Für die schleppende Digitalisierung im Gesundheitswesen sollen sie einen Durchbruch bringen: E-Akten für wichtige Patientendaten gehen in den Masseneinsatz. Was kommt auf Versicherte und Praxen zu?
Für Millionen Menschen in Praxen, Kliniken und Apotheken soll sie jetzt in den Alltag kommen: die elektronische Patientenakte, kurz ePA. Nach vielen Verzögerungen geht das Großprojekt am Mittwoch an den Start. Wichtige Gesundheitsdaten wie Befunde und Medikamente sollen damit standardmäßig digital parat stehen – es sei denn, man lehnt es für sich ab. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet enorme Verbesserungen für die Versorgung und die Forschung. Vor dem bundesweiten Einsatz steht aber noch eine Testphase.
Kontrollierter Auftakt in drei Regionen
Alle gesetzlich Versicherten, die nicht widersprochen haben, bekommen jetzt nach und nach eine ePA von ihrer Krankenkasse eingerichtet. Das dürfte sich über zwei bis vier Wochen hinziehen, heißt es vom Ministerium. Denn gerechnet wird mit mehr als 70 Millionen E-Akten. Am Mittwoch startet auch der konkrete Betrieb – aber nicht gleich überall, sondern in drei Modellregionen. In Hamburg mit Umland und in Franken sollen mehr als 250 Praxen, Apotheken und Kliniken loslegen und Daten einstellen. Eine dritte Region ist in Nordrhein-Westfalen.
Die nächste Etappe
Wenn das System in den Regionen stabil funktioniert, soll es auch bundesweit losgehen. Klar sein soll das frühestens nach vier Wochen – also voraussichtlich nicht vor Mitte Februar. Dann soll auch die technische Anbindung in 150.000 Gesundheitseinrichtungen in der ganzen Republik startbereit sein. Dafür, wie Versicherte von ihrer Kasse erfahren, dass eine ePA für sie bereitsteht, gibt es verschiedene Vorgehensweisen, wie es beim Spitzenverband heißt – etwa als Push-Nachricht in der Kassen-App oder mit einer Info auf der Homepage.
Mehr Einblicke für Versicherte
Für Patientinnen und Patienten bringt die E-Akte mehr Transparenz etwa über Befunde, Laborwerte, Diagnosen, Medikamente und Abrechnungen ihrer Kasse. Wer möchte, kann in seine ePA hineinschauen und auch Daten einstellen, man muss es aber nicht. Einsehen kann man sie über eine App der jeweiligen Kasse zum Beispiel auf Smartphones, Tablets oder Laptops. Was Ärzte und Ärztinnen einstellen und wer worauf zugreifen darf, kann jeweils festgelegt werden. Bei einem Kassenwechsel kann man die Daten mitnehmen. Generell bleibt die ePA freiwillig, man kann auch später noch widersprechen und sie löschen lassen.
Wichtige Dokumente gebündelt
Das Kernziel ist, bisher verstreute Daten zusammenzuführen und damit eine bessere Behandlung zu ermöglichen. In Praxen sei es oft so, dass Dokumente aus vorangegangenen Behandlungen fehlten oder gar nichts vorliege, erläutert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Manche Patienten haben Ausdrucke zu Hause, Daten liegen auch in Computern der jeweiligen Praxen. Künftig sollen wichtige Angaben auf einen Blick bereitstehen und damit auch Mehrfachuntersuchungen und Arznei-Wechselwirkungen besser vermeiden.
Umstellung auf “Opt-out”
Der Start der “ePA für alle” soll einen Durchbruch für die lange stockende Digitalisierung bringen. Als wählbares Angebot, um das sich Versicherte aktiv kümmern mussten, waren E-Akten bereits 2021 eingeführt worden. Sie wurden bisher aber kaum genutzt: Zu Jahresbeginn gab es 1,9 Millionen ePAs bei mehr als 74 Millionen gesetzlich Versicherten. Ein Gesetz der Ampel-Koalition kehrte daher das Prinzip um: Nun bekommen alle eine ePA, außer man widerspricht aktiv (Opt-out). Die Widerspruchsquote liegt laut Kassen-Spitzenverband im Schnitt bei fünf Prozent. Auch private Versicherungen können ePAs anbieten.
