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Analyse: Waffenstillstand im Libanon: Ein bisschen Frieden

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Zwischen Israel und dem Libanon sollen die Waffen schweigen, für zunächst 60 Tage. Der Deal lässt Israels Armee alle Freiheiten. Die Hisbollah ist geschwächt, aber nicht besiegt.

“Israil judammir, Iran ju‘ammir. – Israel zerstört, Iran baut wieder auf”: So stand es auf großen Propaganda-Tafeln in dem Park, den die Hisbollah nach dem Krieg 2006 im Dorf Maroun al-Ras errichtet hatte. Auf der Anhöhe direkt an der Südgrenze des Libanon flatterten die grün-weiß-roten Flaggen Irans neben den gelben der Hisbollah. Der Blick von hier geht weit hinaus über die Dörfer in Israels Norden, über Gewächshäuser und rot geziegelte Dächer.

Der “Iran Garten” von Maroun al-Ras: Er war eines der ersten Ziele der israelischen Armee (IDF) zu Beginn der Bodenoffensive im Libanon vor zwei Monaten. Bilder von IDF-Soldaten, die dort die israelische Fahne hissten, gingen in den ersten Oktobertagen um die Welt. 

Nach dem vorläufigen Ende dieses neuen Kriegs zwischen Israel und der Hisbollah soll ein neuer Slogan gelten, den man so zusammenfassen könnte: Israel zerstört, Amerika baut wieder auf. Diese Möglichkeit jedenfalls sieht das Waffenstillstandsabkommen vor, auf das sich die Regierungen Israels und des Libanon unter Vermittlung der USA und Frankreichs nun geeinigt haben: Nach übereinstimmenden Medienberichten hat Israels Sicherheitskabinett dem Deal am Dienstagabend zugestimmt. Er solle am Mittwochvormittag in Kraft treten, berichteten das Nachrichtenportal “ynet” und der Sender “Channel 12”. Eine Abstimmung im gesamten Kabinett werde folgen, erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu. Das libanesische Kabinett soll seine formale Zustimmung ebenfalls am Mittwoch erteilen.

Ein Deal voller Merkwürdigkeiten

Die weiteren Punkte: Das Abkommen gilt zunächst für 60 Tage. Während dieser Zeit sollen Israels Bodentruppen sich aus dem Libanon zurückziehen. Parallel dazu soll die Hisbollah ihre Einheiten in das Gebiet jenseits des Litani-Flusses zurückziehen, der etwa 30 Kilometer nördlich der Grenze zu Israel verläuft. Im Gegenzug soll die libanesische Armee mit 5000 Mann oder mehr in den Südlibanon einrücken und dort am Boden mit Unterstützung Frankreichs die Kontrolle übernehmen. Langfristig aber sollen, so die Forderung aus Jerusalem, die Vereinten Nationen die Einhaltung des Waffenstillstands durchsetzen.

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Das ist nur eine von vielen Merkwürdigkeiten dieses Abkommens. Schließlich hatte Israel die 10.000 Mann starke Unifil-Friedenstruppe im Südlibanon, für die auch Deutschland Soldaten stellt, zu Beginn seiner Offensive doch noch massiv kritisiert – und einige ihrer Stützpunkte direkt unter Feuer genommen. Nun also soll die viel gescholtene UN es doch wieder richten. Und zwar auf Grundlage eben jener Sicherheitsratsresolution 1701 von 2006, deren Vorgaben Israel noch vor wenigen Wochen als nicht mehr tragfähig dargestellt hatte.

Bewohner Nord-Israels entsetzt

Entsprechend entsetzt sind von der Einigung diejenigen, in deren Namen Israels Regierung vor zwei Monaten Bodentruppen in den Südlibanon geschickt hatte. “Eine Kapitulation” sei der Deal, sagen die Bürgermeister von Kiryat Shmona und Metulla, den beiden größten Orten in unmittelbarer Grenznähe. Auch alle führenden Köpfe der israelischen Opposition kritisieren den Deal. Netanjahus rechte Koalitionspartner, die nicht Teil des Sicherheitskabinetts sind, hatten ebenfalls im Vorfeld Vorbehalte geäußert. Den Bestand der regierenden Koalition unter Netanjahus Führung hatten sie aber nicht infragegestellt, für den Fall, dass der Premier zustimmen sollte.

60.000 aus dem Grenzgebiet evakuierte Israelis sollen nun sicher in ihre Heimat zurückkehren können: Dieses Kriegsziel hatte Israel Premierminister Benjamin Netanjahu zu Beginn der Offensive ausgegeben. Bei der Verkündung der Einigung zur Waffenruhe heute Abend erneuerte er sein Versprechen. Doch wie viele der vertriebenen Israelis der neuen Ruhe trauen werden und nach fast eineinhalb Jahren Abwesenheit an ihre früheren Wohnorte zurückkehren wollen, steht in den Sternen. 

Schäden nach einem Raketenangriff der Hisbollah auf Tel Aviv am vergangenen Wochenende
© Anadolu via Getty Images

Auch, weil sie dort eben wieder in Reichweite der Hisbollah-Raketen leben würden. Erst am Sonntag hatte die Miliz 250 Geschosse auf Israel abgefeuert – bis in den Großraum Tel Aviv – als Vergeltung für einen massiven israelischen Angriff auf die libanesische Hauptstadt Beirut. Zwar hat Israel das Arsenal der Hisbollah wohl stark dezimiert und nahezu die gesamte Führungsspitze der Terrorgruppe umgebracht. 

