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Restaurantbetreiber in Berlin: Oz ist Israeli, Jalil Palästinenser: “Jeden Tag verlieren wir die Hoffnung”

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Ein Israeli und ein Palästinenser betreiben gemeinsam ein Restaurant. Sie schaffen das, was viele für unmöglich halten: Zusammenhalt. Ein Gespräch über Krieg, Hoffnung und Hummus.

Vor etwa einem Jahr ging Oz Ben David mit geröteten Augen ziellos durch Berlin. Schlaflose Nächte hatten ihn gezeichnet. Nur wenige Tage zuvor hatte sich im Nahen Osten alles verändert. Die Gräueltaten der Hamas, einer Terrororganisation, hatten das Leben von Millionen von Menschen aus der Bahn geworfen. Der Krieg war ausgebrochen.

Zusammen mit seinem Freund Jalil Dabit betreibt Ben David das Restaurant “Kanaan” in Berlin. Oz Ben David ist Israeli, Jalil Dabit Palästinenser. Ihr gemeinsames Lokal ist ein Ort, der in den vergangenen zwölf Monaten zum Symbol von Verständigung, Zusammenhalt und Resilienz geworden ist. Ein Ort, der der Angst trotzt, an dem das Unmögliche möglich wird und Brücken zwischen Kulturen gebaut werden.

Vor einem Jahr hatte der stern zum ersten Mal mit den beiden gesprochen. Über ihre Ängste, ihre Hoffnungen und übers Essen.

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Auch diesmal findet das Gespräch per Videokonferenz statt. Ben David ist in Berlin, Dabit in seinem zweiten Restaurant im israelischen Ramla, gelegen zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Dort herrscht mittlerweile wieder Betrieb. Als das Gespräch beginnt, ist zunächst nur Oz Ben David in der Leitung. Jalil Dabit lässt auf sich warten. “Ist Jalil auch in Berlin?”, frage ich. “Nein, er ist in der Kriegszone”, antwortet Ben David.

Oz Ben David trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem bunten Aufdruck: “Ich bin hummussexuell”. Schließlich schaltet sich auch Jalil Dabit dazu. Wie schon vor einem Jahr steht er in seiner Küche in Ramla. Auch er trägt das schwarze Shirt mit dem Hummus-Spruch.

Banaler Einstieg, aber in diesen Tagen viel mehr als nur eine Floskel: Wie geht es Euch?

Dabit: Ich fühle mich wie auf einer Achterbahnfahrt. Manche Tage sind schön, andere wiederum eine Katastrophe. (Jalil läuft in seinem Restaurant auf und ab und blickt immer wieder zur Decke hinauf.) Hier fliegen den ganzen Tag Flugzeuge über das Restaurant hinweg, sie kommen von Norden und von Süden. Es ist wie ein posttraumatischer Zustand und erinnert mich an das vergangene Jahr. Wir sind nach wie vor mitten im Krieg. Letzten Monat war ich zweimal in Berlin. Es war schön. Ich fühlte mich optimistisch und hatte das Gefühl, die Zukunft sehen zu können. Doch zurück in Ramla steht mir das echte Leben wieder bevor. Berlin ist ein Ort, zu dem man fliehen kann, um eine neue Perspektive auf die Dinge zu bekommen. Gerade jetzt würde ich das gerne.

Ben David: Könntest Du Deinen Leserinnen und Lesern eine Frage stellen?

Wie soll die lauten?

Ben David: Könntet ihr uns dabei helfen, zu verstehen, warum Jalil dort mit seiner Familie bleiben möchte? Er könnte theoretisch abhauen und nach Berlin kommen. Wir könnten hier zusammen arbeiten, unsere Ängste, aber auch unsere Hoffnungen teilen.

Warum bleibst Du in Israel, Jalil?

Dabit: Hier sind meine Wurzeln. Hier ist meine Familie. Ich möchte hier sein. Meine Familie hat ihr Land während des Zweiten Weltkriegs verlassen. Ich will nicht die Person sein, die geht. Ich will nicht, dass sich Geschichte wiederholt. Ich weiß, dass es nicht einfach wird. Aber ich gehe erst dann, wenn sie mich aus meinem Haus werfen.

