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Meinung: Jahrzehnte war ich Grünen-Wählerin. Ich werde diese Partei nie wieder wählen

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Keine Idee und sei sie noch so vernünftig, kommt bei den Menschen an, wenn sie im Gewand des Oberlehrers daherkommt. Die Grünen begreifen das nicht. 

Am Wochenende hat sich Habeck auf dem Parteitag zum Kanzlerkandidaten küren lassen, auch wenn er das Wort nicht in den Mund nimmt. Er will “Kandidat für die Menschen in Deutschland” sein. Kurz zuvor ließ er ein Video drehen, das ihn am Küchentisch zeigt. Am Handgelenk trägt er ein Teenie-Armbändchen. Treuherzig blickt er in die Kamera, summt ein Liedchen, kündigt an, dass er mit den Menschen reden will, auch bei ihnen zu Hause, am Küchentisch, wenn sie möchten. Bei mir braucht er nicht zu klingeln. Zu spät. Ich gehörte mal zur Grünen-Stammwählerschaft, habe Jahrzehnte Grüne gewählt. Nun ist Schluss. 

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Grüne waren meine Hoffnung

1979, als die Grünen gegründet wurden, war ich 14 Jahre alt. Atomkraft und das Wettrüsten machten mir Angst. Das Dorf in Niedersachsen, wo ich meine Jugend verlebte, war zum Ersticken konservativ. Der Bürgermeister war bei der Waffen-SS gewesen, hatte für die NPD im Kreistag gesessen und war später in die CDU eingetreten. Im Nachbarort wohnte ein Holocaust-Leugner. Er machte keinen Hehl daraus, dass er Rudolf Heß für einen Märtyrer des Friedens hielt, hatte sogar ein Buch darüber geschrieben. Hinter vorgehaltener Hand erzählten die Leute, er habe einen Papagei, der “Heil Hitler” krächzte. Spätere Neonazi-Größen gingen bei ihm aus und ein. Es wäre ungerecht zu behaupten, dass die Leute im Dorf alle Neonazis gewesen wären. Im Gemeinderat hatte die CDU zuverlässig die Mehrheit, angeführt vom besagten Bürgermeister, der im Dorf sehr geachtet war.

Ballett-Star Wladimir Andrejewitsch Schkljarow Artikel 8:10

Endlich Leute, die anders ticken, dachte ich

Als die Grünen gegründet wurden, war ich froh. Endlich Leute, die anders tickten. Ich war noch zu jung zum Wählen. Aber vier Jahre später hatten die Grünen meine Stimme. Zeit, dass sich was ändert, dachte ich. Über Jahrzehnte wählte ich die Partei  – mit Unterbrechung 1998, als die Grünen wegen des Kosovo-Krieges ihre pazifistischen Ideale verraten und versucht hatten, ihren kritischen Geist Hans-Christian Ströbele zu entsorgen. Später zog ich in seinen Wahlkreis und konnte ihm direkt meine Stimme geben. Leute wie Ströbele sucht man heute in der Partei vergeblich. Selbst die grüne Jugend, die vor ein paar Wochen noch die “Partei anzünden” wollte, arrangiert sich nun mit Habeck. 

2019 lagen die Grünen in den Umfragen bei 20 Prozent. Habeck hätte vielleicht wirklich Kanzler werden können. Was für eine verpatzte Chance. Schuld ist nicht nur das Heizungsgesetz (das hat ja die Ampel insgesamt beschlossen), sondern vor allem die Kommunikation, die typisch ist für Grüne. Er sei mit dem Heizungsgesetz “zu weit gegangen”, gab Habeck kürzlich zu. Aber: “Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja auch ehrlicherweise ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen.” Ehrlicherweise. Als ihm vorgehalten wurde, dass Menschen keine Versuchskaninchen seien, ruderte er zurück. Er sei “missgünstig” interpretiert worden. Missgünstig. Böse sind immer die Anderen, die einfach nicht verstehen, wie gut das alles gemeint ist. 

Habeck Kanzlerkandidaten-Kür

Grüne behandeln Menschen wie Untertanen

Für mich ist diese Episode symptomatisch. Es ist klar, dass wir angesichts einer drohenden Klimakatastrophe etwas tun müssen. Aber Grüne vergessen gerne, dass sie selbst in der Regierung Angestellte sind. Sie behandeln die Menschen wie Untertanen. Habeck spricht jetzt von einer “dienenden Führungsrolle”. Sorry, das nehme ich ihm nicht ab. Über Jahrzehnte haben die Grünen gezeigt, wie sie ticken. Dass sie Menschen für unmündige Kinder halten, die erzogen werden müssen. Weil sie zu viele Süßigkeiten essen, die nicht nur schlecht für die Zähne ihrer Kinder sind, sondern für die Gesundheit generell. Weil sie zu viel Fleisch essen (der Veggieday war gedacht als “wirksame Demonstration”, mit dem die Menschen “zum Nachdenken über ihre eingefleischten Konsumgewohnheiten” gebracht werden sollten). Weil sie duschen, anstatt sich zu waschen und nicht begreifen, dass der “Waschlappen eine brauchbare Erfindung” (Winfried Kretschmann)  ist. 

