Sabrina M. hat einen Ex-Mann, unter dessen Psychoterror sie und die Kinder leiden. Er neigt zu Wutausbrüchen und ist schlecht organisiert. Eine Therapie lehnt jedoch er ab.
Liebe Frau Peirano,
ich bin 45 und habe zwei Kinder (6 und 10) mit meinem Ex-Mann. Wir sind seit 2020 getrennt, weil er schon während der Ehe sein Leben nicht in den Griff bekommen hat. Er hat immer wieder Depressionen, das heißt, er steht nicht rechtzeitig auf, räumt seine Wohnung nicht auf, sodass es fast aussieht wie bei einem Messie, er hat Stimmungsschwankungen und schon einige Jobs verloren.
Ich habe jahrelang versucht, ihn zu einer Therapie zu bewegen, aber er findet nicht, dass er ein Problem hat, sondern es sind immer die anderen schuld. Der Chef, die Kollegen, ich, seine Eltern. Ich habe dann meine Arbeit aufgestockt, mich von ihm getrennt und lebe mittlerweile mit meinem neuen Partner und den Kindern in einer netten Patchworkfamilie.
Was meinen Ex-Mann betrifft, habe ich mich ziemlich verbogen, um einigermaßen den Frieden zu wahren. Ich habe auf viel Geld verzichtet, das mir zustehen würde, habe ihm Möbel überlassen, die uns beiden gehörten, und komme ihm mit der Betreuung der Kinder entgegen. Ich nehme auf ihn Rücksicht, wenn es ihm mal wieder schlecht geht oder er mit seiner Arbeit in Verzug ist und mir absagt. Dann stelle ich meine Pläne hintan und kümmere mich um die Kinder. Er ist recht unzuverlässig in der Kinderbetreuung, obwohl wir uns eigentlich auf einen festen Rhythmus geeinigt hatten (er nimmt die Kinder jedes 2. Wochenende von Donnerstag bis Sonntag). Er sagt manchmal in letzter Minute ab oder hat vergessen, dass er die Kinder gehabt hätte.
Wenn die Kinder an einem seiner Wochenenden zum Geburtstag eingeladen sind, habe ich andere Eltern überredet, meine Kinder abzuholen und habe das Geschenk besorgt (auf meine Kosten), weil ich nicht wollte, dass meine Kinder ohne Geschenk dastehen und es ihnen peinlich ist. Mittlerweile denkt die ältere Tochter schon selbst an Geschenke und überlegt, wie sie zu dem Geburtstag kommt, sie organisiert das sogar für ihre kleine Schwester mit. Beide Mädchen räumen bei ihrem Vater auf, wenn sie dort sind, weil sie es gemütlich haben wollen (was auch nach dem Aufräumen nicht klappt, weil es nur Sperrmüllmöbel sind).
Was mich aber wirklich besorgt, sind seine Wutausbrüche. Er macht die Kinder für Dinge verantwortlich, die er selbst verschuldet hat. Wenn er z.B. sein Ladekabel oder seinen Schlüssel nicht findet, brüllt er die Kinder an und entschuldigt sich dann manchmal, wenn er die Dinge in seiner eigenen Tasche findet. Er sagt ihnen auch Dinge wie “bist du dumm, bist du bescheuert?”, wenn sie kleine Fehler gemacht haben, er wird laut, zischt sie wütend an oder beschimpft sie endlos. Ein paar Mal habe ich das mitbekommen und ihm sofort geschrieben, dass er das lassen soll. Es hat nicht viel gebracht. Er hat den Kindern in seiner Wut auch vorgeworfen, dass sie sein Leben zerstört haben.
Vor ein paar Jahren hat er den Kindern verboten, mit mir zu telefonieren, wenn sie bei ihm waren, obwohl sie Heimweh hatten. Er meinte, es sei nicht gut für sie, mit mir zu reden, weil sie dann noch mehr Heimweh bekommen würden. Das hat er auch im Urlaub durchgezogen, als die Kinder 4 und 8 Jahre alt und zwei Wochen mit ihm in Spanien waren. Ich habe ihn öfter angerufen und wollte die Kinder sprechen, aber er hat das nicht zugelassen und immer Ausreden erfunden. Erst später habe ich von beiden Kindern gehört, wie schlecht es ihnen ging. Mittlerweile hat die Große selbst ein Handy und ruft mich dann an, aber er sieht es nicht gerne.
