benennen.
Oreschnik basiert auf Interkontinentalrakete
Es handelt sich um eine neuartige Waffe eines Typs, von dem durchaus bereits gesprochen wurde, der aber noch nie eingesetzt wurde. Das Prädikat “neu” bleibt bestehen, auch wenn Teile der Oreschnik auf Vorgängern beruhen. Der Teil der Rakete, der sie in den Himmel hebt, basiert vermutlich auf der RS-26 Rubesch. Wegen ihrer begrenzten Reichweite liegt die RS-26 zwischen den Klassifikationen Interkontinentalrakete ICBM und Mittelstreckenwaffe IRBM. “Ich kann bestätigen, dass Russland tatsächlich eine experimentelle Mittelstreckenrakete gestartet hat”, sagte die Pressesprecherin des Pentagon, Sabrina Singh. “Diese IRBM basiert auf dem russischen Interkontinentalraketenmodell RS-26 Rubesch.” Die USA wurden vor dem Start über den Einsatz informiert.
Es ist anzunehmen, dass die Raketenstufe für die Oreschnik gekürzt wurde, um dafür einen größeren Waffenkopf unterzubringen. Das muss aber nicht bedeuten, dass die Reichweite abgenommen hat. RS-26 Rubesch benötigt keinen festen Silo, sie wird von einer mobilen Einheit gestartet.
Hohe Geschwindigkeit der Eintrittskörper
Neuartig ist nicht die Start-Rakete, sondern der Teil, den sie an den Rand der Atmosphäre transportiert. Beobachten konnte man den Einschlag der Wiedereintrittskörper. Eine Besonderheit ist die zehnfache Schallgeschwindigkeit – das sind etwa 12.000 Stundenkilometer. Dann kam es zu sechs Wellen von Einschlägen auf dem Gebiet der Rüstungsfabrik Juschmasch, jeder dieser Wellen bestand aus sechs Objekten.
Die Oreschnik ist ein der Lage mehrere unabhängige Wiedereintrittskörper zu transportieren, die auf dem Weg zurück sich wiederum in Submunition teilen. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge können diese Körper schon allein wegen ihrer Geschwindigkeit von einem System wie der Patriot nicht abgefangen werden. Dabei ist auch zu beachten, dass eine Abfangrakete nur einen Eintrittskörper anvisieren und eventuell treffen könnte. Hier müssten also je nach Höhe der Teilung entweder sechs oder gar 36 einzelne Objekte getroffen werden.
Die Einschläge erfolgten in Gruppen mit leichter Verzögerung. Diesen Effekt kann man erreichen, indem die Körper nachdem sie ausgesetzt worden sind, unterschiedliche Geschwindigkeiten erreichen. Dadurch ergeben sich dann auch verschiedene Flugbahnen. Ob diese Körper manövrierfähig sind, kann man nicht derzeit nicht beurteilen. Auch schlugen sie nicht exakt auf dem gleichen Punkt ein. Hier lässt sich ebenso derzeit nicht bestimmen, ob das System ungenau arbeitet oder ob das Ergebnis beabsichtigt war.
Transportiert die Rakete über einen Hyperschall-Gleiter?
Auch über die spannendste Phase weiß die Öffentlichkeit wenig – nämlich das, was am Rande der Atmosphäre geschah. Die Eintrittskörper können konventionell vom Kopf der Waffe ausgestoßen worden sein. Putins großspurige Erklärung deutet darauf hin, dass die Oreschnik einen Hyperschallgleiter in die Höhe gebracht haben könnte. Für die großen in Silos untergebrachten Interkontinentalraketen ist so eine Waffe – Avantgard – bereits einsatzfähig. Diese Systeme gleiten über die oberen Schichten der Atmosphäre. Sie folgen keiner festgelegten Parabellbahn, sondern können ihren Kurs selbst bestimmen. Als Bild: Die Raketen bringen den Gleiter in die Höhe und dann flippert er wie ein Stein über das Wasser über die Schichten der Erdatmosphäre. Das Konzept dahinter ist erstaunlich alt. In den späten 1930er Jahren stellten Eugen Sänger und Irene Sänger-Bredt das Konzept des Silbervogels vor, manchmal auch “Amerika-Bomber” genannt. Dieser Gleiter sollte über die Atmosphäre hüpfen. Eine kühne Idee, die sich mit den damaligen Mitteln nicht hätte verwirklichen lassen. Sollte die Oreschnik etwas Vergleichbares wie den Avantgard-Gleiter transportieren, ist die Reichweite des Systems weit größer und unberechenbarer als bei einer ballistischen Flugbahn.
Ukraine IV Franz-Stefan Gady 5:56
Oreschnik als Drohung gegen Europas Städte
Die Oreschnik ist vor allem eine Drohung an die Verbündeten der Ukraine. So eine Waffe kann konventionelle Gefechtsköpfe ins Ziel bringen. Die Zerstörungswirkung konventioneller Waffen steht in keinem Verhältnis zu den Kosten von Rakete und womöglich auch noch dem Gleiter. Der erste Einsatz war eine Demonstration. Vermutlich haben die Einschläge auch Schäden in den getroffenen Hallen hinterlassen. Doch Juschmasch ist vor allem eine unterirdische Fabrik von der Größe einer kleinen Stadt. Noch von Stalin wurde entschieden, die wichtigsten Rüstungsbetriebe so anzulegen, dass sie dem Angriff einer Atombombe standhalten können.
So aufwändige Waffensysteme wie die Oreschnik können konventionell bestückt gegen sehr wertvolle Ziele eingesetzt werden. Ihr wahres Potenzial entfalten sie mit nuklearer Bewaffnung. Dann würde die Oreschnik einen oder zwei nukleare Gefechtsköpfe aufnehmen und dazu einen Schwarm von Täuschkörpern, um die Abwehr unmöglich zu machen. Die Demonstration zielte auf den Westen. zeigt, dass er jede beliebige Stadt in Westeuropa, ob Berlin, Paris, London oder Rom mit Atomwaffen angreifen kann und die Nato diesen Angriff nicht abwehren kann. Vom Startpunkt bis nach Berlin benötigt die Oreschnik elf bis zwölf Minuten, sollte die Rakete im westlichen Teil Russlands starten, verkürzt sich diese Spanne auf acht Minuten. Putin hat weitere Einsätze angekündigt, dafür müssen also mehrere Prototypen vorhanden sein. Dazu sprach er vom Beginn der Serienproduktion.