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Neue Bayern-Doku: “Lothar, was trägst Du denn drunter?”

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Wild und ungezügelt ging es zu beim FC Bayern in den 90er-Jahren. Die ZDF-Doku “FC Hollywood” erzählt aus diesen Zeiten – mit Lothar Matthäus als tragischem Helden im Mittelpunkt.

Fünf Teile hat die Serie über den FC Bayern, sie dauert mehr als drei Stunden, doch es gibt eine Szene, keine zehn Sekunden lang, in der sich das ganze Werk verdichtet.

Lothar Matthäus steht in einem Bekleidungsgeschäft in München, einem Herrenausstatter, wie man damals in den 90ern sagte, und schaut sich Hemden und Hosen an. Da kommt eine Verkäuferin auf ihn zu, rote Boxershorts in der Hand haltend. “Lothar, was trägst Du denn drunter?”, fragt sie. Matthäus sammelt sich kurz und antwortet: Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich hatte früher Boxershorts an, stehe aber jetzt wieder mehr auf weniger Stoff.” 

Stehe jetzt wieder mehr auf weniger Stoff. Ein Satz für die Ewigkeit, und so bezeichnend zugleich für jene Dekade, in der der FC Bayern viel mehr war als ein Fußballklub. Eine Art Newsroom nämlich, der täglich Schlagzeilen für den Boulevard produzierte: Geschichten über Intimitäten und Affären, Berichte über Zerwürfnisse und Zwietracht im Team, über Suff, Alkohol am Steuer und Randale, über machtlose Trainer und empörte Klubchefs, die – jetzt aber wirklich endgültig! – für Ruhe sorgen wollen und es doch nicht schaffen. 

Der Urkonflikt: Lothar Matthäus gegen Jürgen Klinsmann

In jener Phase, die 1995 begann, wurde der Verein von den Zeitungen in “FC Hollywood” umgetauft, angeblich eine Idee der damaligen Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel. Zumindest am Anfang trug der Klub den Spitznamen mit einigem Stolz. Endlich wieder mehr Aufmerksamkeit, ganz München redete über den FC Bayern. So hatte es sich Manager Uli Hoeneß auch gewünscht, denn das Olympiastadion war oftmals nur zur Hälfte gefüllt, wenn die Mannschaft spielte.   

Jürgen Klinsmann tritt in eine Werbetonne.
Für die Tonne: Klinsmann macht im Mai 1997 seiner Wut über die Auswechslung im Spiel gegen den SC Freiburg Luft

Diese Entgrenzung, die Abschaffung der Privatsphäre bei Deutschlands größtem Fußballverein, hat sich eine ZDF-Dokumentation zum Thema gemacht. “FC Hollywood” heißt sie, der Titel lag nahe, und sie reiht eine Schmonzette an die nächste, in schnellen Schnitten, mitunter atemlos. Es gibt ja auch viel zu erzählen. The_Wagner_Brothers 20:05

Da ist der Urkonflikt, der Zwist zwischen Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann, die sich schon bei Inter Mailand nicht ausstehen konnten, und ab 1995 den FC Bayern zu einem internationalen Titel führen sollen. Gemeinsam. 

Matthäus wittert ein großes Komplott

Matthäus sieht in Klinsmann einen Konkurrenten, der ihm das Licht zu nehmen droht, in dem er selbst so gern steht. Zudem glaubt Matthäus, dass Klinsmann ihn bei Bundestrainer Berti Vogts schlechtgeredet und aus der Nationalmannschaft gedrängt hat. Matthäus wittert ein großes Komplott und fordert Klinsmann und Vogts gar zu einem TV-Duell heraus (“die Wahrheit muss auf den Tisch!”).

