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Interview: Tel Aviv und Berlin: Wie Starkoch Ben Moshe mit seinen Restaurants Brücken baut

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In seinem Berliner Restaurant “Prism” verbindet der israelische Sternekoch Gal Ben Moshe nicht nur Kulturen, sondern auch Menschen in Zeiten des Krieges.

Gal Ben Moshe ist ein Brückenbauer der besonderen Art. In seinem Berliner Restaurant “Prism” kreiert der 38-jährige Israeli eine Küche, die Grenzen überwindet. Mit zwei Restaurants – eines in Berlin-Charlottenburg, eines im Tel Aviv Museum of Art – pendelt er zwischen den Welten und entwickelt dabei seinen ganz eigenen Stil: eine moderne Interpretation der levantinischen Küche, die Tradition mit Innovation verbindet. Dass er erst mit 13 Jahren seine erste Falafel aß, mag überraschen. Doch vielleicht ist es gerade diese späte Annäherung an die Küche seiner Heimatregion, die ihm heute die Freiheit gibt, neue Wege zu gehen. 

Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant “Prism“, das Ben Moshe zusammen mit seiner Frau Jacqueline Lorenz führt, vereint die Aromen des Nahen Ostens mit Techniken der internationalen Spitzenküche. Die Weinkarte spiegelt diese Philosophie wider: Neben europäischen Spitzenwinzern finden sich hier auch Weine aus Israel, dem Libanon und sogar dem Iran. In Zeiten des Nahostkonflikts zeigt Ben Moshe, wie Küche Menschen zusammenbringen kann. 

Herr Ben Moshe, ist Essen politisch?
Gal Ben Moshe: Das ist ein heikles Thema. Als israelischer Koch, der Gerichte aus der Region zubereitet, gibt es viele Herausforderungen. Man muss aufpassen, dass man nicht kulturelle Aneignung betreibt oder Traditionen von Kulturen verletzt, zu denen man eine komplexe Beziehung hat. Aber wenn man sensibel genug ist und die Geschichte respektvoll erzählt, kann man sogar Brücken bauen. Interview Oz und Jalil Kanaan 6.06

Der Guide Michelin schreibt über Ihre Küche, sie sei vielfältig, persönlich und einzigartig. Was macht Ihre Küche so besonders?
Was uns von anderen unterscheidet – und ich bin stolz darauf, dass jemand das so versteht – ist, dass wir von der Last der Authentizität befreit sind. Wir bieten unseren Gästen eine völlig neue Erfahrung, mit Aromen und Zutaten, die sie noch nie probiert haben. Und das in einem Rahmen, wo sie sich trotzdem mit dem Essen verbinden können und verstehen, was sie essen.

Sie haben israelische Wurzeln. Was bedeutet es, wenn Sie sagen, Sie kochen die Küche der Region, nicht die des Staates?
Ich versuche, die Politik herauszunehmen und allen Kulturen und Produkten der Region Respekt zu zollen. Ich mache keine israelische Küche – schon, weil problematisch ist zu definieren, was das überhaupt ist. Als Koch, der 4000 Kilometer entfernt arbeitet, wäre das anmaßend. Wir versuchen stattdessen, eine neue kulinarische Sprache für die Region zu entwickeln, die keine Grenzen kennt.

Was bedeutet Essen für Sie?
Essen ist ein Medium der Kunst. Selbst bei McDonald’s hat die Person, die das Essen zubereitet, eine Geschichte zu erzählen. Wir sind alle Geschichtenerzähler und wollen, dass uns jemand zuhört. Wir versuchen, durch unser Essen miteinander zu sprechen.

Wie würden Sie Ihren Kochstil beschreiben?
Ich bin die Summe aller meiner Erfahrungen. Ich habe in klassischen französischen Restaurants und modernen Molekularküchen gearbeitet. Für mich ist die levantinische Küche eher ein akademischer als ein authentischer Ansatz. Ich koche nicht die Küche meiner Großmutter, sondern etwas, das mich intellektuell interessiert. So kann ich ein Lamm-Wellington mit Aromen eines klassischen syrischen Gerichts machen.

Das Spiel mit den Aromen hat Gal Ben Moshe verinnerlicht: Lamm mit Nduja-Butter, Püree aus Roter Paprika, gegrillte Karotte mit Kreuzkümmel, geräuchertes Aioli und Granatapfelsirup
© Steffen Sinzinger

Was steht bei Ihnen auf der Speisekarte?
Wir bieten ein Neun-Gang-Menü für 215 Euro an, je nach Saison und Verfügbarkeiten der Lebensmittel. Der Frühling ist unsere beste Saison. Da arbeiten wir mit grünen, unreifen Kichererbsen, die wie levantinische Edamame gegrillt werden. Wir haben auch Akub, eine Distel aus den libanesischen Bergen – wir importieren jährlich etwa 80 Kilo davon. Das ist selbst im Westjordanland eine Delikatesse. Ein besonderes Highlight ist unser Dessert mit Kamelmilch. Im neuen Wintermenü lasse ich die jüdische Küche des alten Berlins wieder aufleben – von Omas Hühnersuppe über Babka bis zum traditionellen Cholent, neu interpretiert für die Sterneküche.

