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Meinung: Warum der Grünstromrekord 2024 nicht nur Grund zum Jubeln ist

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Fast 60 Prozent des Stroms in Deutschland kamen 2024 aus erneuerbaren Energiequellen – erneut ein Rekord. An anderer Stelle jedoch hakt die Energiewende bedenklich.

Deutschland hat vergangenes Jahr 431,7 Milliarden Kilowattstunden (KWh) Strom erzeugt. 59 Prozent davon stammten aus erneuerbaren Quellen. Das ist Rekord. So klimafreundlich war die Republik im Stromsektor noch nie. Eigentlich also ein Grund zum Feiern. Oder doch nicht?

Vielen Deutschen macht die Zahl Angst. Sie fürchten, dass mit dem zunehmenden Einsatz von Windrädern und Photovoltaikanlagen die Gefahr steigt, im Dunkeln zu sitzen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Dunkelflaute nennt man das.

Keine großen Stromausfälle zu erwarten

Die Warnungen von politischen Gegnern der Energiewende verängstigen die Bevölkerung immer aufs Neue – auch wenn sie aus der Luft gegriffen sind. Die zuständige Bundesnetzagentur weist immer wieder darauf hin, dass keine größeren Stromausfälle zu befürchten seien. Denn Deutschland besitze weiterhin ausreichend Kohle- und Gaskraftwerke, um sich jederzeit selbst versorgen zu können.

Dunkelflaute 12.17

Deutschland hat nach wie vor die geringsten Stromausfälle weltweit. 2023 waren es im Durchschnitt 12,7 Minuten pro Haushalt – nicht mehr als in den vergangenen zehn Jahren.

Zu viel Grünstrom muss verschenkt werden

Der grüne Ausbau verursacht auch nicht automatisch höhere Strompreise, wie gern behauptet wird. Im Gegenteil: Der durchschnittliche Großhandelsstrompreis (Day-Ahead-Markt) lag 2024 bei 7,8 Cent pro Kilowattstunde (kWh) und war somit 17,5 Prozent billiger als 2023. Zugleich ging die Zahl der “teuren Tage”, an denen eine Kilowattstunde an der Strombörse mehr als zehn Cent kostete, fast um die Hälfte zurück. All das spricht dafür, dass die Energiewende marktwirtschaftlich in die richtige Richtung führt.

Dennoch verbirgt sich hinter den 59 Prozent auch eine bedenkliche Entwicklung. Denn das vor Grünstrom strotzende Deutschland muss zu oft klimafreundliche Energie verschenken, obwohl sie europaweit ein wertvolles, gefragtes Produkt ist. In 457 von 8.784 Stunden des Jahres 2024 traten “negative Strompreise” auf, wie es in Fachkreisen heißt, weil mehr Strom im Angebot war, als die deutschen Haushalte und Firmen selbst verbrauchen konnten. Dieser Wert ist gegenüber 2023 um etwa 50 Prozent gestiegen.

Es fehlen Stromspeicher in den Regionen

Am Neujahrstag war das beispielsweise der Fall. Da lag der bundesweite Verbrauch bei 55 Millionen Kilowattstunden, doch allein die Erneuerbaren lieferten bis zu 66 Millionen KWh. 48 Millionen davon produzierten die Windräder an Land und auf See, den Rest Photovoltaikanlagen sowie Biomasse- und Wasserkraftwerke.

Die Konsequenz aus dem Überfluss ist aber nicht, die Energiewende auszubremsen, sagen Experten. Im Gegenteil: Sie muss schneller vorangehen. Vor allem muss der Ausbau der Speicherinfrastruktur beschleunigt werden. Hier stockt es noch bedenklich, obwohl die notwendige Technik vorhanden ist. Das Land braucht Depots, um überschüssigen Grünstrom zwischenzulagern. Das können große Batteriespeicher sein, aber auch Elektrolyseure, die Strom in Wasserstoff verwandeln, den man bei Bedarf in Gaskraftwerken wieder in Strom zurückwandeln kann. Solche Speicher müssen regional errichtet werden, wie es einst geplant war, als die Energiewende erfunden wurde. Die überschüssige Energie muss also in den Regionen verbleiben und nicht auf die großen Stromautobahnen geschickt werden, die schon jetzt viel zu oft vor allem durch fossilen Strom verstopft sind. 

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Die Importe steigen, weil Kohlestrom zu teuer ist

Zum Glück funktioniert der Strommarkt europaweit, was Deutschland in dieser Zeit entlastet. Denn dort blüht der Handel. Wie alle Kaufleute, kaufen auch Stromhändler ihre Ware dort ein, wo sie am billigsten ist. Da ist Deutschland mit seinen Erneuerbaren immer häufiger erste Wahl. Etwa 35 Milliarden Kilowattstunden flossen 2024 ins Ausland (vor allem nach Österreich). 67 Millionen wurden umgekehrt bei den Nachbarn eingekauft. Auch hier gab fast ausnahmslos der günstigere Preis den Ausschlag. Grünstrom aus Skandinavien ist nun man billiger als der eigene Kohlestrom aus deutschen Kraftwerken. 

Von den 67 Millionen Kilowattstunden importieren Stroms waren – allen Unkenrufen zum Trotz – übrigens nur 17,2 Millionen Atomstrom, der vor allem in Frankreich noch preiswert zu haben ist. Denn dort wird er staatlich massiv subventioniert und kostet im Schnitt deshalb nur rund vier Cent. Das wird sich 2026 ändern. Denn dann läuft die Unterstützung aus. Die Folge: Der französische Atomstrom wird rund 67 Prozent teurer und gegenüber Grünstrom unattraktiver.

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