SPD Kanzlerkandidatur Bausewein 13.07

Baerbock fliegt 250 Kilometer zum Fußball

Keine Idee und sei sie noch so vernünftig (wie weniger Süßigkeiten und Fleisch zu essen, Wasser zu sparen), kommt bei den Menschen an, wenn sie im Gewand des Oberlehrers daherkommt. Sie provoziert “Reaktanz”, wie Psychologen Trotzreaktionen nennen. Bei den Grünen hat das eine lange Tradition. Ende der 1990er-Jahre riet ihr tourismuspolitischer Sprecher den Deutschen, nur alle fünf Jahre in den Urlaub zu fliegen. “Grüne kämpfen tapfer gegen jede Stimme”, höhnte die den Grünen eher zugeneigte “taz” (bei der ich auch mal Redakteurin war). “Furchtbar. Ein solcher ökodiktatorischer Ton ist sehr kontraproduktiv”, erkannte die damalige Fraktionschefin Kerstin Müller immerhin. Inzwischen steht fest, dass das Fliegen zur klimaschädlichsten Art gehört, sich fortzubewegen. Und die grüne Außenministerin Annalena Baerbock bemüht die Flugbereitschaft, wenn sie von Frankfurt am Main ins 250 Kilometer entfernte Luxemburg will, um Fußball zu gucken. Natürlich mit Sondergenehmigung, weil nachts das Fliegen eigentlich verboten ist. Wie soll man das nennen? Unglaubwürdig? Oder verheuchelt?

STERN PAID Psychologisch Unordnung 07.00

Lebensmodell für Besserverdienende

Es ist genau, wie die scheidende Parteivorsitzende Ricarda Lang gesagt hat. Die Grünen werden als “Elitenprojekt” wahrgenommen. Und sie werden nicht nur so wahrgenommen. Sie propagieren ein Lebensmodell für Besserverdienende, die sich achselzuckend, ohne einen Kredit aufnehmen zu müssen, eine neue Wärmepumpe in gebührendem Abstand zu den bodentiefen Fenstern vors Haus stellen können. Die gerne neun Euro für ein Kilo Brot aus kontrolliert biologischen Anbau bezahlen. Und über 100 Euro für eine Jeans aus Hanf mit Fairtrade-Siegel.

Viele Menschen können sich das  aber nicht leisten. Mit dem Heizungsgesetz, das die Menschen vor steigenden Energiekosten schützen soll, hat Habeck das halbe Land in Panik versetzt. Und der AfD, die von kalter Enteignung sprach, eine Steilvorlage geboten. Zwar haben SDP und Grüne mitgemacht, als es darum ging, das Gesetz im Hauruck-Verfahren durch den Bundestag  zu peitschen. Erst das Bundesverfassungsgericht, das ein CDU-Abgeordneter angerufen hatte, trat auf die Bremse. Von der SPD und der FDP erwartet man solche Manöver. Aber von den Grünen, die mal als “Anti-Parteien-Partei” angetreten sind? Wir haben recht, also setzen wir es mal eben durch. Basta.

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Partei gut verdienender Akademiker

Die Grünen sind mal aus der Gesellschaft heraus entstanden. Zu merken ist davon nichts mehr. 72 Prozent der Grünen haben laut Bundeszentrale für politische Bildung einen Hochschulabschluss (in der Gesamtbevölkerung sind es 24 Prozent). Bei den Grünen sitzen so viele Akademiker wie in keiner anderen Partei. Die meisten Grünen wissen nicht, wie es ist, in der Schule zu versagen. Oder sich mit dem ersten allgemeinen Schulabschluss, dem früheren Hauptschulabschluss, einen Job suchen zu müssen. Und dann, weil das Gehalt nicht so üppig ausfällt, beim Discounter Lebensmittel und Kleidung einkaufen zu müssen. Und Angst haben zu müssen vor der nächsten Mieterhöhung. Die Grünen sind einfach keine Volkspartei. Politiker und Politikerinnen müssen aber wissen, was unten auf der Straße los ist. Bei den Grünen habe ich nicht das Gefühl, dass sie das überhaupt wissen wollen.

PAID Interview John Bolton zu Trump 6:22

Ton herablassender Besserwisserei

Über politische Lösungen kann man streiten. Aber die Grünen pflegen eine Kultur der herablassenden Besserwisserei. Und das ist im Zweifel fast gefährlicher als ein Streit um die richtige Heizung. Weil es die Menschen in die Arme von Populisten treibt. Und das ist es, was ich den Grünen am übelsten nehme. 30 Prozent der Ostdeutschen und 25 Prozent der westdeutschen Erstwähler haben “Angst vor den Grünen”, wie das Institut für Generationsforschung in seiner Jugendwahlstudie 2024 herausgefunden hat. Junge Leute wählten früher mal wie selbstverständlich grün, so wie ich damals.

Nun sind die Grünen ja sogar offen für eine Koalition mit der CDU. Hätte ich mir mit 14 nie träumen lassen. 

 

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