Die FDP steckt weniger als drei Monate vor der Bundestagswahl in einer tiefen Krise. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann erklärten am Freitag ihren Rücktritt, nachdem das Bekanntwerden eines aggressiv formulierten Strategiepapiers zum gezielten Bruch der Ampel-Koalition für Empörung gesorgt hatte. FDP-intern machte sich Unmut über das als schlecht empfundene Krisenmanagement der Parteizentrale breit.
Djir-Sarai verband seine Rücktrittserklärung mit einer Entschuldigung: Er habe die Öffentlichkeit “unwissentlich falsch” über das interne “D-Day-Papier” informiert. Dafür entschuldige er sich. Er habe “keine Kenntnis” von dem Papier gehabt – “weder von der Erstellung noch von der inhaltlichen Ausrichtung”, sagte Djir-Sarai. Er übernehme aber “die politische Verantwortung, um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der FDP abzuwenden.”
Mit dem Verweis auf Falschinformationen bezog sich Djir-Sarai auf seine früheren Aussagen zu dem Strategiepapier, in dem die FDP Optionen für einen gezielten Austritt aus der Ampel-Koalition durchgespielt hatte. Aus dem Papier geht hervor, dass die FDP noch während ihrer Zugehörigkeit zur “Ampel” gezielt auf einen Bruch der Koalition hinarbeitete.
Parteichef Christian Lindner erklärte erneut, er habe das Papier “nicht zur Kenntnis genommen und hätte es auch nicht gebilligt”. Allerdings räumte er ein, dass es auch nach seiner Auffassung “angesichts des Streits in der Koalition und des Stillstands im Land notwendig war, das mögliche Ausscheiden der FDP aus der Ampel zu durchdenken”. Lindner dankte Djir-Sarai “für die freundschaftliche Zusammenarbeit”.
Nachdem kurz nach dem am 6. November erfolgten Koalitionsbruch erste Informationen über das FDP-Dokument an die Öffentlichkeit gelangt waren, hatte der Generalsekretär den Gebrauch des aus dem Zweiten Weltkrieg entlehnten Begriffs “D-Day” öffentlich abgestritten.
Am Donnerstagabend veröffentlichte die FDP dann das interne Papier, nachdem in Medien ausführlich daraus zitiert werden war. Der Begriff “D-Day” ist darin enthalten, ebenso der Begriff “offene Feldschlacht” für die Auseinandersetzung mit den damaligen Koalitionspartnern SPD und Grünen.
Die früheren Partner reagierten bestürzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fühle sich “durch die aktuellen Veröffentlichungen in seiner Entscheidung bestätigt”, Lindner als Bundesfinanzminister entlassen zu haben, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner.
“Ich habe mich persönlich betrogen gefühlt”, sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch dem Portal t-online. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte dem Portal, sie halte die FDP für nicht regierungsfähig: “Ein Parlament ist kein Schlachtfeld”, stellte Haßelmann klar.
Verfasser des Papiers war nach eigenen Angaben FDP-Bundesgeschäftsführer Reymann. Mit seinem Rücktritt wolle er der FDP ermöglichen, “mit voller Kraft und ohne belastende Personaldebatten” in den Wahlkampf zu gehen, erklärte Reymann am Freitag. Reymann hatte den Posten in der FDP-Zentrale seit April diesen Jahres inne. Zuvor war er Leiter des Bundestagsbüros von Parteichef Christian Lindner.
Mit Djir-Sarai und Reymann verliert die FDP, die in Umfragen derzeit zwischen drei und vier Prozent liegt, zwei zentrale Figuren ihrer Wahlkampf-Planung. Über die Nachfolge war bis Freitagnachmittag nach Parteiangaben nicht entschieden. Als ein Anwärter für den Posten des Generalsekretärs wurde der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann genannt.
Innerhalb der FDP sorgte der Wirbel um das Strategiepapier für Unmut und Kritik. “Nicht nur die Öffentlichkeit muss den Eindruck gewinnen, über Wochen getäuscht worden zu sein, sondern auch die eigene Partei”, erklärte Juli-Chefin Franziska Brandmann.
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki sagte dem Sender Welt-TV, durch die Affäre sei die gesamte FDP-Führung “beschädigt”. Er kündigte eine interne Aufarbeitung an. Auch Lindner werde sich davon erholen müssen, “dass offensichtlich im Organisationsbereich des Bundesgeschäftsführers Dinge passiert sind, die so auch nicht hätten passieren dürfen”. Generell seien die Abläufe beim Ende der “Ampel” aus FDP-Sicht “dilettantisch” gewesen.