Joe Bidens politische Verdienste sind historisch. Sie ändern nichts daran, dass er in Erinnerung bleiben wird, als der Präsident, der keinen Nachfolger aufbauen konnte.
Als Joe Biden am dunklen Schreibtisch im Oval Office zu seiner Abschiedsrede ansetzt, umringt von Familienfotos und der amerikanischen Flagge, ist ihm anzumerken, wie schwer ihm die Worte fallen. “In den vergangenen vier Jahren hat sich unsere Demokratie bewährt. Und jeden Tag habe ich mein Versprechen gehalten, Präsident für alle Amerikaner zu sein” – so beginnt er mit leiser Stimme seinen 17-minütigen Monolog.
Hier spricht ein Mann, der sein ganzes Leben lang Präsident sein wollte. Dass er es schließlich wurde, lag nicht daran, dass die Amerikaner sich in ihn verliebt hatten. Ihre Hoffnung war, dass Biden das Land aus den Chaosjahren unter Donald Trump zurück in die Normalität führen würde. Auch Biden hoffte, das Kapitel Trump ein für alle Mal zu beenden und eine neue Seite in der amerikanischen Geschichte aufzuschlagen. Doch seine eigene Sturheit und das Klammern an die Macht ebneten den Weg für Trumps historisches Comeback. Nun ist Biden derjenige, der in den Geschichtsbüchern zwischen zwei Trump-Amtszeiten gequetscht wird, der dafür kämpfen muss, nicht vergessen zu werden.
Deutlich wurde das, als er zu Beginn seiner Rede die frohe Botschaft aus Nahost verkündete: Der über Monate verhandelte Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas war endlich in trockenen Tüchern. In dem außenpolitischen Erfolg für Biden offenbart sich eine Tragik, die sich durch seine gesamte Präsidentschaft zieht. Obwohl es seine Regierung war, die mehr als 15 Monate lang die Vermittlungen am Laufen hielt, spricht die Welt vom “Trump-Effekt”, weil dieser am Ende den Druck noch einmal erhöht hatte.
Selbst in einer seiner strahlendsten Stunden wird Biden von dem Mann überschattet, der in seine Fußstapfen treten wird.
Trump Effekt Gaza Deal Fabian Leonie 19:16
Joe Bidens Amtszeit kann sich sehen lassen
Die Tragik des Joe Biden besteht darin, dass sich seine Amtszeit auch als eine der erfolgreichsten in der jüngeren amerikanischen Geschichte deuten lässt. Er hat das Land aus der schlimmsten Pandemie der modernen Geschichte geführt. Er half der Wirtschaft nicht nur wieder auf die Beine, sondern setzte mit umfassenden Gesetzespaketen zukunftsorientierte Schwerpunkte, das Land investierte unter ihm Billionen von Dollar in saubere Energien und Hightech-Industrien. Es war Biden, der die Nato in ihrer dunkelsten Stunde zusammenhielt, der das Bündnis stärkte und es schaffte, die Ukraine gegen die Invasion Russlands zu verteidigen, ohne einen Atomkrieg ausbrechen zu lassen.
Sein vielleicht größter Verdienst in den USA: In einem zutiefst polarisierten Washington hat Biden bewiesen, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien weiterhin möglich ist. Schon als junger demokratischer Senator machte er sich 1972 als Mann der Mitte einen Namen, der sich nicht scheute, den Republikanern die Hand auszustrecken. Sein diplomatisches Geschick, beide Seiten an den Tisch zu bringen, half ihm im Weißen Haus bei der Verabschiedung einer beachtlichen Reihe parteiübergreifender Gesetze – vom Ausbau der Infrastruktur über Hilfen für die Ukraine, dem Schutz der gleichgeschlechtlichen Ehe bis hin zur Stärkung der Rechte von Veteranen.
Biden widmete einen großen Teil seiner Abschiedsrede dieser Agenda. “Gemeinsam haben wir eine neue Ära amerikanischer Möglichkeiten eingeleitet”, sagte er und zählte stolz die Errungenschaften auf, “von neuen Straßen, Brücken und sauberem Wasser bis hin zu erschwinglichem Hochgeschwindigkeitsinternet für jeden Amerikaner”.
Sicher, Biden verharmloste wirtschaftliche Entwicklungen – die zähe Inflation. Zu spät reagierte er auch auf die Flüchtlingskrise an der Südgrenze des Landes. Sein entscheidender Fehler allerdings war ein anderer.
Joe Biden – sein Leben in Bildern
Das Vermächtnis eines nicht eingehaltenen Versprechens
Im Wahlkampf 2020 war Biden mit dem Versprechen angetreten, eine “Brücke” zur nächsten Generation zu bauen. Er präsentierte sich als Präsident des Übergangs, der wieder Normalität in der amerikanischen Politik herstellen wolle. Doch als er dann gewählt wurde, bestand er darauf, selbst der Präsident zu sein, der das Land in die Zukunft führt. Statt die vier Jahre zu nutzen, um einen demokratischen Nachfolger heranzuziehen, ließ ein 82-jähriger Mann zu, dass seine Sturheit größer als die Vernunft wurde. Noch nach seiner desaströsen Debatte im Juni behauptete er, der beste Kandidat zu sein, um Donald Trump zu besiegen. “Ich habe ihn einmal geschlagen, und ich werde ihn wieder schlagen”, betonte Biden selbst dann noch, als sich die Partei schon von ihm abgewandt hatte.
Seine fatale Entscheidung, erneut als Präsidentschaftskandidat anzutreten und erst in allerletzter Minute Platz zu machen, hat die Demokraten um die Chance gebracht, den bestmöglichen Kandidaten ins Rennen zu schicken.
STERN PAID 04_25 Titel Trump Chaos
Dies macht seine eindringliche Warnung vor dem Aufkommen einer “bedrohlichen Oligarchie” nicht weniger wichtig. Gegen Ende seiner Abschiedsrede warnte Biden vor “der gefährlichen Machtkonzentration in den Händen einiger weniger extrem reicher Menschen” – ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Musk, Zuckerberg und Co., die sich um seinen Nachfolger scharen. Doch seine Worte tragen den faden Beigeschmack, dass er selbst nicht genug dafür getan hat, um diese düstere Zukunft zu verhindern. Und somit wird Trumps Siegeszug für immer auch Bidens Initialen tragen.
Joe Biden wird nicht in Erinnerung bleiben für die Brücken, die er gebaut hat. Sondern für die eine, die er nicht gebaut hat.