Nichts für Zartbesaitete: Die ARD-Dokumentation “Wir und das Tier – Ein Schlachthausmelodram” zeigt Metzgerinnen und Metzger bei der Arbeit. Und zwei Hobby-Schlachterinnen.
Schichtbeginn im größten Rinderschlachthof Europas. In der Stätte der Massentiertötung schaltet ein Mitarbeiter das Licht an. Unter der grellen Beleuchtung erwachen die Maschinen. Industrielles Surren, metallenes Klirren. Alles wirkt blitzblank, steril. Schlachterhaken setzen sich an der Decke in Bewegung. Draußen kommt der erste Kuh-Transport an.
Die Doku von David Spaeth (Grimme Preis für “Betrug – Aufstieg und Fall eines Hochstaplers”) zeigt den Prozess vom fröhlichen Muhen zum anonymen Steak in allen Einzelheiten. Er erspart dem Publikum nichts. Kühe werden fließbandartig getötet und in Einzelteile zerlegt. Eine Sau hängt von der Decke und blutet aus. Eine Frau weint um ein Schwein, kurz vor seinem Tod. Nicht alles wird im Detail gezeigt, aber die Bilder reichen für ein starkes Gefühl der Beklemmung.
Weltweit steigt der Fleischkonsum an
In Deutschland sinkt der Fleischkonsum, weltweit steigt er an. “Wir haben eine breite Mehrheit, die Fleisch isst. Und wenn die Gesellschaft das okay findet, muss es irgendwie hergestellt werden”, sagt Schlachterin Elisabeth. Sie gehört zu denen, die in dieser Doku offen über ihren Beruf sprechen. Menschen, die nicht leicht zu finden waren, drei Jahre hat Spaeth für seinen Film recherchiert. Auch die beiden Geschäftsführer des bayrischen Rinderschlachthofes geben ein Interview: “Ich liebe Tiere. Aber ich hab‘ auch kein Problem damit, mein Nahrungsmittel davon zu beziehen”, sagt David, der wie sein Kollege Matthias nur mit Vornamen auftaucht.
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Während die beiden Hemdenträger vor einem idyllischen Bild sitzen – weidegrasende Rinder, blauer Himmel –, ist Mitarbeiter Ionel mit Akkordarbeit beschäftigt. Die Rinder aus dem Kuh-Transport kommen nach und nach zu ihm in den “Schießstand”. 500 bis 1000 Tiere sind es pro Tag. Er hat eine Minute Zeit, streichelt ihnen über den Rücken, summt ihnen vor, um sie zu beruhigen. “Wenn eine Kuh besonders gestresst ist, schließe ich manchmal die Augen, wenn ich es töte”, sagt er. Seitdem er täglich mit dem ganzen Blut konfrontiert sei, äße er kein Rindfleisch mehr.
Immer wieder ist die Rede von Respekt und Verantwortung den Tieren gegenüber. Momente des Haderns und Nachdenkens werden laut. Jürgen ist seit 40 Jahren Metzger, leitet eine Bio-Fleischproduktion: “Es fällt mir immer schwerer, ein Tier zu töten, statt, dass es leichter wird.” Schlachterin Elisabeth vermutet, dass in Zukunft noch einmal neu definiert werden wird, ob man Tiere überhaupt töten darf – und es jemals durfte.
Eingeladen zum Schlachterkurs
Auf ein merkwürdiges Experiment haben sich zwei Lehrerinnen eingelassen, besuchen in einer hessischen Landfleischerei einen Schlachterkurs. Die eine Katrin hat den Kurs der anderen Katrin zum Geburtstag geschenkt. Die Motivation bleibt unklar: Ist es Neugierde? Eine Mutprobe? Der Metzger begrüßt die beiden in seinem Laden. Das Grinsen in seinem Gesicht bleibt die ganze Zeit über konstant, wie ein Schutzschild. Die blonde Katrin sagt: “Wir freuen uns drauf.” Als sie später die Schweine im Gatter sieht, zögert sie. Am nächsten Tag fließen Tränen. Zwischen Euphorie und Schockmoment gibt es Schlachtplatte: geräucherte Jagdwurst, Schinken. Betäubt werden die Schweine mit einer Elektrozange, erklärt ihnen der Grinse-Metzger. “Easy” sei das.
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In den frühen Morgenstunden geht es los mit einer Szene, die nur schwer auszuhalten ist. Es ist dunkel, ein paar Schweine schlafen noch, der hessische Metzger geht herum, schlachtet routiniert Tier um Tier. Fünf sind es oder sechs. Die beiden Frauen stehen am Gatter und schauen zu. Der Boden ist voller Blut, nur ein Schwein ist noch übrig, stupst mit seinem Rüssel einen toten Artgenossen an. Der Körper wird weggezerrt. Dann stirbt auch das letzte Schwein. Die blonde Katrin weint. Die andere staunt, dass es so schnell so viele waren.
An dieser Stelle spielt die Doku die Gewissensfragen zurück an den Konsumenten: Darf man Tiere töten? Und wenn ja, wie viele? Zehn, Hundert, Tausende pro Tag? Und darf man dabei weinen, wenn man gern in ein saftiges Schnitzel beißt? Pflanzenfresser triumphieren, haben ihre Entscheidung auch ohne “Schlachthausmelodram” längst getroffen. Alle anderen kommen dabei vielleicht ein wenig ins Grübeln.
Die Doku befindet sich in der ARD-Mediathek.