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Horst Lichter: “Bei bewusstem Betrug hört für mich die Freundschaft auf”

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Horst Lichter hat ein Buch über Freundschaft geschrieben. Im stern-Interview erzählt er von Umarmungen, unnützen Followern  – und warum er sich manchmal selbst der Nächste ist.

Herr Lichter, Sie haben ein persönliches Buch über Freunde und Freundschaften geschrieben. Warum kommt es gerade jetzt?
Weil die beste Zeit für so ein Buch eben gerade jetzt ist. Denn diese Zeit verlangt danach, sich mal wieder ein wenig zu besinnen und sich zu fragen: Was ist wichtig? Habe ich einen Freund? Ist dies die Zeit für Freundschaft?


Sie meinen mit “dieser Zeit” eine Welt, die aus den Fugen geraten zu sein scheint? In der beispielsweise mitten in Europa Krieg herrscht?
Genau. Ich habe das Gefühl, in einer Zeit zu leben, in der jemand den gesunden Menschenverstand in ein Schließfach gepackt hat. Nun weiß niemand mehr, wer den Schlüssel zu diesem Schließfach hat. Vielleicht liegt es auch an meinem Alter, ich werde im Januar 63. Mit dem Alter sieht man viele Dinge anders, wird demütiger. Ich merke, dass mir in dieser Zeit Freunde wichtiger denn je sind. Natürlich würde ich mir wünschen, dass in dieser Welt mehr Menschen miteinander Freundschaft schließen könnten. Dass sie sich miteinander an einen Tisch setzen, dass sie zusammen essen und trinken, lachen und albern sind. Dann wäre alles gut.

Hatten Sie all das schon im Kopf, als Sie mit dem Schreiben anfingen?
Anfangs dachte ich, es würde vor allem ein lustiges Unterhaltungswerk werden, voller Anekdoten aus meinem Leben. Dann wurde es doch etwas anders, ernster und vielschichtiger vielleicht.

Zum besten Freund bin ich mir selbst geworden

Wie viele Freunde haben Sie?

Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich habe einen größeren Freundeskreis. Wirklich gute Freunde? Wohl weniger als eine Handvoll. Habe ich einen allerbesten Freund? Ich würde sagen: nein. Zum besten Freund bin ich mir selbst geworden. Das hört sich vielleicht egoistisch an. Aber ich habe mir im Buch auch die Frage gestellt: Möchte ich eigentlich mit mir selbst befreundet sein?

Und? Möchten Sie?

Früher vielleicht weniger, inzwischen schon eher. Aber ich möchte Ihnen eine Gegenfrage stellen: Würden Sie Ihren besten Freund vergiften?

Bares für Rares 17:17

Wohl kaum.
Richtig. Und trotzdem vergiften wir uns quasi selbst. Wir gehen mit uns selbst schlecht um. Ernähren uns ungesund, trinken oder rauchen oder arbeiten vielleicht zu viel. Ich finde es keinen egoistischen Gedanken, sich selbst der beste Freund sein zu wollen. Denn ich kann andere Menschen nur aus vollem Herzen mögen, wenn ich mich selbst mag, und wenn ich gut zu mir bin. Du musst dir selbst ein Freund sein können, um anderen ein guter Freund zu sein.

Es gab auch Phasen, in denen ich mit mir nicht so gut zurechtkam

Ist es Ihnen leichtgefallen, sich selbst zu mögen?
Ich will nicht so klingen, als sei mit mir immer alles in bester Ordnung gewesen. Es gab auch Phasen, in denen ich mit mir nicht so gut zurechtkam. Ich hatte schon oft Diskussionen mit mir selbst. Dennoch glaube ich: Kommst du mit dir selbst einigermaßen gut klar, kommst du auch mit der Welt besser klar. Es gibt ja eigentlich nur zwei Möglichkeiten, wie man sich mit zunehmendem Alter entwickelt.

Und zwar?

Entweder du wirst demütig und entwickelst mehr Verständnis und Empathie für alle. Oder du wirst so ein verbitterter Mensch oder Mega-Egomane. Dann wirst du der einsame Wolf. Das ist mir erst in den vergangenen Jahren mit zunehmender Reife richtig bewusst geworden.

Horst Lichter: “Zeit für Freundschaft?!”, Knaur, 208 Seiten, 22 Euro
© Knaur

Was bedeutet das für Freundschaften?
Manche Freunde kommen, manche gehen. Es gibt lebenslange Freundschaften und Freundschaften auf Zeit. Trennungen gehören zum Leben dazu. Wichtig ist es, sich zu erinnern, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Ein Freundeskreis ist so wichtig, um nicht zu verkümmern und einsam zu werden. Wir brauchen das Gefühl, gemocht zu werden und das Gefühl, andere zu mögen.

Wie lange kennen Sie Ihren ältesten Freund?
Den Peter beispielsweise kenne ich, seit ich 14 bin. Wir sind in derselben Straße aufgewachsen. Er ist für mich ein Freund, auch wenn wir gar nicht so viel und intensiv zusammen waren.

Was braucht Freundschaft?

Zuneigung, Sympathie und Respekt. Man muss sich auf Augenhöhe begegnen und sich gegenseitig alles gönnen.

