Simon Jäger forscht am MIT zu Arbeitsmarktfragen – und berät Wirtschaftsminister Habeck. Er erklärt, warum Kurzarbeitergeld wenig bringt und welche Reformen Deutschland nun braucht.
Herr Jäger, Sie beraten seit Juni Wirtschaftsminister Robert Habeck. Zu ihrem Antritt hat die “FAZ” gefragt, ob Sie Herrn Habeck mit der Wirtschaft versöhnen können. Fünf Monate und ein Ampel-Aus später – was würden Sie sagen: Hat das geklappt?
Simon Jäger: Ich teile die Grundthese schon nicht. Herr Habeck und die Wirtschaft sind nicht fundamental unversöhnt.
Da liest und hört man aber anderes.
Wir haben eine schwierige Situation in Deutschland. Ohne Frage. Die hat aber nicht Herr Habeck geschaffen. Deutschland hatte sein Geschäftsmodell – entgegen der Warnungen der USA und der osteuropäischen Nachbarn – mit billigem russischem Gas auf tönerne Füße gestellt. Das billige russische Gas und das Wachstum Chinas konnte im letzten Jahrzehnt noch überdecken, dass in Deutschland einiges in Schieflage geraten war, nicht zuletzt die Infrastruktur, wie beispielsweise bei der Bahn zu sehen. Zwei Monate nach Amtsantritt der neuen Bundesregierung war dann durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine klar, dass dieses Modell gescheitert ist. Jetzt sehen wir die massiven Auswirkungen davon – allen voran mit der Energiekrise. Die Stimmung ist meines Erachtens vor allem deshalb schlecht, weil Antworten auf solch fundamentale Fragen, etwa einer Energieversorgung ohne russisches Gas und Verteidigung, teuer sind. Das spüren viele Unternehmen und Menschen im eigenen Portemonnaie und kritisieren deshalb Herrn Habeck. Die Ableitung ist zwar menschlich nachvollziehbar, greift aber zu kurz.
Vita Simon JägerSie leben und lehren in den USA. Dort erklären Präsidentschaftsbewerber immer, was sie am ersten Amtstag alles umsetzen würden. Übertragen auf Deutschland: Was müsste ein neuer Wirtschaftsminister am ersten Tag angehen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen?
Das Wachstumspaket der Bundesregierung ging grundsätzlich schon in die richtige Richtung, ist aber noch zu klein geraten. Das umzusetzen, wäre ein Anfang. Die entscheidende Herausforderung für Deutschland ist es, Wachstum zu organisieren.
Was schlagen sie hierfür konkret vor?
Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, in denen Wachstum und Innovation stattfinden kann. Und zwar so, dass es inklusiv ist – also möglichst viele Menschen daran teilhaben und nicht nur die oberen zwei Prozent.
Wie müssen die Rahmenbedingungen hierfür aussehen?
Wir brauchen zunächst einen massiven Abbau an Bürokratie. Was wir hier teilweise für Auswüchse erleben, ist absurd. Es hat sich eine regelrechte Industrie darum gebildet, um Bürokratie für Unternehmen abzuarbeiten. Das ist kein gutes Zeichen. Die Bundesregierung hat zwar schon vieles auf den Weg gebracht, aber es reicht bei Weitem noch nicht. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass langfristig mehr Fachkräfte zu unserem Wachstum beitragen – durch Qualifizierung, durch Abbau von steuerlichen Fehlanreizen und bürokratischen Hindernissen und auch durch mehr Fachkräfteeinwanderung. Daneben müssen wir Strukturen schaffen, um Investitionen in Deutschland finanziell attraktiv zu machen, und die klimaneutrale Transformation und Inklusion der unteren Einkommensschichten aber nicht vergessen. Auch wenn ich weiß, dass das gerade nicht en vogue ist.
Stimmt. In Deutschland wird mehr über das Bürgergeld geredet, und wie man den Sozialstaat stutzen kann. Ist diese Gruppe zu Unrecht am Pranger?
Ja, das macht mich sehr betroffen. Hier werden vernünftige Vorschläge bewusst falsch dargestellt, um politisch Kapital daraus zu schlagen. Wobei man durchaus Kritik an der Sozialpolitik üben kann.
Und zwar?
Der Staat setzt Anreize gegen Arbeit am unteren Ende. Bevor man dem Einzelnen schlechte Moral vorwirft, wenn er oder sie nicht arbeiten geht, sollte man sich fragen, warum die Rahmenbedingungen so sind, dass sich die Arbeit für den Einzelnen nicht lohnt.
