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Fried – Blick aus Berlin: Das Ampelchaos und die Auswirkungen auf den Verkehr

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Kein Respekt vor der Ampel! Sowohl die politische Ampel als auch die Verkehrsampel haben Probleme in einem guten Licht zu stehen.

Es ist an der Zeit, eine Lanze für die Ampel zu brechen. Sie leistet in den meisten Fällen vernünftige Arbeit, ist weitgehend zuverlässig, berechenbar und bürgernah. Und auch wenn wir uns manchmal über falsches Timing ärgern, die Ampel hie und da sogar ausfällt, so dient sie doch mit jeder Farbe unserem Überleben, jedenfalls wenn man ihren Anweisungen folgt. Wussten Sie, dass die Ampel in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiert?

Die Herren Lester Wire und Garrett Morgan sollen 1914 in Cleveland die weltweit erste elektrische Verkehrsampel in Betrieb genommen haben. Es käme nun einem argen politischen Kurzschluss gleich, wenn man deshalb von dem Polizisten Wire und seinem Erfinderfreund Morgan aus Ohio eine direkte Linie zöge zu der Unbill, die wir 110 Jahre später mit einer Ampel erleben, die auch ziemlich unter Strom steht und deshalb womöglich bald abgeschaltet wird.

Einen solchen Zusammenhang herzustellen verbietet sich übrigens auch, weil die Ampel in Cleveland nur zwei Farben zeigte, Rot und Grün. Bei aller anzunehmenden Genialität wäre es doch gewagt, Mister Wire und Mister Garrett zu unterstellen, sie hätten schon geahnt, dass es mit einer dritten Farbe nur jede Menge Ärger gäbe.

Interessanter ist in diesem Zusammenhang, dass die erste Ampel in Berlin, deren Nachbau heute am Potsdamer Platz zu sehen ist, zwar Rot für Stehen und Grün für Gehen anzeigte. Als dritte Farbe signalisierte jedoch ein reines Weiß, dass Fußgänger die Straße queren durften. Und oben im Ampelturm, so erzählt es der Historiker Hanno Hochmuth in seinem jüngsten Buch über Berlin, saß ein Schutzpolizist, der dazu beitragen sollte, “dass der neuen Ampel genügend Respekt entgegengebracht wurde”. Ja, so ein Schupo, das wär was …

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Die Explosion der Ampel

Noch einmal zurück zur Anlage in Cleveland: “Die Ampel und die damit einhergehende Berichterstattung löste in vielen Teilen der Welt geradezu einen Ampelboom aus.” So steht es auf der Fachseite Ingenieur.de. Von diesem Satz können jene politischen Tüftler nur träumen, die sich seit nunmehr drei Jahren daran versuchen, ihre Ampel zum Leuchten zu bringen. Kein Boom, nirgends. Zu befürchten steht, dass es ihr so ergeht wie einem Vorgängermodell in London, das mit Gas betrieben wurde: Diese mutmaßlich allererste Verkehrsampel überhaupt explodierte und war nicht mehr zu gebrauchen.

Im Sinne zukünftiger Verkehrsteilnehmer sollten wir allerdings nicht nur darüber nachdenken, was die Ampel für uns tun kann, sondern auch, was wir für sie tun können. Denn die Berichterstattung über die politische Ampel schadet auch der Straßenverkehrsampel und ihrer Autorität. Fortwährend sieht man jetzt als Begleitbilder zu irgendwelchen politischen Texten (zum Beispiel im stern) Ampeln, die schief an ihren Masten hängen oder an unbefestigten Kabeln baumeln; man sieht Ampeln mit zersplitterten Gläsern, aufgeregt blinkende oder gänzlich geschwärzte Ampeln. Wer aber soll die Ampel als eine Art immobile Exekutive des Verkehrsrechts noch ernst nehmen, wenn sie zum Symbol für Zerfall und Dysfunktionalität verkommt?

Früher wuchsen Generationen heran, die nur Helmut Kohl oder Angela Merkel als Bundeskanzler beziehungsweise -kanzlerin kannten. Heute ziehen wir Kinder groß, die noch nie die Fußballnationalmannschaft im Halbfinale eines großen Turniers gesehen haben – und die Kreuzungen überqueren, wie es ihnen passt, weil sie eine Ampel nicht mehr ernst nehmen, egal, in welcher Farbe sie gerade leuchtet.

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