Ben David: Es ist eine verrückte Entscheidung zu bleiben. Für Dich, für Deine Kinder; Du könntest in 48 Stunden in Berlin sein – und Du hast einen israelischen Pass.

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Dabit: Ich fürchte, wenn ich einmal nach Berlin gehe, kann ich vielleicht nicht mehr zurückkehren. Dass die israelische Regierung sagt, du hast hier kein Leben mehr.

Ben David: Aber Du musst auf Dich aufpassen und auch an Deine Kinder denken …

Dabit: Ich bin fest davon überzeugt, dass es Menschen wie ich sind, die diese Vision haben, dass wir zusammenleben können und dass wir etwas erreichen können.

Du schüttelst den Kopf, Oz. Warum?

Ben David: Es gibt nicht viel, was wir an Deinem derzeitigen Ort tun können, Jalil. Ich kenne den Preis, den Du und Deine Familie, Deine Kinder jetzt gerade zahlen. Wir können nicht für den Frieden in Israel werben. In den israelischen Medien ist dafür kein Platz, es ist sehr unbeliebt, darüber zu sprechen.

Oz, als wir vor einem Jahr schon einmal miteinander sprachen, sagtest Du, Deine größte Angst sei, dass Hass über Liebe triumphieren würde. Dass Frieden unmöglich wäre. Dass Juden und Muslime niemals Brüder sein könnten …

Ben David: Wir werden nie Brüder sein.

Fühlst Du Dich als Jude sicher in Berlin?

Ben David: Ich weigere mich, die Frage so zu beantworten, wie Du sie stellst. Würdest Du diese Frage genauso einem Muslim oder einer christlichen Mutter stellen? Wir alle haben Ängste. Viele christliche Mütter und Väter haben Angst um die Zukunft ihrer Kinder und wie Deutschland in der Zukunft aussehen wird. Queere Menschen haben Angst. Muslimische Menschen haben Angst. Aber selbst im Angesicht des Hasses machen wir Unterschiede. Dabei fühlen wir alle das Gleiche. Nicht nur Juden haben das Recht, Angst zu empfinden. Dieses Recht steht auch Muslimen, Homosexuellen, Menschen zu, die seit Jahren in Berlin leben und sehen, wie sich die Stadt vor ihren Augen verändert.

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Hast du Angst?

Ben David: Ja.

Dabit: Wenn wir über Angst sprechen: Sie ist auch hier. Alle haben Angst, unabhängig von Nation oder Religion.

Jalil, als der Krieg begann, boykottierten die Gäste Dein Restaurant in Israel, weil du als Besitzer Palästinenser bist. Sind die Gäste zurückgekehrt?

Dabit: Ja, aber nicht genug. Wenn ich sage, ich fühle mich wie auf einer Achterbahn, meine ich auch das Restaurant. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir nicht in einem Krieg sind, aber in manchen Wochen ist die Stadt wie leergefegt. Und da sich der Krieg nun in den Libanon verlagert hat, greift die Hisbollah auch immer mehr im Zentrum des Landes an.

Ben David: Israel ist eine Nation in Depression. In jeder Hinsicht.

Was macht Ihr konkret, um die Hoffnung nicht zu verlieren?

Ben David: In den letzten Monaten haben wir unsere Energie auf verschiedene Aktivitäten und Aktionen gerichtet. Wir sind ständig im Gespräch mit Politikern und Bildungseinrichtungen. Wir haben auch vor 300 Schülern in Thüringen gesprochen, mit jungen Leuten, um zu erfahren, wie sie die Zukunft sehen. Wir thematisieren unbequeme Wahrheiten, denn nur so können wir Lösungen finden. Aber zuerst muss man überhaupt miteinander reden.

Dabit: Wir haben die Fähigkeit verloren, miteinander zu reden, sogar unter Freunden.

Apropos Freundschaft: Ist Eure Freundschaft stärker geworden, oder hat sie Risse bekommen?

Ben David: Sie ist stark gewachsen. Wir sind wie ein altes Ehepaar. Wir streiten uns, aber am nächsten Tag ist alles wieder wie vorher.