Erzählen Sie uns von Ihrer Weinkarte. Ich sehe dort ausgefallen Weine aus dem Iran und Syrien …
Das ist zu 100 Prozent das Verdienst meiner Frau Jacqueline. Diese Weine erzählen Geschichten vom Weinbau unter widrigen Bedingungen. Wir haben einen libanesischen Wein von 1984, der während des Bürgerkrieges unter israelischen Bombardements hergestellt wurde – ein “Kriegswein”, dessen Geschichte größer ist als er selbst. Wir führen den einzigen Wein aus Persien, der in Schweden produziert wird – und Weine vom letzten Weingut Syriens. Vor Jahren hatten wir einen israelischen und einen libanesischen Winzer hier, deren Weinberge nur 50 Kilometer voneinander entfernt liegen. Sie saßen zusammen und tauschten Ernteerfahrungen aus.

Und was gab’s in Ihrer Kindheit in Israel zum Essen?
Interessanterweise wuchs ich ohne Respekt für die lokale Küche auf. Ich hatte erst mit 13 meine erste Falafel und war mit 16 oder 18 das erste Mal in einem arabischen Restaurant. Meine Eltern gehörten zu einer Generation, die sich mehr nach Frankreich oder Italien orientierte. Wir aßen lieber Muscheln oder Pasta als lokale Gerichte.

Haben Sie ein Gericht, das Ihnen Trost spendet?
Ich liebe Hummus, die warme Variante.

Sie haben auch ein Restaurant in Tel Aviv. Wie oft sind Sie vor Ort?
Ich muss etwa eine Woche pro Monat in Israel sein. 

Wie haben Sie den 7. Oktober 2023 erlebt?
Als Schock, wie alle anderen auch. Ich wachte in Tel Aviv um 6.30 Uhr von den Sirenen auf. Wir verbrachten den Tag damit, die schrecklichen Nachrichten zu verfolgen. Ich habe auch ein Restaurant im Tel Aviv Museum. Am Morgen danach dachte ich wirklich, es wäre das Ende der Welt.

Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um?
Es ist bewundernswert zu sehen, wie die Menschen in Tel Aviv trotz allem weiterleben. Wenn eine Sirene ertönt, gehen die Leute in den Schutzraum und kommen zehn Minuten später zurück, als wäre nichts gewesen. Unser Restaurant liegt direkt unter dem “Hostage Square”, wo die Familien der Geiseln ihre Zelte aufgeschlagen haben. Wir sind mit den Familien im engen Austausch. In Berlin wiederum fragte unser arabischer Gemüsehändler nach meiner Familie, ich nach seiner – er hat Familie in Gaza. Wir umarmten uns. Diese kleinen Momente geben mir Hoffnung. Zumindest in meiner kleinen Realität, in meiner kleinen Blase sind die Dinge in Ordnung. Rezepte aus dem Kanaan 17.58

Sehen Sie Berlin als geteilte Stadt beim Nahostkonflikt?
Berlins Stärke liegt in seiner Vielfalt. Mein Lieblings-Palästina-Restaurant mit dem besten Hummus liegt im selben Gebäude wie der Parkplatz des jüdischen Krankenhauses – das ist Berlin! Die Menschen gehen ins jüdische Krankenhaus, andere stehen für ihren Hummus an, und niemand steht sich im Weg. 

Wie reagieren israelische und palästinensische Gäste auf Ihre Küche?
Wir bekommen überwiegend positive Reaktionen. Wir werden als eine Art Botschafter der Koexistenz wahrgenommen, weil wir alle Kulturen respektieren. Wir kaufen seit sieben Jahren unser Gemüse im Westjordanland oder auf arabischen Märkten in Berlin. Die Menschen dort teilen mit uns ihre Geschichten, wie der Konflikt ihre Familien betrifft. Niemand sagt: “Wir verkaufen nicht an euch, weil ihr Israelis seid.”

Mussten Sie jemals Ihre Identität verbergen?
Nein, ich bin sehr offen mit dem, woran ich glaube. Ironischerweise hatte ich in Deutschland die meisten rassistischen Erfahrungen von Menschen, die dachten, ich sei Araber. Wenn man die Politik weglässt, sind wir uns eher ähnlich, als dass wir uns unterscheiden. Neulich lief ich über den Potsdamer Platz während einer pro-palästinensischen Demonstration. Ich hatte keine Angst – ich fühle mich nicht als Symbol Israels, ich fühle mich als Symbol der Hoffnung.

Ein Dessert im Neun-Gang-Menü: Olivenöl, Mandeln und Mandarine
© Steffen Sinzinger

Kochen Sie noch zu Hause? 
Ja, wir haben drei Kinder, also muss jemand kochen. Diese Woche hatte ich gemischten Erfolg – der Lachs kam nicht so gut an (lacht). Gestern kochte meine Frau einen einfachen levantinischen Reis mit Huhn, den die Kinder liebten. Als Profikoch ist es manchmal hinderlich, für Kinder zu kochen, weil man zu sehr versucht, raffinierte Aromen zu kreieren. Kinder mögen es einfach.

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