Laura Larsson ist die Taylor Swift der deutschen Comedy: Ihre Fans fühlen sich, als seien sie seit Jugendtagen befreundet. Über das Geschäftsmodell Nostalgie.
“Was geht aahaaab?”, ruft Laura Larsson vom Beifahrersitz eines lilafarbenen Twingos in die Kamera.
Es ist eher ein Singsang, fünfmal, zehnmal und dann noch einmal. Das Video, das hier entsteht, soll bei ihrer anstehenden Comedytour “Ortskontrollfahrt”, kurz OKF, als Intro auf die Bühnenleinwand projiziert werden. Ortskontrollfahrt, so nannte man in Larssons Kleinstadt-Vergangenheit die oft tages- oder abendfüllende Beschäftigung, ziellos mit dem Auto umherzufahren. Mal hier schauen, mal da, und dabei sich selbst präsentieren.
Die Provinz, das Lebensgefühl dort, dazu Erinnerungen an die Jugend in den Nullerjahren, das sind die Schwerpunktthemen der 35-jährigen Comedienne. Auf Instagram teilt sie oft Fotos aus dieser Zeit: Frisuren, die für heutige Sehgewohnheiten gewöhnungsbedürftige Mode, Make-up-Unfälle. Oder ihr krakeliges Stern-Tattoo am Handgelenk, das sie damals für eine super Idee hielt. “Und wisst ihr, was das Beste ist?”, kommentiert sie. “Ich hab das Gleiche nochmal am anderen Handgelenk. Cool gedacht!”
Jugenderinnerungen als Universalgefühl
Auch die Geschichten, die Larsson, mit bürgerlichem Namen Laura Hansen, auf der Bühne, auf Social Media und in ihrem Podcast erzählt, handeln häufig vom tastenden Erwachsenwerden. Von all den Unsicherheiten und emotionalen Unbeholfenheiten, die diese Zeit so groß und unvergessen machen. Larssons Publikum kann gemeinsam mit ihr in Erinnerungen an die Jugend schwelgen. Ihre Nostalgie-Comedy brachte der 35-Jährigen bislang knapp 300.000 Follower auf Instagram ein, 2,7 Millionen Likes bei Tiktok und im Jahr 2020 den Deutschen Comedypreis für ihren damaligen Podcast “Herrengedeck”.
Mit diesem Podcast kam der Erfolg. Seit 2016 unterhielt sich Larrson mit ihrer Kollegin Ariana Babori bei einem Drink über ihren Alltag, amüsant und selbstironisch. Larsson nutze diese Rampe und ging 2023 zum ersten Mal auf Tour, “Weihnachten mit Laura Larsson” war nach wenigen Minuten ausverkauft. Für “Ortskontrollfahrt” hat sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, bislang knapp 35.000 Tickets verkauft.
Mit dem Twingo auf “Ortskontrollfahrt”: Larsson setzt mit ihrem Comedy-Programm der Kleinstadtjugend ein Denkmal
© Jonas Holthaus/stern
Für den zweiten Teil des Videodrehs hat ihr Team eine Wohnung in Berlin-Kreuzberg angemietet. Platte, sechster Stock. An den Wänden Poster der US-Tänzerinnen “Pussycat Dolls”, auf das Sofa ist eine Decke mit Zebramuster drapiert, die einen interessanten Kontrast zu Larssons Leopardenhose bildet. Alte Bravos, Marlboro-Gold, Lavalampe, ein Klapphandy. Es könnte Larssons Jugendzimmer sein, in der Kleinstadt Parchim in Mecklenburg-Vorpommern, wohin sie vor einer Weile nach mehr als zehn Jahren in Berlin zurückgezogen ist.
Kurz vor Drehstart hockt Larsson im Schneidersitz auf dem Boden und kramt in einer Geschenktüte, die sie am Vormittag bei einer Podcast-Aufnahme mit Model und Entertainerin Stefanie Giesinger bekommen hat. Thema der Folge: Kinderwunsch.
In ihrem aktuellen Podcast “Zum Scheitern verurteilt”, den Larsson mit ihrem ehemaligen Radio-Fritz-Kollegen Simon Dömer aufnimmt, hatte sie erzählt, dass sie sich auch ein Leben ohne Kinder gut vorstellen könne. Daraufhin lud Giesinger sie zum Talk ein. So läuft das Podcast-Business: Man gastiert untereinander, erweitert so die jeweilige Reichweite um die des Gesprächspartners.
Ich betreibe auch in meinem Privatleben Oversharing“
Larsson ist ein dankbarer Gast, auch weil sie für ungeschönte Offenheit steht. “Ich teile viel von mir”, sagt sie. Sie spricht detailliert über ihre Lipödem-Operationen, davon, manchmal keinen Bock auf Sex zu haben oder von ihrer chronischen Darm-Erkrankung Morbus Crohn. “Ich rede über diese Themen aber nicht, weil ich denke: Darüber muss mal gesprochen werden. So selbstlos bin ich nicht”, sagt sie. Sie sei halt oft ungebremst. “Ich betreibe auch in meinem Privatleben manchmal Oversharing und schäme mich nicht so schnell.” Ob kalkuliert oder nicht: Neben den Nostalgie-Triggern ist Larssons Geschäftsmodell die Nahbarkeit, nicht die Perfektion.