Dabit: Eine Sache hat sich verändert. Oz hat gelernt, sich zu entschuldigen (lacht). Und wir lachen viel miteinander, das hilft wirklich.

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Euer Restaurant “Kanaan” wurde in der Nacht zum 21. Juli von Unbekannten verwüstet. Habt Ihr danach Euren Glauben verloren?

Ben David: Nicht für eine einzige Minute. Wir haben zehn Minuten gesprochen und einen Plan gemacht, zwei neue Orte eröffnen zu wollen.

Dabit: Oz sagte mir, dass er mittags kein Essen mehr servieren will. Stattdessen will er täglich mit Schulklassen kochen und mit ihnen sprechen. Wir haben unser Team in unsere Pläne eingeweiht und eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen. Wir haben das Negative in etwas Positives umgewandelt.

Ben David: Wir hoffen, dass wir die Leute inspirieren konnten. Das Einfachste wäre gewesen, wütend zu werden und mit der Polizei darüber zu streiten, warum sie den Vorfall nicht als Hassverbrechen deklariert. Aber wir haben diesen Kreislauf der Negativität durchbrochen.

Was ist genau im Restaurant passiert?

Ben David: Wir haben nicht genau mit den Gästen darüber gesprochen, was im Inneren des Restaurants vor sich ging. Wir wollten nicht das Image eines Ortes belasten, an dem man zusammenkommt, um zu essen. Die Täter haben nichts an die Wände gekritzelt, aber sie haben eine sehr, sehr starke Botschaft im gesamten Restaurant hinterlassen. 

Wir fühlen uns mindestens einmal am Tag hoffnungslos.

Eure Ausdauer und Stärke sind beeindruckend. Verliert Ihr jemals den Mut oder die Hoffnung?

Ben David: Ich verliere jeden Tag die Hoffnung. Aber ich habe eine Struktur, ich habe einen Partner und engagierte Mitarbeiter, die mich jeden Tag erneut daran erinnern, warum wir das alles tun. Aber ich möchte, dass die Menschen unser Gefühl der Hoffnungslosigkeit verstehen. Wir fühlen uns mindestens einmal am Tag hoffnungslos.

Wie hat sich Euer Essen in den letzten Monaten in den Restaurants verändert?

Ben David: Wir sind “deutscher” geworden (lacht). Wir wollen die Gäste mit unseren Ideen und Visionen füttern. Unser syrischer Koch bereitet Klöße mit Minze und Chili zu und lässt sie in eine Suppe aus Joghurt und Knoblauch fallen. Wenn wir dann in die überraschten Augen unserer Gäste blicken, ist das fantastisch. Auf diese Weise begegnen sich die Kulturen.

Dabit: Ich habe mein Essen nicht verändert, weil mein Restaurant seit 75 Jahren besteht. Unsere Gäste wollen keine Veränderung, sie wollen klassische und authentische Gerichte. Sie wollen zeigen, dass die palästinensische Küche existiert.

Ben David: Ich denke, Jalil, Dein Essen hat sich sehr wohl verändert. Manchmal sehe ich ein Gericht und weiß nicht, ob es bei uns in Berlin gekocht wurde oder bei Dir in Ramla. Und Du bereitest jetzt viele Gerichte aus Deiner Kindheit, von Deiner Mutter zu. Comfort Food. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es eine Art stärkere Besinnung zu Deiner Identität ist. Rezepte aus dem Kanaan 17.58

Ist Hummus immer noch so wichtig in Eurem Alltag?

Ben David: Es ist die Grundlage von allem. Wie das Atmen. Hummus ist meine weiße Leinwand, die sich täglich ändert. Je nach Angebot auf dem Markt, was wir in den Nachrichten sehen und was wir an diesem Tag fühlen. Alles baut auf Hummus auf.

Jalil, wie baust du in Ramla Brücken mit Deinem Essen?

Dabit: Ich unterhalte mich viel mit meinen Gästen. Ich erzähle ihnen die Geschichten über mein Essen, aber in Israel ist das recht schwierig. Ich gebe die Hoffnung trotzdem nicht auf.

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