Die Große hat oft Bauchschmerzen, wenn sie zum Vater geht und fragt häufig, ob sie früher zurückkommen kann. Die Kleine versucht, alles richtig zu machen und fragt ganz oft nach, ob sie nichts vergessen hat und entschuldigt sich übertrieben. Ich sage ihr immer, dass sie alles richtig macht und es okay ist, wenn sie mal was vergisst, aber es tut mir unendlich weh, dass sie unter solchem Druck steht.
Ich habe jetzt eine Kindertherapeutin für beide Kinder gefunden, aber mein Ex-Mann stimmt der Behandlung nicht zu. Ich kann mir vorstellen, dass er Angst hat, was da über ihn ans Licht kommt. Ich mache mir wirklich Sorgen um die Kinder und ob es gut ist, wenn sie weiter zum Vater gehen. Allerdings will ich auch nicht alles schlechtreden: Sie haben schon gute Momente zusammen und wenn er in guter Stimmung ist, bemüht er sich auch sehr um die Kinder.
Was raten Sie mir?
Viele Grüße
Sabrina M.
Liebe Sabrina M.,
es hört sich so an, als wenn Sie einiges durchgemacht hätten in Ihrer Ehe und letztendlich gelernt haben, auf Ihre eigenen Ansprüche und Rechte zu verzichten, um es Ihrem Mann rechtzumachen. Sie haben Arbeiten übernommen, die eigentlich er erledigen sollte, und Sie haben finanzielle Nachteile in Kauf genommen. Zudem teilen Sie sich das Sorgerecht, aber Sie müssen eigentlich ständig damit rechnen, dass er absagt und Ihre Pläne für Ihre wenigen freien Zeiten über den Haufen geworfen werden. Ich kann mir vorstellen, dass es sehr schwer war, diese bitteren Pillen zu schlucken oder anders ausgedrückt, dieses Minusgeschäft zu machen.
Dennoch haben Sie persönlich sich und den Kindern anscheinend ein gutes neues Leben aufgebaut: Sie haben einen neuen Partner, eine nette Patchworkfamilie, eine Arbeit, die Sie und die Kinder ernährt und Ihre Unabhängigkeit. Das haben Sie fantastisch hinbekommen!
Ich hoffe, dass Sie sich immer wieder vor Augen führen, wie viel Sie leisten. Denn wenn man das nicht wertschätzt, kann man leicht ausbrennen, indem man sich getrieben fühlt, immer noch mehr zu leisten! Gerade Ihr Ex-Mann scheint jemand zu sein, der viel nimmt und beansprucht, ganz im Gegensatz zu Ihnen, die viel gibt und nachgibt.
Passen Sie also gut auf sich auf, indem Sie einen Ausgleich finden in Ihrem Leben und immer wieder Kraft tanken. Dazu gehört auch, dass Sie sich weiterhin von Ihrem Ex-Mann abgrenzen und sich noch unabhängiger von ihm machen. Wenn er zum Beispiel ein Wochenende mit den Kindern abgesagt hat, könnten Sie einfach das nächste seiner Wochenenden gleich so planen, dass Sie die Kinder einbeziehen. Oder dafür sorgen, dass die Kinder Freunde oder die Großeltern besuchen und Sie auf jeden Fall ein freies Wochenende haben. Dann müssen Sie nicht immer doppelt planen und Ihre Pläne umschmeißen. Denn Zuverlässigkeit bei der Kinderbetreuung ist das A und O, und Ihr Ex-Mann kann nicht erwarten, dass die Kinder immer zu ihm kommen, wenn er es möchte, aber sich sozusagen in Luft auflösen, wenn er nicht kann. Das gibt auch den Kindern das Gefühl, dass sie ihm nicht wichtig sind und sich nicht auf ihn verlassen können.
Wenn er psychische Probleme hat (und danach hört es sich sehr an!), dann ist es seine Verantwortung als sorgeberechtigter Vater, diese diagnostizieren zu lassen und in professionelle Behandlung zu gehen. Das ist insbesondere so, wenn diese psychischen Probleme nicht nur ihn betreffen (wie das z.B. bei einer Hundephobie der Fall wäre), sondern die Kinder belasten.
