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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: Erst verzecht, dann Verzicht

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Wie maßlos in diesem Land gesoffen wird, merkt Micky Beisenherz immer, wenn die Leute kurz pausieren. Dry January heißt das dann. Was für ein famoser Selbstbetrug.

Die deutsche Sprache beherbergt wundervolle Wörter für die, die sie lieben. Von dem Wort “trocken” aber wird man nicht zurückgeliebt. Ein dröges Wort, mit dem man nur wenig Positives verbindet – es sei denn, man ist gerade bei 4 Grad in die Havel gefallen. Trocken, das steht synonym für: ausgedörrt, fruchtlos, ja langweilig. Auf einen solchen Monat also freuen sich alle, die sich nun leidenschaftlich in etwas hineinwerfen, was gemeinhin bekannt ist als Dry January. Der trockene Januar. Eine Massenbewegung, ein Sammelbegriff mit fast schon marathoneskem Charakter. Hier geht es darum, etwas zu schaffen. Das fast schon Unmögliche: einen Monat trocken zu bleiben, sprich abstinent. Verzicht auf Alkohol als Sockel der neujährlichen Vorhabenspyramide.

kurzbio beisenherz Der Zeitpunkt könnte besser kaum gewählt sein. Da man sich im Dezember bis Neujahr praktisch dauersediert hatte, ist der Gedanke, nun mal eine Pause einzulegen, doch recht reizvoll. Bis Mitte des Monats in etwa. Dann wiederum sendet der Gaumen bereits Signale, dass ihm das Britzeln in der Speiseröhre fehlt. Und die ersten Feierlichkeiten stehen auch schon wieder an. Nicht leicht, sich von Hochprozentigem fernzuhalten in einer Gesellschaft, in der Nichtalhokoliker sich erklären müssen. “Danke, ich trinke nicht.” – “Was? Nicht einmal einen Sekt zum Anstoßen?” Was stimmt mit dem nicht? Hat vielleicht mal besoffen jemanden totgefahren. Wer sich verweigert, macht sich verdächtig.

Der Rausch hat einen guten Ruf

Meine Frau zum Beispiel mag keinen Alkohol. Er schmeckt ihr schlicht nicht. Aber weil lange Erläuterungen länger dauern als eine schnelle Duldung, camoufliert sie sich mit einer Sektflöte und nickt hin und wieder zustimmend. Wir leben in einer Alkokratie. Kein Mädelsabend, kein Stadionbesuch, kaum ein christlicher Feiertag ohne kollektives Verharzen der Synapsen. Es fängt an mit dem Messwein und endet bei der Bollerwagenrallye an Christi Himmelfahrt. So jung kommen wir nicht mehr zusammen! 

Dass man deutlich älter auseinandergeht, liegt an der zerstörerischen Wirkung des Stoffes, die ja auch ganz schön sein kann. Dieser leichte Glimmer. Die (post)alkoholische Beschwingtheit. Kulturell genießt der Rausch einen guten Ruf, hat er doch in Kriegs- und Krisenzeiten verlässlich allzu heftige Verspannungen gelöst. Was mitunter dazu führt, dass Taten unter Alkoholeinfluss weniger schwer wiegen als nüchtern (“Ja, sicher, das hat der Jörg gemacht – aber das war ja während der Wiesn!”). Dabei ist der vermutete Konnex zwischen Alkohol und Leichtigkeit eine der größten Gefahren überhaupt. Wie oft wurde empfohlen, vor einer angstmachenden Aufgabe “vorher einen Kurzen” zu trinken, um sich zu lockern. Wenn’s gelingt, hat der Schluck geholfen. Versagt man, müssen es beim nächsten Mal zwei sein. Lieber nüchtern scheitern als betrunken triumphieren.

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Dass Schnaps durch die Adern des Volkskörpers fließt, zeigt sich auch daran, dass in fast jedem Haushalt Holztafeln im Landhausstil hängen, darauf die Inschrift: “Der Gin des Lebens”. Und waren zum Jahresende unsere Timelines nicht wieder voll mit “Ich hasse Silvester, da saufen auch die Amateure”-Posts? Daneben ein Bild des kultigen Alkoholikers Harald Juhnke, der 2005 aber ganz unkultig in einem Pflegeheim verstarb.

Alkohol als Spontanflucht – vor den Krisen des Januar 

Die Amateure saufen seit Silvester nun also nicht mehr. Möglicherweise, weil ihr Rausch eine allzu heftige Delle ins Sozialgefüge gehauen hat. Vielleicht aber auch, weil das Bewusstsein darüber, dass das Zellgift zuletzt ein wenig zu heftig dosiert wurde, zurückgekehrt ist. 

Ich für meinen Teil habe vor einigen Jahren noch deutlich mehr Alkohol getrunken. Ich habe immer viel vertragen und tue das bis heute, in meiner Welt war das ein positiv besetztes Prädikat und keine medizinisch kritische Kondition. Auch trank ich nur in Gesellschaft. Dummerweise hatte ich immer viel Gesellschaft. Oder noch perfider: Ich habe mir immer gerne Gesellschaft gesucht, in der ich dann getrunken habe. Bis ich eines Morgens dachte: Deutlich weniger wäre auch ganz schön.

Micky am Tresen
Siebzehnte Bar, blondes Haar: Doch, das ist er wirklich – der sogenannte gute Abend. Und unser Kolumnist natürlich, ganz mittig. Noch nicht im Bild: Wie Micky Beisenherz überlegt, bald aber wirklich weniger zu trinken.
© Privat

Seitdem genieße ich es, einen Sonntagmorgen frisch und klar im Bademantel mit einer großen Tasse Kaffee zu begehen. Mein Leben wird zu kurz, um es an lange Kater abzutreten. Auch der Körper bedankt sich, Alkohol hat bekanntermaßen gar nicht so wenige Kalorien. Was ebenfalls schöner ist: der Rausch als solcher. Wer selten trinkt, nimmt die herbeigesehnte Entspannung wesentlich intensiver wahr. Die ersehnte Spontanflucht vor den ernüchternden Realitäten, die auch zu Beginn des Jahres schon wieder voll durchschlagen. War “Frohes Neues” bis zum zweiten Januar noch ein frommer Wunsch, ist es eine Woche später bereits eine sarkastische Bemerkung. Wer alle sich aufdünenden Krisen den gesamten Monat über nüchtern erleben will, braucht wahrlich eine robuste Natur.

Auf den flüssigen Eskapismus also.

Stößchen!

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