Die Opposition hat in der NRW-Richteraffäre ein Gutachten anfertigen lassen. Das kommt zum Ergebnis, die umstrittene Auswahl für das Präsidentenamt des Oberverwaltungsgerichts war rechtswidrig.
Die Berufung einer Ableitungsleiterin des NRW-Innenministeriums zur Präsidentin des Oberlandesgerichts war einem Gutachten im Auftrag der Opposition zufolge rechtswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt der von den Fraktionen SPD und FDP beauftragte Gutachter Jürgen Lorse, Autor des Fachbuchs “Die dienstliche Beurteilung”.
Er kritisiert, dass die Beurteilung der Kandidatin mit Bestnoten ausschließlich durch die Innen-Staatssekretärin Daniela Lesmeister erfolgt sei, die lediglich zwei Monate Vorgesetzte der Beurteilten war. Dies widerspreche der einschlägigen Richtlinie.
Ihr Vorgänger, Staatssekretär Jürgen Mathies, der als Vorgesetzter immerhin gut zwei Jahre lang ihre Arbeitsleistung als Abteilungsleiterin beobachten konnte, war nach eigener Aussage nicht dazu befragt worden.
Nicht heilbarer Mangel
Dies sei ein nicht heilbarer rechtlicher Mangel, der zur Rechtswidrigkeit des Auswahlvermerks und des Kabinettsbeschlusses führe, so Lorse, Referatsleiter für Dienstrecht im Bundesverteidigungsministerium. Lesmeister sagte im Zeugenstand, es handele sich bei der Hinzuziehung des Vorgängers nach ihrer Rechtsauffassung um eine Kann-Vorschrift für den Fall, dass man sich kein eigenes Bild der Beurteilten machen könne.
Sie habe sich aber durch verschiedene Gespräche ein eigenes Bild machen können. Sie habe sich dabei einen Rundum-Blick über die herausragende Kompetenz der Bewerberin verschaffen können und würde sie heute wieder mit Bestnoten beurteilen.
Diese Gespräche seien nicht schriftlich dokumentiert, räumte sie auf Nachfrage ein. Aber dazu bestehe keine Verpflichtung. Auch dies sieht der Gutachter anders.
Mit wem sie damals konkret im Vorfeld der Beurteilung gesprochen habe, könne sie heute nicht mehr sagen. Sie habe die Beurteilung aber nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Dabei sei auf sie auch kein Einfluss ausgeübt worden.
Neu-Ausschreibung gefordert
Die Obleute von SPD und FDP im Untersuchungsausschuss zur Richteraffäre, der die Besetzung der OVG-Spitze untersucht, Nadja Lüders und Werner Pfeil, fordern nun eine Neu-Ausschreibung des bereits seit drei Jahren vakanten Postens. Sie wollen das Gutachten dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung stellen, kündigten sie an.
Die als rechtswidrig kritisierte Beurteilung sei die entscheidende gewesen, mit der die Bewerberin an ihren Konkurrenten vorbeigezogen sei, sagte Lüders. Zudem gebe es keine schriftlichen Unterlagen, die zeigen, wie Lesmeister zu ihrer Beurteilung mit ausschließlich Bestnoten gekommen sei.
Ex-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hatte zuvor als Zeuge im Untersuchungsausschuss zur Richteraffäre ausgesagt, er wisse nicht, wieso sein Besetzungsvorschlag nach der Landtagswahl 2022 nicht weiter verfolgt worden sei. Er habe das Votum der Fachabteilung für die Präsidentenstelle des Oberverwaltungsgerichts unterzeichnet und gedacht, damit seinem Nachfolger einen leeren Schreibtisch hinterlassen zu haben.
“Ich weiß nicht, warum das nicht wieder in den Geschäftsgang gegangen ist”, sagte er. “Für mich war das ein Vorgang, der läuft.” Ein Abteilungsleiter des Justizministeriums hatte ausgesagt, er habe den unterschriebenen Personalvorschlag von Biesenbach erst an dessen letztem Amtstag von diesem erhalten.
Unter Biesenbachs Nachfolger Benjamin Limbach (Grüne) war noch eine weitere Bewerberin hinzugekommen, die schließlich den Zuschlag der Landesregierung erhalten hatte. Dabei handelte es sich um eine Duz-Bekanntschaft und ehemalige Kollegin von Justizminister Limbach.
Die Frau, die wie ein konkurrierender Bundesrichter der CDU angehören soll, hatte ihr Interesse bei einem privaten Abendessen mit dem Minister bekundet. Der unterlegene Bundesrichter war gegen die Entscheidung vor Gericht gezogen.
Gab es Vettern- oder Parteibuchwirtschaft?
Der Untersuchungsausschuss will prüfen, ob Vettern- und Parteibuchwirtschaft den Ausschlag bei der Besetzung der Präsidentenstelle des Oberverwaltungsgerichts gab oder die Kompetenz der Bewerber. Zwei Verwaltungsgerichte hatten das Besetzungsverfahren gestoppt. Das in Münster hatte dabei scharfe Kritik geäußert und von manipulativer Verfahrensgestaltung geschrieben.
Das Oberverwaltungsgericht hatte als zweite Instanz gegen die Personalentscheidung in eigener Sache keine Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hatte die OVG-Entscheidung dann aber teilweise aufgehoben und zurückverwiesen. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe sahen Anhaltspunkte für eine Vorfestlegung, denen nicht ausreichend nachgegangen worden sei.