Psychoterror gefährdet das Kindeswohl
Hier teile ich Ihre Sorge um die Kinder! Schauen Sie sich bitte einmal auf der Seite des Kinderschutzbundes Nordrhein-Westfalen an, was als Kindeswohlgefährdung definiert wird. Insbesondere unter dem Begriff “Psychische Gewalt” finden sich Beschreibungen. Bei Ihnen trifft dieser Punkt zu: “Das Ablehnen des Kindes im Sinne der Herabsetzungen der kindlichen Fähigkeiten, Qualitäten und Wünsche, die Stigmatisierung als Sündenbock.” Weiterhin trifft der Punkt zu, dass Ihre Kinder von Ihnen isoliert wurden (durch die Verbote, mit Ihnen zu telefonieren). Auch gibt es Anhaltspunkte für das Adultifizieren der Kinder, indem sie beim Vater aufräumen und die Verantwortung für seine Aufgaben übernehmen.
Es wäre wichtig, diese Punkte mit dem zuständigen Jugendamt zu besprechen. Auch wenn viele Menschen Angst haben, familiäre Konflikte an eine Behörde zu melden, ist das Jugendamt die nächste Anlaufstelle. Eine Kindertherapeutin könnte auch beurteilen, ob Kindeswohlgefährdung vorliegt, aber Ihr Ex-Mann verweigert bislang den Kindern die Therapie.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie auch Angst haben, was den Kindern und Ihnen passiert, wenn Sie das Verhalten Ihres Ex-Mannes beim Jugendamt melden. Da er andere für seine Fehler verantwortlich macht und zu Aggressionen neigt, kann es sein, dass er seinen Ärger an Ihnen oder den Kindern auslässt. Dann muss das Jugendamt entscheiden, ob die Kinder bei ihm noch in Sicherheit sind.
Sie sollten in erster Linie an das Wohl Ihrer Kinder denken und an die Schäden, die das Verhalten des Vaters langfristig bei ihnen hinterlässt. Bei beiden Kinder zeigen sich schon Symptome: Die Große hat Bauchschmerzen, die Kleine versucht, alles richtig zu machen und stellt sich infrage.
Beide Kinder lernen an der Beziehung zu ihrem Vater, wie die Beziehung zu einem Mann laufen kann: Sie müssen ständig auf Warnzeichen achten, Wutausbrüche ertragen, sind an seinen Fehlern schuld, werden angeschrien und niedergemacht. Auf der anderen Seite dürfen sie nur dann bei ihm sein, wenn er gerade Zeit hat, kommen in eine verdreckte Wohnung und fühlen sich nicht willkommen und ihnen wird vorgeworfen, überhaupt da zu sein.
Was denken Sie, bedeutet das für die Partnerwahl der Mädchen? Möchten Sie, dass Ihre Töchter lernen, sich in einer Beziehung so zu fühlen und so defensiv zu verhalten? Und dass Sie lernen, dass die Täter-Opfer-Konstellation verdreht wird, sodass sie an allem Schuld sind? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihre Mädchen eines Tages erwachsen sind und Sie fragen, warum Sie sich nicht geschützt haben? Ich erlebe es oft in Therapien, dass Müttern diese Frage gestellt wird und sie einen erheblichen Teil der Wut abbekommen. Und manchmal wird Ihnen von den Kindern noch mehr Schuld zugewiesen als dem Vater. Das sind auf jeden Fall meine Erfahrungen.
Sie könnten sich als Erstes beim Jugendamt anonym beraten lassen und fragen, wie Sie vorgehen sollen. Ein wichtiger Punkt wäre auch, ob Sie Ihrem Ex-Mann einen Brief schreiben (per Einschreiben) und ihn auf die kritischen Punkte ansprechen sollen. Sie sollten auf jeden Fall auch die Berichte Ihrer Kinder und Ihre eigenen Beobachtungen protokollieren, damit Sie stichhaltige Situationen für das Jugendamt haben. Möglicherweise kommt es auch zu einem Gerichtsverfahren, auch dafür wäre es wichtig. Außerdem können Sie das Jugendamt nach Beratungsangeboten und weitere Maßnahmen fragen, die Ihren Kindern helfen.
Ich hoffe, dass Sie sich zu dem ersten Schritt überwinden können und von dort aus erfahren, welche weiteren Schritte Sie gehen können, um Ihre Kinder vor dem Vater zu schützen.
Herzliche Grüße
Julia Peirano