Matthäus und Klinsmann, das konnte nicht gut gehen, so lautet das Urteil vieler Beteiligter von damals. Thomas Helmer, Mehmet Scholl, Stefan Effenberg, Mario Basler, Klinsmann und Matthäus – Regisseur Nicolas Berse-Gilles hat einige der ehemaligen Bayern-Granden vor die Kamera bekommen und sie über die wilden 90er befragt. Entstanden ist dabei weniger das Porträt einer Mannschaft als ein Stück über den Medienwandel im Fußball. Bundestrainer Nagelsmann über sein Scheitern beim FC Bayern

Wer die Geschichten von damals hört, kann kaum glauben, dass diese erst 30 Jahre zurückliegen. Der FC Bayern befand sich – aus heutiger Sicht – im Mittelalter, was seine Medienarbeit betraf. Markus Hörwick, von 1983 bis 2016 Pressechef des Vereins, wirkt noch heute ermattet, wenn er von seinem Job spricht: “Basler, Effenberg, Scholl und Matthäus. Das ist kurz vor der Irrenanstalt.”  

Hörwick hat die Seinen nie in den Griff bekommen. Die meisten der sogenannten Stars hatten ihre eigenen Sender, über die sie Politik machten, obwohl Hörwick und Hoeneß sie immer wieder beschworen, bloß nichts nach außen zu tragen.

FC Hollywood: Jeder Star hatte seinen eigenen Sender

Der Sender von Lothar Matthäus war die “Bild”-Zeitung. Zu deren Reporter Wolfgang Ruiner, Rufname Blunzi, besaß Matthäus ein besonders enges Verhältnis. Er besuchte Ruiner zu Hause, man aß und trank gemeinsam, spielte Backgammon, niemand war näher dran an Bayerns Kapitän als Blunzi. 

Für “Bild” war Ruiner Gold wert, denn er konnte über Mannschaftssitzungen schreiben, als hätte er selbst in der Bayern-Kabine gesessen. Das sorgte im Verein für mächtig Wirbel, Matthäus galt als Maulwurf und hatte fortan einen schweren Stand in der Mannschaft. 

Für Matthäus kein Problem. Er vertraute Ruiner, der für ihn ein längst ein Ratgeber geworden war. Ruiner ist es auch, der Matthäus davon überzeugt, ein Buch über das Innenleben des FC Bayern zu veröffentlichen, ein sogenanntes Tagebuch. Matthäus berichtet darin freimütig, wer wie zu wem steht; auch über gesundheitliche Themen wie etwa die Magen- und Gallenprobleme von Thomas Helmer unterrichtet Matthäus seine Leser.

Dieses Buch war der eine Vertrauensbruch zu viel. Matthäus wurde als Bayern-Kapitän abgesetzt, und Blunzi von der “Bild”-Zeitung konnte auch nicht mehr helfen. Über sein Verhältnis zu Ruiner sagt Matthäus in der Doku: “Du denkst, er ist ein Freund, aber im Endeffekt hat er natürlich nur auf seine Schlagzeilen geschaut. Es wäre besser gewesen, ich hätte ihn nicht kennengelernt.”

Eine Mediensatire, wie von Helmut Dietl geschrieben

Die Geschichte von Matthäus und Ruiner wirkt wie von Helmut Dietl für “Kir Royal” geschrieben, so entrückt, so satirisch überzeichnet. Aber nein, das waren die 90er beim FC Bayern. Und wie lächerlich wirkt es, wenn heute noch vom “FC Hollywood” geschrieben wird, sobald etwas Unruhe aufkommt im Verein. Der Rauswurf von Julian Nagelsmann, die unglückliche Ära Thomas Tuchel, die lange Suche nach einem neuen Trainer – stets wurde das Bild eines Chaosvereins gemalt und an die 90er erinnert. Auch wenn die Generation Matthäus nie den ersehnten Champions League-Titel gewann und auch sonst oft enttäuschte: Der Titel “FC Hollywood”, das zeigt diese süffige Dokumentation, gebührt nur ihr.    

Die Doku-Serie “FC Hollywood. Der FC Bayern und die verrückten 90er” ist ab 10. Januar in der ZDF-Mediathek abrufbar. Am 17. Januar, 22:30 Uhr, wird sie im linearen TV (ZDF) zu sehen sein.

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