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Satiren und Cartoons gegen Judenhass: Über Antisemitismus macht man keine Witze! Oder doch?

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Humor ist ein Überlebensmittel. Das Buch “Sind Antisemitisten anwesend?” versammelt Satiren, Essays, Gedichte, Geschichten und Cartoons gegen den Hass.

Das vorweg: Es gibt kaum Antisemiten in diesem Land. Vielleicht ein paar Nazis und Islamisten. Aber so allgemein– man frage die nächstbeste Person im Supermarkt: Antisemitismus geht gar nicht. Gänzlich inakzeptabel.

Juden hassen ist was anderes. Holocaust-Gedenkstätten werden derzeit beschmiert, Plakate, die an jüdische Mordopfer im Deutschland der 70er, 80er und 2000er Jahre (und dazwischen und bis heute) erinnern, werden abgerissen, mit Hakenkreuzen und roten Dreiecken überzogen. Löcher gähnen in den Scheiben jüdischer Restaurants. Und es erschreckt nur wenige Vorübergehende. Was hat der Mord an Rabbiner Shlomo Lewin und seiner Partnerin Frida Poeschke 1980 in Erlangen mit dem Nahostkonflikt heute zu tun, dass ihr Andenken zerfetzt werden muss? Wie hängen die in Auschwitz ermordeten Juden im aktuellen Krieg mit drin?

Der angeblich gegen Israels Politik gerichtete Protest äußert sich in Angriffen auf jüdische Nachbarn und Kommilitonen in Berlin, Frankfurt, New York. Derweilen kein Antisemitismus, nirgends. “Hat keinen Platz bei uns”, wie es so schön verwirrend heißt.

Auf der Suche nach “Antisemitisten”

Ein versehentlich äußerst treffendes Wort hat der Veranstalter einer Lesebühne für diesen Widerspruch gefunden. Irritiert von der Verletztheit einer Autorin nach feindseligen Reaktionen während einer Lesung – Sie haben richtig gelesen: irritiert nicht vom Hass aus dem Publikum, sondern von der Autorin, die hinterher darüber sprach – forschte er nach “Antisemitisten” in seinem Team. 

Mal abgesehen von dem, was er fand: Man könnte den Versprecher wunderbar deuten (was naheliegend und zynisch wäre). Oder sich aufregen.

Oder man kann darüber lachen. Mit Kloß in der Kehle, nicht frei und lustig, doch mit Blick für das Skurrile, Verdrehte der Situation. Das Verdrehte der Täter-Opfer-Umkehr und des permanenten Versuchs, denjenigen, die Hass erleben, die Situation und ihre falschen Gefühle zu erklären. 

Lea Streisand und Michael Bittner versuchen es mit Humor

Mit solchem Galgenhumor hat Lea Streisand die Geschichte von der Lesung aufgeschrieben. Und gemeinsam mit Michael Bittner und Heiko Werning weitere Kurzgeschichten, Gedichte und Karikaturen gesammelt, die smart und auf den Punkt unsere verdrehten Denkgewohnheiten offenlegen. “Das Wort ‘Jude’ auszusprechen war genauso tabu, wie ein Hakenkreuz in einen Baumstamm zu ritzen”, erzählt Susanne M. Riedel. “Für uns als jüngere Kinder hatte es zur Folge, dass ‘Jude’ in die gleiche Schublade rutschte wie die anderen verbotenen, “schmutzigen” Wörter.“ Diese Erfahrung teilen sicher viele Leser.

Insgesamt 68 Schriftstellerinnen, Lyriker, Songwriter und Cartoonistinnen machen die Anthologie von Streisand et al. zu einem Kaleidoskop hellsichtiger Wahrnehmungen und kluger Fragen. Die einige heilige Kühe antasten (nein, nicht schlachten) und sicher auf allen Seiten des sogenannten politischen Spektrums Schluckauf erzeugen werden. Wohltuend frech, verletzlich, ehrlich, ironisch und selbstironisch erzählen die Autoren und Zeichnerinnen vom Leben im DDR-Antifaschismus ohne Juden, vom Imbiss-Smalltalk in Berlin-Neukölln, vom “Backen gegen den Terror”, vom “köstlichen jüdischen Humor”. 

Der bleibt einem schon manchmal im Hals stecken, wie Satire es eben tut. “Wer hätte gedacht, dass man Leuten mit Videos der Exekution von jüdischen Menschen so viel Freude bereiten kann”, zitiert Christian Bartel einen fiktiven PR-Berater. 

Lesen Sie, hören Sie zu und lachen Sie

Oft geht nur Sarkasmus, und etliches ist auch gar nicht witzig – aber immer wieder beeindruckt die leichte Feder bei einem so schweren Thema wie insbesondere dem 7. Oktober. Streisand erzählt von den Tagen danach anekdotisch, ohne die Ereignisse zu erklären oder zu interpretieren. Das lässt sie uns. Und das genau ist unsere Aufgabe und Rolle. Im Zeitalter der Empathie und der Sensitivität Readings Einfühlung versuchen, eine Geschichte anhören und nicht in der Replik verdrehen. Sich einmal kurz in die Schuhe derjenigen begeben, die sie erlebt haben. Anschauen, was wir im eigenen Alltag nicht sehen, obwohl es ebenfalls real ist. Während wir drüberstehen, dran vorbeigucken, auf anderes achten.

Also, lesen Sie. Hören Sie zu und lachen Sie, wenn es bizarr wird. Schlucken Sie, wenn Ihnen ein Kloß im Hals stecken bleibt. Dann gehen Sie raus, unterhalten Sie sich mit Ihrer jüdischen Nachbarin und fragen Sie, wie es so geht. Hier so, in Hamburg oder im Ruhrgebiet, 2024.

Lea Streisand, Michael Bittner, Heiko Werning (Hrsg.): Sind Antisemitisten anwesend? Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass. Satyr Verlag, Berlin 2024.

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