Sprich: Wir sollten mehr über die schlechten Rahmenbedingungen diskutieren, statt über vermeintlich faule Bürgergeldempfänger.
Ganz genau. Vor diesem Hintergrund fand ich auch die Idee gut, 1000 Euro an Langzeitarbeitslose zu zahlen, die mindestens ein Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Das wäre de facto eine Steuersenkung für diese Gruppe gewesen, wenn sie langfristig arbeiten gehen. Auch wenn ich weiß, dass das nicht das große Rad gewesen wäre, denke ich doch, dass das ein Zeichen in die richtige Richtung gewesen wäre, um Arbeit attraktiver zu machen.
STERN Deutsche Wirtschaft Trump 14.52
Der Vorschlag wurde in der Öffentlichkeit zerrissen.
Ja, das hat mich erschreckt und verärgert. Insbesondere, dass einige Medien das als „Arsch-hoch-Prämie“ geframed haben, die faulen Menschen einfach hinterhergeworfen wird – gezahlt von den fleißigen Arbeitern.
Brauchen wir diese Arbeitskräfte in Zukunft überhaupt noch, wenn die Künstliche Intelligenz doch viele Aufgaben bald übernehmen kann? Oder wird Künstliche Intelligenz, wie jede Revolution zuvor, für mehr Jobs sorgen?
Das wissen wir noch nicht genau. Was ich aber interessant finde, und woran meine Kollegen am MIT gerade forschen, ist die Frage, ob es einen sogenannten Leveling Effekt gibt. In den vergangenen Jahrzehnten hat technologischer Fortschritt den Menschen ergänzt und dabei die Mitte ausgehöhlt. Ein gut ausgebildeter Ingenieur hat von einer neuen Technologie profitiert und dazu sind einfache manuelle Tätigkeiten, die schlecht zu ersetzen waren, geblieben. Weggefallen sind vor allem standardisierte Aufgaben, die die Mitte ausgeführt hat. Das könnte sich jetzt erstmals ändern. Meine Kollegen haben das bei Werbetextern und Analysten untersucht. Gute Schreiber waren mithilfe von KI etwas schneller, aber ihre Textqualität war kaum besser. Bei schlechteren Schreibern hat sich beides verbessert. Wir könnten also ein Aufrücken der Mitte an die oberen Schichten erleben. Das meine ich mit Leveling Effekt. Aber wie sich das für das Gesamtgleichgewicht auswirkt, ist Stand jetzt eine offene Frage.
Zurück nach Deutschland. Eine offene Frage ist hierzulande auch, wie es mit der Industrie weitergeht. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Wirtschaft mit der Industrie gleichzusetzen ist. Das ist aber mitnichten so. Industrielle Produktion ist weltweit auf dem Rückzug und wird durch Dienstleistungen ersetzt. Ist es also noch zeitgemäß, dass wir so intensiv über die Industrie diskutieren?
Industrie war historisch lange das Geschäftsmodell Deutschlands. Gute Ingenieure, die hoch spezialisiert produktive Dinge erschaffen. Aber ja, es stimmt, die industrielle Produktion ist im Grunde überall auf dem Rückzug – auch in China übrigens. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten, weil wir die gleiche Menge an Produkten mit weniger Menschen organisieren können. Insofern stimme ich zu. Wir sollten in der Diskussion vor die Welle kommen und uns fragen, wo unsere Industriearbeiter wirklich den größten Mehrwert erbringen können.
Sie haben in der vergangenen Woche ein Paper veröffentlicht, in dem sie das Kurzarbeitergeld evaluieren. Was haben Sie herausgefunden?
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Kurzarbeitergeld zu massiven Mitnahmeeffekten geführt hat. Es wurden diejenigen Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, die das Unternehmen sowieso behalten hätte. Es gab keinen Effekt auf die Beschäftigung. Das heißt: Es wurden nur wenige Arbeitsplätze kausal durch Kurzarbeitergeld gerettet.
Das Paper kommt zur rechten Zeit. Viele Unternehmen befinden sich gerade in Kurzarbeit. Heißt das, wir sollten mutiger sein mit Entlassungen?
Wir müssen jedenfalls überlegen, wie wir Menschen aus bestimmten Industrien in andere, produktivere Jobs bewegen. Es ist nicht optimal, das Bestehende um jeden Preis aufrechtzuerhalten.