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Einziges Konzert in Europa: Shawn Mendes in Berlin: Anleitung zum perfekten Comeback

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In sehr jungen Jahren wurde Shawn Mendes zum Superstar – und stürzte dann ab. Nun wagt er ein Comeback. Der stern war beim einzigen Europa-Konzert in Berlin vor Ort.

Er ist schon lange da, aber trotzdem noch jung: Shawn Mendes war ein klassischer Teenie-Star. Mit 15 entdeckt, ging es für ihn ganz schnell nach oben. Der Jung-Star begleitete Taylor Swift auf Tour, schon das Debüt-Album landete auf Platz 1 der Charts. Zwei weitere Nr. 1-Alben folgten, das “Time Magazine” nahm ihn in die Liste der 100 einflussreichsten Personen der Welt auf. Dann holte ihn der Erfolg ein: Die Welttournee 2022 musste er wegen psychischer Probleme abbrechen. Nun wagt Mendes mit 26 das Comeback. In Berlin spielte er das einzige Konzert in Europa.

Mendes tastet sich langsam heran. Mit den knapp Dreieinhalbtausend Plätzen ist das ausverkaufte Tempodrom in Berlin eine vergleichsweise intime Location für den Sänger, der bei seiner letzten Tour nur Stadien und große Arenen spielte. Es sollen die wenigen kleinen Konzerte der “Family and Friends”-Tour sein, mit denen er sich zurück wagt. 

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Wohnzimmer-Gemütlichkeit statt Stadion

Zu dieser gewollt persönlichen Stimmung passt auch das Bühnenbild, das an ein gemütliches Musik-Studio erinnert: rote Perserteppiche auf dem Bühnenboden, dazwischen Kerzen, alles ziemlich unaufgeregt, perfekt aber für die neue Mendes-Ära, in der er mit seinen Fans zusammenrücken will. Das passt zum neuen Album, das am 15. November erscheinen wird und seinen Vornamen als Titel trägt. Nach dem Album “Shawn Mendes” von 2018 kommt jetzt also “Shawn” – besonders persönlich, besonders nahbar, besonders ehrlich soll es werden.

Der Großteil des Konzertgängerinnen ist weiblich, mit seinem Erfolg älter geworden und trotzdem noch jung, gekreischt wird aber jede Menge. Das Publikum könnte man auch bei Taylor Swift treffen, oder bei Harry Styles. Nur, dass Mendes keine groß-choreografierte Show abliefert. Stattdessen steht er mit seiner Akustikgitarre in der Mitte der Bühne, es erinnert an MTV-Unplugged. Begleitet wird er von Geige, Bass, Schlagzeug, Perkussion, Gitarre und Keyboard, der Konzertabend wirkt oldschool, passend zu seinem neuen Country-Stil, dementsprechend er in weiten Jeans und weißem Top auftritt. 

Shawn Mendes schaut nach vorne

Er spielt vor allem Songs des neuen Albums, erst vier davon sind vor-veröffentlicht worden. Darunter “Why why why” und “Isn’t that enough” (“Reicht das nicht?”), zwei Wohlfühl-Lieder, die ein bisschen nach dem Lagerfeuer klingen, an dem Mendes im Musikvideo von “Why why why” passenderweise gleich sitzt. Darin singt Mendes über die letzten Jahre: “I stepped off the stage with nothin‘ left / All the lights were fuckin‘ with my head” (“Ich ging von der Bühne und nichts blieb mehr/ All diese Lichter, sie verdrehten mir den Kopf”). Die Berühmtheit, die viele Presse, die Gerüchte, das alles ging nicht spurlos an ihm vorbei. 