Den Nimbus der “Achse des Widerstands” haben seine Armee und Geheimdienste mit den spektakulären Pager-Attacken und der Tötung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in dessen unterirdischen Kommandozentrale gebrochen. Doch beseitigt ist die Bedrohung aus dem Norden nicht. Zumal zentrale, ehemals von libanesischen Hisbollah-Leuten kontrollierte Befehlsposten nun wohl mit Kadern der iranischen Revolutionsgarden aufgefüllt sind.

Verheerung im Libanon: Ein Viertel der Bevölkerung vertrieben

Genau darum behält sich Israel im Rahmen des Abkommens das Recht vor, auch nach Beginn des Waffenstillstands jederzeit gegen “unmittelbare Bedrohungen” im Libanon militärisch vorzugehen. Was nichts anderes heißt als: Der Waffenstillstand gilt, bis Israel entscheidet, dass er nicht mehr gilt.

Die Regierung des Libanon wird all dem wohl zustimmen, weil sie schlicht am kürzeren Hebel sitzt. Sie versucht zu retten, was zu retten ist, von ihrem gebeutelten Land, das auch so schon 3500 Tote zu beklagen hat und fast 15.000 Verletzte. 1,2 Millionen Libanesen – jeden vierten – hat der Krieg zu Vertriebenen gemacht. Viele Dörfer und Städte im Süden sind vom Bombardement verheert, riesige Flächen Ackerland entlang der Grenze verseucht vom Weißen Phosphor, den Israels Luftwaffe abgeworfen hat. In der libanesischen Beirut war noch am Abend der Einigung Panik ausgebrochen, nachdem Israels Armee die Räumung mehrerer bisher nicht bombardierter Viertel im Zentrum weitab der Hisbollah-Hochburgen im Süden der Stadt angeordnet hatte. Autos voll fliehender Menschen verstopften die Straßen der Innenstadt. Viele suchten auf vermeintlichen sicheren Grundstücken von Krankenhäusern und Universitäten Schutz vor dem heftigen Bombardement, mit dem in den verbleibenden Stunden vor Beginn der Waffenruhe gerechnet wird.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vor wenigen Tagen in der Knesset, dem israelischen Parlament
© AP/Ohad Zwigenberg

Israels Regierung ist den Schritt zum Waffenstillstands-Abkommen jetzt gegangen, weil ein Ende des Kriegs ihr zum jetzigen Zeitpunkt mehr nützt als dessen Fortsetzung. Aus mehreren Gründen: Eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Beendigung des Kriegs im Libanon unter Beteiligung der USA stand im Raum. Israel braucht dringend Nachschub an Waffen und anderem Militärgerät aus den USA, darunter 134 Bulldozer vom Typ D9. Das sind jene stählernen Ungetüme, mit denen Israels Militär im Gazastreifen seit Monaten Straßenzug um Straßenzug dem Erdboden gleichmacht. Von Frankreich soll die Regierung in Jerusalem die Zusicherung erhalten haben, Paris werde den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Premier Netanjahu nicht vollstrecken. Erst auf dieser Grundlage soll Israel Frankreichs Rolle als Mitgarant des Waffenstillstands akzeptiert haben.

Ein guter Deal für Netanjahu

Dazu kommt: Ein Kriegsende im Libanon erleichtert eine Fortsetzung des Kriegs im Gazastreifen. Dort soll die Armee nach Netanjahus Willen weiterkämpfen – obwohl sie ihre militärischen Ziele längst erreicht hat. Der Krieg in Gaza hilft Netanjahu, den immer drängender werdenden Fragen nach seiner Verantwortung für den Sicherheitskollaps am 7. Oktober 2023 auszuweichen. Und er erhält die Hoffnung seiner radikalen Koalitionspartner am Leben, im Gazastreifen unter dem Schutz der Armee bald neue Siedlungen zu errichten. 

Israel bombardiert Palmyra in Syrien – 36 Tote. 18.47

Um beide Kriege – in Gaza und im Libanon – weiter parallel zu führen, hätte die Regierung neue Reservisten ausheben müssen. Was den Druck auf Israels Ultraorthodoxe erhöht hätte, die sich gegen den Militärdienst sträuben. Deren politische Vertreter aber sichern Netanjahus Macht. Nach einem Rückzug der Armee aus dem Libanon kann Netanjahu den Krieg im Gazastreifen mit den vorhandenen Wehrpflichtigen weiterlaufen lassen und die Reservisten entlasten. Das kommt auch der kriegsgebeutelten israelischen Wirtschaft zugute.

Mehr Bach als Fluss: General Ori Gordin, Chef des Nordkommandos der israelischen Armee, am Dienstagmorgen am Südufer des Litani-Flusses im Libanon
© IDF

Nur Stunden, bevor das Kabinett in Jerusalem das Abkommen mit dem Libanon akzeptierte, veröffentlichte das Pressebüro der IDF ein Foto. Es zeigt den Chef des israelischen Nordkommandos, Generalmajor Ori Gordin, in voller Kampfmontur in einem Dickicht am südlichen Ufer des Litani: des Flusses im Südlibanon, über den nach Norden die Hisbollah ihre verbliebenen Kämpfer nun zurückziehen soll.

Das Gewässer vor ihm ist ein schmaler Bach, den Namen Fluss verdient es kaum. Das Bild wirkt fast symbolisch. “Waffenstillstand” scheint ebenfalls ein etwas zu großes Wort zu sein für das, was da heute beschlossen worden ist.

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