Liebe ist größer als Freundschaft

Wie viel Differenzen und Dissens verträgt Freundschaft? Wie sieht es zum Beispiel mit völlig unterschiedlichen politischen Ansichten aus?
Freunde müssen nicht einer Meinung sein, aber es gibt Dinge, die für eine Freundschaft gefährlich werden können. Wenn jemand beispielsweise radikale politische Positionen vertritt, kann ich damit nicht umgehen. Da wird es mit der Freundschaft schwierig. Natürlich könnte ich sagen: “Hör mal, wenn wir zusammen sind, dann reden wir über Mopeds und Autos, aber nicht über Politik!” Aber ob das dann eine Freundschaft ist? Ich weiß es nicht.

Kann die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner gleichzeitig der beste Freund sein?
Meine Ehefrau ist meine Liebe. Zwischen Liebe und Freundschaft besteht für mich ein Unterschied. Liebe ist höher. Liebe ist größer. Die wahre Liebe geht viel tiefer als Freundschaft. Ich kann viele Freunde haben, aber nur wenige Menschen wirklich lieben.

Ich habe in meinem Leben zu viel malocht

In Ihrem Buch gibt es ein Gespräch zwischen Ihnen und Ihrem längst erwachsenen Sohn. Der sagt Ihnen sinngemäß, ihm fehle rückblickend die Kinder- und Jugendzeit mit Ihnen als Vater. Er hätte gern mehr Zeit mit Ihnen verbracht, aber Sie hätten immer gearbeitet. War Ihnen das so bewusst?
Ja, das war es, weil ich das Thema schon früher offen angesprochen habe. Mir wurde irgendwann bewusst, dass ich in meinem Leben viel zu viel malocht habe. Du hattest deine Arbeit, deine Ziele, deine Verpflichtungen, hattest Schulden bei der Bank, du musstest einfach Gas geben. In der Ecke sitzen und jammern – das ging für mich nicht.

Warum haben Sie so viel gearbeitet?
Das soll keine Entschuldigung sein, aber ich habe das Malochen von meinem Vater so vorgelebt bekommen. Der hat in der Kohle Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht, Wechselschicht gemacht und arbeitete dann noch auf dem Bau oder im Garten. Trotzdem habe ich meinen Vater geliebt. Dass meine Kinder ihre eigenen Kinder ganz anders aufwachsen lassen, mit viel mehr Zeit füreinander, das macht mich froh. Und dass mich mein Sohn heute als Freund betrachtet, auch.

Wie sind Sie aufgewachsen?
Ich habe vermittelt bekommen: Wenn du mit dem Rad hinfällst und dir das Knie aufschlägst, dann kannst du weinen oder schreien. Aber es kann auch sein, dass dich im Dorf keiner hört. Also musst du selbst aufstehen und dein Rädchen nach Hause bringen. Du musst selbst was tun. Willst du ein Moped, musst du arbeiten. Willst du ein größeres Moped, musst du mehr arbeiten. Es liegt an dir. Das alles finde ich immer noch richtig. Wenn draußen irgendwo Müll rumliegt, dann schimpfe ich nicht, sondern bücke mich und hebe ihn auf. Es liegt an mir.

Ist Freundschaft dazu der Gegenentwurf? Bei Freundschaft geht es ja nicht um Leistung, oder?
Das ist kein Widerspruch für mich. Freundschaft verlangt nichts. Freundschaft ist ein Gefühl. Und dieses Gefühl kann ich auch haben, wenn ich viel arbeite und mich selten melde. Freundschaft lässt sich nicht aufrechnen in Minuten, die man zusammen verbracht hat, oder wer wen wie oft angerufen hat.

Wann und wie spüren Sie dieses Freundschaftsgefühl?
Bei echten Freunden habe ich immer das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen. Und bei der Umarmung spüre ich schon, was zwischen uns los ist, ob wir uns noch nahe sind.

Sind Sie von einem Freund jemals so richtig enttäuscht worden?
Ja, aber das geht vermutlich jedem so, oder? Manchmal vertut man sich in einem Menschen. Das liegt bei mir daran, dass ich Menschen generell so lieb habe. Ich gehe immer erstmal generell davon aus, dass alle Menschen so sind wie ich. Da passiert es schon mal, dass man in jemanden viel Vertrauen und freundschaftliche Gefühle gelegt hat und dennoch benutzt wird.

Es nützt nichts, wenn jemand 250.000 Follower hat

Zusammengefasst: Was ist die Botschaft Ihres Buches?
Ich bin kein Prediger. Ich habe keine Botschaft. Wenn sich jemand in meinen Gedanken hier und da wiederfindet, dann bin ich schon froh. Vielleicht denkt beim Lesen jemand: Vielleicht sollte ich mal wieder meinen alten Freund anrufen. Mein Wunsch wäre es, dass die Menschen ein bisschen anders miteinander umgehen. Mit mehr Rücksichtnahme und mehr Empathie. Denn mein zentraler Gedanke ist: Wir brauchen einander und wir sollten andere so behandeln, wie wir auch selbst behandelt werden wollen. Es nützt überhaupt nichts, wenn jemand 250.000 Follower in den sozialen Medien hat. Das sind keine Freunde.

Was könnten Sie einem Freund nicht verzeihen?
Bewusst betrogen zu werden. Das könnten finanzielle Dinge sein oder persönlicher Betrug, etwa in der Liebe. Fehler macht jeder, gar keine Frage, aber bei bewusstem Betrug hört für mich die Freundschaft auf.

Vielen Dank für das Gespräch!

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