Die Musik aber bliebe, sie mache wieder Spaß, die Message lautet: Das authentische Ich, der authentische Shawn sind wieder da. “Here I am, singin’ songs again” (“Hier bin ich und spiele wieder Lieder”), geht der Liedtext von “Why Why Why” weiter. Es ist der neueste Hit, den Mendes produziert hat und bei dem bereits alle mitsingen können. Das Publikum jubelt aber dann besonders, wenn er seine alten Lieder anstimmt. Er spielt nur wenige, aber es braucht sie, diese Songs, auf die alle warten, die, die seine Zuhörer zu Fans gemacht haben und viele mit Jugend-Erinnerungen verbinden. 

Zwischen Fan-Service und Experiment

Einige jungen Frauen im Zuschauerraum rufen bei “Stitches” ihre Freundinnen via FaceTime an, die auf den Handy-Bildschirmen mitsingen. Mendes interagiert über den Abend viel mit seinen Fans, wiederholt wieder und wieder, dass er sie liebe, lässt im Publikum Licht anmachen, um alle sehen zu können, bedankt sich für das Vertrauen zu einem Konzert zu kommen, bei dem vor allem unveröffentlichte Songs gespielt werden. Er liest Schilder vor, die im Zuschauerraum hochgehalten werden, schmeißt Plektrum nach Plektrum in die Menge, malt Herzen auf einen Zettel, die sich drei Zuschauerinnen als Freundschaftstattoo stechen lassen wollen. 

Wenn er etwas erzählt, spielt er ein paar Akkorde auf der Gitarre, dieser Klang ist immer da, nie wird es still. In den letzten zwei Jahren, in denen er sich zurückgezogen hat, habe er gemerkt, dass er zu seinen Wurzeln zurückfinden wolle, sagt Mendes. Zwischendurch covert er also “Hallelujah”, damit hat es musikalisch für ihn nämlich angefangen. Weiche Stimme, Timbre, ein wenig Melancholie, Handylichter glitzern im Saal. Dann freestylte er mit viel Hall-Effekt zu einem Harmonium, mit dem er sich selbst begleitet. Es ist der experimentellste Moment des Abends und zugleich derjenige, an dem man ihm die Suche nach dem eigenen Sound und die Liebe für die Musik, von der er immer wieder spricht, am meisten abnimmt.

Perfekt unperfekt

Der Abend in Berlin bleibt schwankend, zwischen einem Pop-Konzert, das die Zuschauerinnen eher zum Anhimmeln als Mittanzen einlädt und Momenten, in denen das “Schaut her, ich bin erwachsen geworden”-Narrativ eher wie eine nachgeholte Teenie-Phase wirkt. Zum Beispiel, als Mendes davon erzählt, im letzten Jahr Mushrooms genommen zu haben, und wie “amazing” das war. Über die Rausch-Erfahrung singt Mendes im Anschluss das verträumte Lied “The Mountain”. Darin auch eine Zeile, in der er sinngemäß singt: Ihr könnt sagen, ich würde Männer mögen oder Frauen, es ist mir egal. Ein Kommentar dazu, dass seit Jahren öffentlich über seine Sexualität spekuliert wird. Linkin Park ALbum From Zero Review 6.42

Mendes setzt an dem Abend auf eine Mischung, bei der nicht alles zusammenpasst: die Sounds, die Jugendstar-Klischees, die Klassiker, für die seine Fans ihn lieben. Vielleicht ist es aber genau diese Mischung, die das perfekte Comeback ausmacht. Das Alte nicht leugnen, aber Ehrlichkeit und Selbstfindung als Hauptprogramm. Der Abend verfliegt schnell. Nach knapp achtzig Minuten – es gibt weder Vorband noch Zugabe – ist das Konzert dann auch schon wieder vorbei, Mendes hält sich weiterhin rar. Doch das Gefühl bleibt, dass Shawn Mendes jetzt richtig zurückkommen will. Vielleicht nicht direkt zurück auf seinen früheren Platz im Pop-Universum. Dafür aber einen in neuer Form, einer gereiften, selbstbestimmteren. Mehr Country, mehr Nahbarkeit, mehr Selbstbestimmung. Jetzt also nur noch “Shawn”.

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