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“Intermezzo”: Literaturstar der Millennials: So ist Sally Rooneys neues Buch

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In ihrem vierten Roman “Intermezzo” erzählt Sally Rooney manchmal etwas zu kitschig von der Trauer zweier Brüder über den Tod ihres Vaters.

Elf Tage seit der Beerdigung. Oder doch schon zwölf? Egal. Jetzt ist der Vater halt tot. Und Ivan, was für einen scheußlichen Anzug hatte er bei der Beerdigung an? Dazu die Zahnspange. Blamage. Auch egal. Erst mal zurück in die Stadt, zu Naomi, der lebensleichten Kifferin, erst mal ablenken, wie immer.

“Intermezzo” erzählt von zwei trauernden Brüdern

So beginnt Sally Rooneys neuer Roman “Intermezzo”. Es ist die Geschichte der Brüder Peter und Ivan Koubek. Peter ist 32 Jahre alt, ein attraktiver und erfolgreicher Menschenrechtsanwalt, der das Gewinnen gewohnt ist. Oder wie es im Buch heißt: “Ringen um Dominanz, sein ganzes Leben schon.”

Ivan ist 22 Jahre alt, groß und schlaksig, wegen seines insektenhaften Körpers wurde er in der Schule früher “Spider Koubek” genannt. Ivan macht gerade seinen Abschluss in theoretischer Physik, parallel verdient er Geld mit Simultanschach. Peter hält Ivan für “speziell”, er sei “ein Roboter”, heißt es, und “irgendwie autistisch.”

Umgekehrt kann auch Ivan Peter nicht leiden, empfindet ihn als altklug und wichtigtuerisch. “In Wirklichkeit hasse ich dich”, schreit Ivan an einer Stelle. “Ich hasse dich schon mein ganzes Leben.” Zwei Brüder, zwei Feinde – mit einer Gemeinsamkeit: Sie haben ihren Vater an den Krebs verloren.

Sally Rooney entwirft wieder Leidfiguren

Wie also umgehen mit dem Tod, mit dieser riesengroßen Frechheit, mit diesem einen Ereignis, auf das wir alle zusteuern, unumstößlich und absolut? Wie trauert man richtig? Gibt es das überhaupt: eine richtige und eine falsche Trauer? Diese existentiellen Fragen stellt Sally Rooney in ihrem vierten Roman. Nicht überraschend, Leid und Verletzlichkeit sind schon immer zentrale Themen in ihren Büchern gewesen. Man könnte auch sagen: Rooney ist die zeitgenössische Schmerz-Queen der Literaturwelt. 

Sally Rooney, geboren 1991 in Irland, gilt inzwischen als Phänomen – sogar Barack Obama führt sie auf seiner “must read”-Liste. Nach einem Studium am Trinity College in Dublin veröffentlichte Rooney 2017 ihren Debütroman: “Gespräche mit Freunden” wurde zum großen Erfolg. Ihr Durchbruch gelang ihr 2018 mit „Normale Menschen“, mehr als eine Million verkaufte Bücher. Beide Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt. 

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Rooney schreibt über junge Erwachsene, deren komplizierte Beziehungen irgendwo zwischen Liebe, Freundschaft und Trennung flimmern. Fast immer geht es um die Frage: Wie können Menschen mit emotionalen Wunden umgehen, ohne in Isolation oder Selbstzerstörung zu verfallen? Rooney zeichnet häufig Figuren, die keine Sprache für ihr Leid finden. Unausgesprochener Schmerz, der wächst und wuchert, weil er die ganze Zeit unterdrückt wird. So auch dieses Mal.

Die Utopie eines schmerzfreien Lebens

Nach der Beerdigung des Vaters flieht Peter vor sich selbst. Um die Leere nicht zu fühlen, betäubt er sich mit Alkohol, Arbeit, Xanax und Sex. Er gleitet über seinen Schmerz wie ein Surfer über Wellen: schnell und oberflächlich. Zuflucht sucht er bei der 22-jährigen Naomi, einer Studentin, mit der er seit einem Jahr schläft; richtig zusammen sind sie nicht. “Ihre Unbekümmertheit hat etwas Sinnliches”, denkt Peter an einer Stelle. Naomi verkörpert Genuss, Leichtigkeit und jugendliche Naivität. Daran berauscht er sich, jagt dem Ideal eines schmerzfreien Lebens nach. Bis er nicht mehr kann. “Ganz ruhig steigt der Gedanke an die Oberfläche seines Verstands: Ich wünschte, ich wäre tot.”

