Bischof Wiesemann fordert eine Neuausrichtung der Kirche, um Glauben alltagsrelevant zu machen. Man verharre zu oft in Tradition. Dabei könne Kirche in einer säkularen Welt viel Trost und Halt bieten.
Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann glaubt an eine Überwindung der Krise in der katholischen Kirche. “Es gibt positive Ansätze, aber die Vermittlung zwischen Glauben und Lebensrealität muss dringend verbessert werden”, sagte Wiesemann der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe in der Kirche durchaus Impulse, “um den Glauben wieder ins Leben der Menschen” zu bringen. “Um spürbar zu sein, muss der Glaube Lebensrelevanz haben.”
Die Kirche müsse sich dringend stärker mit den Veränderungen in der Gesellschaft auseinandersetzen. “Ehrlicherweise fällt uns das oft schwer, da wir in manchem noch stark in traditionellen Glaubensformen verhaftet sind”, räumte der 64-Jährige ein. Die Kirche reagiere bisher nicht ausreichend auf die veränderten Umstände. “Die Säkularisierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass der Glauben im Alltag vieler Menschen keine Rolle mehr spielt.”
Äußerlich und innerlich zur Ruhe kommen
Dennoch könne Kirche Räume schaffen, in denen Menschen Trost fänden. “Auch in einem ansonsten ganz säkular gelebten Alltag suchen Menschen spirituelle Räume, in denen sie etwa Kerzen anzünden und so äußerlich und innerlich zur Ruhe kommen können.” Bei einem Besuch in Ruanda habe er vor kurzem erlebt, wie wichtig Menschlichkeit und Solidarität seien. “Der Genozid hat tiefe Wunden hinterlassen, doch das Konzept von Ubuntu – die Vorstellung von Menschlichkeit und Gemeinschaft – spielt eine zentrale Rolle im Heilungsprozess”, sagte Wiesemann.
Auch in Deutschland stehe die Kirche vor der Frage, welche Visionen sie für eine zunehmend verwundete Welt habe. “Wo gibt es Werte, die uns verbinden? Die großen Erzählungen, die uns einen Rahmen geben und die menschliche Würde fördern, sind jetzt wichtiger denn je”, sagte Wiesemann.