Zugriffsrecht für Ärzte für 90 Tage
Wenn man in der Praxis oder Klinik die Versichertenkarte einsteckt, bekommen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ein Zugriffsrecht zum Lesen und Füllen der ePA. Standardmäßig gilt es für 90 Tage, man kann die Spanne über die App verkürzen und verlängern. Patienten können in der Sprechstunde bestimmen, wenn ein Befund nicht in die Akte hinein soll. Bei sensiblen Daten müssen sie auch ausdrücklich auf dieses Widerspruchsrecht hingewiesen werden, wie das Ministerium erläutert. Der Verbraucherzentrale Bundesverband pocht auf unkomplizierte Einstellungen, welcher Mediziner was einsehen kann. “Sonst erfährt am Ende die Zahnarztpraxis von der Psychotherapiebehandlung.”
Schrittweise mehr Inhalte
Ärztinnen und Ärzte sind künftig verpflichtet, wichtige Dokumente in die E-Akte einzustellen. Gleich zum Start soll auch eine Liste der Medikamente enthalten sein, die automatisch aus den inzwischen üblichen E-Rezepten erstellt wird. Ab Sommer soll als nächstes ein Medikationsplan mit zusätzlichen Angaben etwa zu Dosierungen von Arzneimitteln dazukommen. Die KBV weist darauf hin, dass die ePA als “versichertengeführte” Akte die eigene Dokumentation der Ärzte in ihrem jeweiligen Praxissystem nicht ersetzt. Auch eine direkte Kommunikation zwischen Praxen bleibe wichtig, zumal Versicherte Daten löschen können.
Schutz der sensiblen Gesundheitsdaten
Lauterbach versicherte zum Start: “Die Daten der Bürger sind sicher vor Hackern.” Zuvor hatte der Chaos Computer Club vor Angriffsmöglichkeiten gewarnt. Daraufhin kündigte die mehrheitlich bundeseigene Digitalgesellschaft Gematik Lösungen an, um derartige Szenarien zu unterbinden. Gespeichert werden die Daten laut Ministerium auf Servern in Rechenzentren im Inland innerhalb der geschützten Datenautobahn des Gesundheitswesens. Generell wird jeder Zugriff auf die ePA mit Datum und Uhrzeit protokolliert. In die ePA hochzuladen sein sollen nur Dateiformate, die keine Viren übertragen.
Zugang zur eigenen Akte
Für Versicherte gibt es bei der ersten Anmeldung in der ePA-App ebenfalls Sicherheitsanforderungen. Gebraucht wird ein elektronischer Personalausweis mit Geheimnummer (Pin) – oder die elektronische Gesundheitskarte mit Pin, die man auf Antrag von der Krankenkasse bekommt. Für die spätere App-Nutzung kann man dann selbst Identifizierungswege am Smartphone einstellen, etwa per Gesichtserkennung. Wer die App nicht selbst verwenden will, kann zum Beispiel Angehörige damit betrauen. Auch Kinder bekommen eine ePA, wenn die Eltern nicht widersprechen, ab 15 können sie es selbst entscheiden.
Daten auch für die Forschung
Einen Schub bringen soll die E-Akte auch für die Forschung. Geplant ist, dass von Juli 2025 an Daten der ePAs für Forschungswecke an eine zentrale Stelle weitergeleitet werden. Die Daten werden dafür pseudonymisiert verwendet, wie das Ministerium erläutert – also ohne direkt personenbeziehbare Angaben wie Name und Adresse. Versicherte können aber auch dieser Nutzung in der App oder bei einer Ombudsstelle der Krankenkasse widersprechen. Lauterbach sieht enorme Chancen für die Forschung mit großen Datenbeständen, wenn auch noch Daten aus Registern und Kassen-Abrechnungen einbezogen werden.