Home » Desinformation: 100 Frauen gegen Merz? Wie Fake News den Wahlkampf bedrohen

Desinformation: 100 Frauen gegen Merz? Wie Fake News den Wahlkampf bedrohen

Von

Fake News über Fake News? Ein Online-Medium berichtet über eine angebliche Schmutzkampagne der SPD gegen Friedrich Merz. Die Partei dementiert, das Medium löscht den Artikel. 

Videos auf TikTok über Friedrich Merz haben im Netz für Aufsehen gesorgt. Ein Online-Artikel eines großen Nachrichtenportals berichtete über eine angebliche Wahlkampf-Kampagne der SPD gegen den CDU-Vorsitzenden und mutmaßlichen Kanzlerkandidaten. Wut und Empörung im Lager der Christdemokraten, Wut und Dementis bei den Sozialdemokraten. Denn im Nachhinein stellt sich heraus: Es gibt gar keine Kampagne. Der Fall zeigt, wie verwirrend die Lage im Kampf gegen Desinformationen bisweilen ist.

Was ist passiert?

Am Samstagabend erschien auf “Focus Online” ein Artikel, in dem behauptet wurde, die SPD plane, dass 100 Frauen synchron Videos posten, in denen sie ihre Angst vor einem möglichen Kanzler Friedrich Merz zum Ausdruck bringen. Als Quelle wurden Insider aus der Union genannt. Die SPD wies die Vorwürfe einer geplanten Schmutzkampagne gegen Merz vehement zurück. Raphael Brinkert, Chef der SPD-Wahlkampfagentur “brinkertlück”, schrieb auf X (ehemals Twitter): “Keiner in der SPD kennt diese Kampagne, schon gar keiner auf Bundesebene. Auch wir als Agentur nicht.”

Kommentar SPD 15.16

Tatsächlich gab es auf der Social-Media-Plattform TikTok eine Reihe von Videos, in denen Frauen Befürchtungen über einen möglichen Kanzler Merz äußerten. Einige dieser Videos erhielten Hunderttausende Aufrufe und Zehntausende Likes. Sie sprachen in diesen Videos unter anderem davon, “warum dieser Mann für junge Frauen unwählbar ist.”

“Focus Online” löschte den umstrittenen Artikel nach einigen Stunden ohne jeden weiteren Kommentar. Dies führte zu großer Kritik in den sozialen Netzwerken. Erst am Montagvormittag veröffentlichte “Focus Online” ein Statement zur Löschung des Artikels. Darin heißt es, dass ursprünglich verlässliche Quellen von einer gezielten Kampagne berichtet hätten. Weitere Recherchen und die Reaktionen der Parteien hätten jedoch zu einer Neueinschätzung geführt: “Wir gehen inzwischen nicht mehr davon aus, dass es strategische Überlegungen der SPD in der von uns ursprünglich dargestellten Art gegeben hat.”

In einem weiteren Statement am Dienstagnachmittag entschuldigte sich die “Focus Online” Redaktion bei ihren Lesern und der SPD. “Gerade in Zeiten von manipulierten Nachrichten, wie wir sie auch im US-Wahlkampf gesehen haben, gewinnt journalistische Sorgfalt noch mehr an Bedeutung. Wir sind dafür in unserer künftigen Berichterstattung zusätzlich sensibilisiert.”

Fairness-Abkommen und juristische Schritte

Die SPD geht dennoch juristisch gegen das Online-Medium vor. Der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch kritisierte die Reaktion von “Focus Online”: “Dass die Redaktion nur eingelenkt hat, nachdem wir den Medienanwalt Christian Schertz aufgrund des Anfangsverdachts einer Verleumdung eingeschaltet haben, verschweigt Focus Online.” Er bezeichnete den Artikel als “Desinformation, Hass und Hetze”. Er basiere auf ungeprüften Behauptungen von angeblichen CDU-Insidern – die SPD sei nicht mit den Vorwürfen konfrontiert worden. “Das entbehrt jeder journalistischen Grundlage”, sagte Miersch.

Pistorius: Warum nicht er? 8:39

Miersch bot daraufhin allen demokratischen Parteien ein “Fairness-Abkommen” an. Dieses umfasse, dass Quellen geprüft würden und falsche Berichterstattung nicht als Grundlage für Wahlkampf genutzt werde. Außerdem wolle er einen gemeinsamen Umgang mit KI-Inhalten und Deepfakes vereinbaren.

Kampagne oder Trend – nur schwer zu unterscheiden

Auf TikTok sprangen auch Accounts, die der AfD nahestehen, auf den Trend auf, Sorgen vor einem Kanzler Friedrich Merz zu thematisieren – jedoch mit einem anderen Spin. Sie posteten Zitate von Tino Chrupalla wie “Wer Merz wählt, wählt den Krieg” oder schreiben in der Videobeschreibung: “Friedrich Merz und die CDU sind eine Gefahr für Deutschland.”

Ist das eine Kampagne gegen den CDU-Chef? “Es kann sein, dass so ein Trend organisch wächst”, sagt Andre Wolf, Experte für Kommunikation und Sprecher des Vereins “Mimikama”, der sich gegen Internetmissbrauch einsetzt. “Da fängt eine Person an, animiert andere, dann machen die mit. Oder es gibt eine orchestrierte Kampagne. Das wissen wir leider nicht.” Zwischen organischen und organisierten Trends zu unterscheiden, das sei oft nur schwer möglich.

Die Beweggründe für organisierte Trends seien klar: “Das Ziel von Desinformationskampagnen ist nicht, jemanden zu überzeugen. Das Ziel ist vielmehr, Vertrauen zu zerstören. Die Leute sollen nicht mehr wissen, wem sie glauben können. Sie sollen glauben, dass doch alle lügen.”

Desinformation: “Auch Dritte haben ein Interesse an der Destabilisierung der Demokratie”

Wolf meint, dass man in Deutschland solche Kampagnen noch nicht gewohnt sei. “Im Ausland sind die schon viel stärker. In den USA gibt es solche Kampagnen seit Jahren.” Auch in EU-Nachbarländern sei koordiniertes Vorgehen auf Social Media im Wahlkampf bekannt. “Selbst hier in Österreich wissen wir, dass Social-Media-Kampagnen im Hintergrund laufen, in denen Menschen manipuliert werden und gezielt dazu aufgerufen wird, bei bestimmten Trends mitzumachen.”

SPD-Werber Raphael Brinkert warnt im Gespräch mit dem stern: “Unabhängig von diesem konkreten Fall haben wir alle einen großen Respekt vor diesem Wahlkampf.” Man befinde sich nicht nur im demokratischen Wettbewerb: “Auch Dritte haben ein Interesse an der Destabilisierung der Demokratie in Deutschland.” 

Brinkert mahnt darum zur Vorsicht vor zu schnellen Schlussfolgerungen: “Man muss leider in Zeiten wie diesen, insbesondere bei Kampagnen in sozialen Netzwerken, immer vorsichtig sein. Man weiß nicht: Kommt das vom direkten demokratischen Wettbewerber? Kommt es einfach von normalen Nutzern sozialer Medien? Oder aber kommt es von Dritten?” Was er meint: “Sind es möglicherweise Angriffe auf unsere Bevölkerung und unser Land?” Russland etwa hätte ein vitales Interesse, die Demokratie in Deutschland anzugreifen.

Drei aufregende Monate liegen vor den Wahlkämpfern aller Parteien. Wie fair es dabei zugeht, liegt längst nicht mehr allein in ihren Händen.

VERWANDTE BEITRÄGE