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Meinung: Fall Gelbhaar: #Metoo-Vorwürfe sind eine Waffe

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Die Belästigungsvorwürfe gegen den Grünen-Politiker sind zum Teil erfunden. Wer jetzt „Cui bono?“ fragt, sollte recherchieren – oder einfach mal die Klappe halten.

 

Im #Metoo-Kontext ist schon der Vorwurf eine Waffe. Denn der Verdacht wird Anklage, wird Urteil – und die Strafe folgt meist auf dem Fuße. Der Fall Stefan Gelbhaar ist ein Paradebeispiel für diesen Mechanismus. Er hat ein Drama in Gang gesetzt mit vielen Dimensionen – einer politischen, einer medialen und sehr wahrscheinlich diversen persönlichen. 

Gleich mehrere Frauen hatten vor Weihnachten gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten der Grünen schwere Vorwürfe erhoben, es ging um Grenzüberschreitungen, um Berührungen, ungewollte Küsse und in einem besonders schweren Fall sogar um eine potenzielle Vergewaltigung – womöglich unter Anwendung von K.-o.-Tropfen, denn Anna K.” habe sich nicht mehr an alles erinnern können. 

Zum Schweigen verpflichtet

Die Vorwürfe wurden anonym einer parteiinternen Ombudsstelle der Grünen gemeldet, alle Beteiligten zum öffentlichen Schweigen verpflichtet. Entsprechend schlecht konnte Gelbhaar sich dagegen zur Wehr setzen. Wenig später wurden die Anschuldigungen auch an den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) herangetragen – und veröffentlicht. Auch die Vorwürfe von “Anna K.”

Stefan Gelbhaar: Belästigungsvorwürfe erfunden?   11.00, aktualisiert 13.45

Nur haben die sich jetzt offenbar als falsch herausgestellt. Es gibt den neusten Recherchen von “Tagesspiegel” und RBB zufolge keine “Anna K.”, nur eine grüne Bezirkspolitikerin, die deren Geschichte wohl erfunden hat. Sie betreffen den harten Kern der Anschuldigungen. 

Jetzt haben die Grünen ein Problem. Und der RBB. Denn wer solche Anschuldigungen in die Welt trägt, muss aufpassen, nicht unweigerlich selbst zum Kombattanten zu werden – in einem möglicherweise gerechten Krieg, vielleicht aber auch in einem persönlichen Rachefeldzug oder einer politischen Feldschlacht. 

Aus Möglichkeit wird Tatsache, aus Vorwurf das Urteil

Es ist ein Dilemma. Medien dürfen darum nur mit besonderer Vorsicht über solche Fälle berichten. Von “mutmaßlich” ist dann meist die Rede, von “soll” und “könnte” und “heißt es” – doch oft reicht das nicht aus, um zu verhindern, dass im Kopf der Leserinnen und Leser aus dem Konjunktiv der Indikativ wird. Aus der Möglichkeit die Tatsache. Aus dem Vorwurf das Urteil. Mit allen realen Folgen für die Betroffenen. 

Gelbhaars persönlicher Ruf ist maximal beschädigt, seine politische Karriere vorerst jäh beendet. Er flog von Platz eins auf der Berliner Landesliste zur Bundestagswahl. Auch sein Direktmandat, das er im Wahlkreis Pankow geholt hatte, wird er nun wohl nicht mehr verteidigen, denn in der letzten Woche haben die Grünen die Abstimmung über die Wahlkreiskandidatur wiederholt, und eine Ersatzkandidatin gewählt. Aus rein politischen Gründen versteht sich, weil der ungeklärte Verdacht den Wahlkampf der Partei so belaste. No offense

Was soll man machen? Der Verdacht, die schiere Anzahl der Fälle, die Fülle der Details. Und nicht zuletzt die “eidesstattlichen Versicherungen”, auch die von “Anna K.”. Nur schützt die eben nicht vor Lügen. Denn abgegeben gegenüber Journalisten haben solche Aussagen nur den juristischen Wert eines – pardon my french – “Indianerehrenworts”. Schließlich macht sich laut Paragraf 156 Strafgesetzbuch nur strafbar, wer eine Erklärung “an Eides statt” gegenüber einer Behörde abgibt. Manche Mitarbeiter des Hauses mögen es anders erleben, aber eine solche ist der RBB nicht.  

Noch schlimmer wiegt, dass eine solche Erklärung formal nur abgeben kann, wer sich eindeutig identifiziert. Was sich in diesem Fall denklogisch ausschließt, denn “Anna K.” existiert offenbar nur im Kopf einer grünen Bezirkspolitikerin anderen Namens – und besitzt demnach weder Personalausweis noch Pass, mit dem sie sich gegenüber den RBB-Reportern hätte eindeutig identifizieren können.  

Gelbhaars politische Karriere ist vorerst trotzdem beendet. Der Kreisverband Pankow prüft, was man jetzt tun könne. Es sind nicht alle Vorwürfe vom Tisch, es bleiben diverse offene Fragen.  

Wer Fragen hat, muss recherchieren

Wie missbrauchsanfällig sind die grünen-internen Verfahren, bei denen der Opferschutz Priorität hat und sonst absolutes Stillschweigen gilt?  

Was bedeutet das für die Glaubwürdigkeit der anderen Vorwürfe, die gegen den Grünen-Politiker erhoben wurden? 

Was lernt der RBB aus den Fehlern seiner Berichterstattung, die der Sender inzwischen selbst komplett offline genommen hat?  

Aber es ist vor allem eine Frage, die gerade gerne gestellt wird: Cui bono? Wem nützt es?, so raunt es in den sozialen (und manchem asozialen) Medien.  

Platz zwei der Grünen Landesliste zur Bundestagswahl ging nun doch nicht an Stefan Gelbhaar, sondern an Andreas Audretsch – und der ist schließlich Habeck-Vertrauter. Und mit Julia Schneider haben die Pankower Grünen in der vergangenen Woche ausgerechnet eine junge Frau zur Ersatz-Wahlkreiskandidatin gewählt.  

Natürlich ist “Cui bono?” eine rhetorische Frage, die Fortsetzung der Verdachtsberichterstattung in ihrer politisch perfiden Form. Es ist das “Nachtigall-ick-hör-dir-trapsen” eines vermeintlichen Politikjournalismus, der vorgibt, mehr zu wissen – in Wahrheit aber nicht mehr kann als raunen.  

Wer “Cui bono?” fragt, soll recherchieren, soll Verantwortlichen, Betroffenen, Wissenden und Mitwissern Fragen stellen, soll Fakten prüfen und Fehler finden und solange recherchieren, bis er oder sie ein paar Antworten kennt. Bis dahin könnte man einfach mal die Klappe halten. Sonst geht dieses unwürdige Verdachtsschauspiel in die nächste Runde. 

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