Peters Bruder Ivan geht mit dem Verlust des Vaters anders um. Er empfindet ihn als Freiheitsgewinn, weil er jetzt nicht mehr ängstlich darauf warten muss, dass der schwerkranke Vater bald stirbt. Für ihn ist der Tod der Anlass, sein bisheriges Leben zu hinterfragen. Hätte er weniger Schachspielen und mehr ausgehen sollen? Hat er seine Jugend verschenkt? “Leben”, denkt Ivan, “er musste leben, um über dieses schreckliche Ereignis hinwegzukommen.”

Liebe als Gegengift zur Trauer

Dieser unbedingte Wunsch, sein Leben zu intensivieren, wird auch ausgelöst durch eine Frau: Margaret. Sie ist 36 Jahre alt, geschieden und organisiert Kulturveranstaltungen. Beide fühlen sich wie Außenseiter, beide haben ihre Väter verloren. Es wirkt, als öffne sich mit Margaret ein riesiger Gefühlskanal in Ivan, durch den nun alles fließen kann, auch seine Trauer. Als habe er durch die Nähe zu ihr erst Nähe zu sich selbst gefunden. „Ivans Gefühle für seinen Vater zum Beispiel, die nirgendwo hinkönnen, als wären sie in ihm verwahrt, unausgesprochen”, schreibt Rooney. “Wenn er voller Liebe an Margaret denkt, verschafft ihm allein das etwas Linderung, weil er die Liebe in Gedanken zulässt, wie eine Blüte, die sich öffnet.” Das ist die neue Welt, die in Ivan aufreißt: Liebe als Gegengift zur Trauer. 

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Beiden Brüder lassen anfangs, jeder auf seine Weise, an die Figur Walter Faber aus Max Frischs Roman “Homo Faber” denken. Ivan, der Naturwissenschaftler, der das Leben analytisch und nüchtern betrachtet, als eine Art mathematische Formel, die es zu lösen gilt. Sein Blick auf die Welt ist versachlichend und ordnend, wie beim Schach – bis er Margaret trifft. 

Peter wiederum verschließt sich zwanghaft seinen Gefühlen, weil er sich für sie schämt, so wie Walter Faber. Fühlen bedeutet für ihn Schwäche.

Leider immer wieder kitschig

Während Rooney die Figur Ivan weiterentwickelt, geschieht das bei Peter leider kaum. Auch deshalb wirken die fast 500 Seiten stellenweise ermüdend. Die Handlung tröpfelt dahin, immer wieder bläst Rooney unnötig viele Details bedeutungsvoll auf. Das klingt dann so: “Auf seiner schmutzigen Wolle glänzen silberne Regentropfen, sein Gesicht ist samtschwarz. Goldgrüne Felder erstrecken sich in die mattblaue Ferne. Um sie herum überall endlos klare Luft und Licht, gefüllt mit dem flüssigen, süßen Gesang der Vögel.” Das ist nicht tiefgründig, sondern kitschig. 

Am stärksten ist “Intermezzo”, wenn Rooney nicht versucht, bedeutungsschwanger zu klingen. Die Dialoge der Figuren, ihre inneren Monologe, vor allem die Gedankengänge von Ivan – sie wirken meisterhaft echt. Hier ist Sprache reduzierter, kein pathetisches Tamtam, keine Metaphern. Sie schreibt klar und präzise, eben wie Menschen tatsächlich reden. Und erzeugt so große Nähe, weil man sich sofort damit identifizieren kann, wie ihre Figuren fühlen. 

Da schafft Rooney wieder, für was sie berühmt wurde: Ganz leise von Großem erzählen. Von der Liebe.

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