Wie professionell Larsson dabei arbeitet, wird deutlich, als sie am Rande des Videodrehs Promo-Storys für ihren Instagram-Account aufnimmt und dafür Autofahrtypen charakterisiert: den spießigen “Sparkassen-Phillip” mit Feuchttüchern im Handschuhfach, die chaotische “Pfandflaschen-Yvonne”. Improvisiert ist hier nichts. Zwischen den Takes übt Larsson ihren Text mit Christoph Wind, dem Co-Autor ihres Bühnenprogramms. Zwei- bis dreimal in der Woche treffen sich die beiden. Bei Wind hinterlässt die Zusammenarbeit Spuren: “Wenn ich nach so einem Tag nach Hause komme, sagt meine Freundin immer: ‘Du redest wie Laura’.” Mit lauter Stimme und viel Mimik, oft schnell, immer auf die Pointe hin.
Bleib mal auf dem Boden, hieß es immer”
Ruhe dagegen geht von Larsson aus, als sie vom Aufwachsen in Ostdeutschland erzählt. “Seit ich 30 geworden bin, setze ich mich viel mehr damit auseinander. Wie meine Eltern in der DDR groß geworden sind, ist auch Teil von mir”, sagt sie. Geprägt habe sie vor allem die Haltung: Alle sind gleich. “Das ist aus der DDR übrig geblieben, die Skepsis gegenüber dem Individuellen, dem Ausbrechen. Bleib mal auf dem Boden, hieß es immer.”
Nach der Schule machte Larsson zunächst eine Ausbildung in der Bibliothek ihrer Heimatstadt. Aber die großen Träume, einmal Moderatorin zu werden, verstummten nicht, und so zog sie nach Berlin und landete beim Radio. “Da habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt, für etwas zu brennen und richtig Ehrgeiz zu entwickeln.”
Interview Katrin Bauerfeind 18.22
Auch wenn sie gern über alte Zeiten spricht, der Blick auf ihre Zwanziger ist nicht verklärt, sondern erstaunlich nüchtern. “Es gibt viele Menschen, die beruflich ähnliche Sachen wie ich machen, aber zehn Jahre jünger sind. Nicht zu wissen, was ich eigentlich machen will oder wie ich dahin komme, hat mich viel Zeit gekostet.”
Das beschäftige sie auch in Hinblick auf ihre Zukunft. “Egal, wie weit wir in den vergangenen Jahren gekommen sind: Was die Optik von Frauen betrifft, gibt es schon noch ein krasses Altersshaming. Davor habe ich Angst”, sagt Larsson. “Es gibt immer Leute, die entscheiden dürfen, Sender, Produktionsfirmen. Wenn die vor die Wahl gestellt werden, eine 25-Jährige für einen Job auszusuchen oder mich, mit dann Ende dreißig, glaube ich nicht, dass das immer positiv für mich ausgeht.”
Laura Larsson ist erfolgreich und laut, und sie ermutigt andere, es auch zu sein. Trotzdem scheint es, als sei sie auch deshalb auf so vielen Kanälen so außerordentlich produktiv, weil sie fürchtet, dass es nur ein kleines Zeitfenster für ihren Erfolg gibt.
Die DDR hat in ihrer ostdeutschen Familie Spuren hinterlassen: “Bleib mal auf dem Boden, hieß es immer”, erinnert sich Larsson
© Jonas Holthaus/stern
Ende September spielt Larsson die erste Show ihres Programms im Kölner E-Werk. Im Publikum sitzen überwiegend Frauen in ihren 20ern und 30ern, Zielpublikum ihres Podcasts. Die Bühnenkulisse ist einer Bushaltestelle bei Nacht in Parchim nachempfunden. “Auf Instagram hatte Laura dazu aufgerufen, dass man ihr alte Sticker zuschicken kann. Schau mal, da kleben die jetzt! Richtig viele mit FckNzs, voll gut”, sagt eine Zuschauerin und strahlt.
Am Nachmittag hatte Larsson Storys auf Instagram gepostet, in denen sie ihr Make-up für den Abend zeigte und von ihrer Aufregung sprach. Es ist auch das Erste, was sie auf der Bühne sagt: “Ich würde ja gerne souverän hier auftreten, aber ich bin so aufgeregt!” Das ist es wieder, das Freundinnengefühl.
Larsson und die Einweg-Rasierer im Handschuhfach
Der Show folgt das Publikum auffallend aufmerksam, kaum jemand macht Fotos oder filmt mit. An vielen Stellen baut Larsson “Insider” ein, spielt auf Erzählungen aus alten Podcastfolgen an. Überhaupt ist das Programm interaktiv. Sie erzählt, wie sie als Jugendliche immer Einwegrasierer im Handschuhfach deponiert hatte, um vorbereitet zu sein, falls sich ihr Freund spontan melden sollte. Der wollte nämlich nur Sex haben, wenn sie rasiert war. Auf die anekdotische Erzählung folgt ihre heutige Einordnung: was für ein unfeministischer Idiot! Eine Zuschauerin ruft spontan ihre prägende Sexerinnerung rein. Schauplatz: das Matratzenlager eines Hotels.
Larsson trägt einen engen schwarzen Rock, eine Jeansjacke mit langen Fransen und silberglitzernde Cowboyboots. Ein bisschen Taylor-Swift-Chic. Überhaupt liegen die Erfolgsgeheimnisse dieser beiden Frauen – in anderen Genres, in anderen Sphären – nah beieinander. Swift wie auch Larsson schaffen eine Verbindung zu ihrem Publikum, die das Fan-Star-Verhältnis weit überschreitet. Es fühlt sich freundschaftlich an, auch untereinander. Einige Zuschauerinnen tragen selbst gemachte Armbändchen mit Buchstaben-Perlen: “OKF”. Bei Swift-Konzerten werden solche selbst geknüpften Bänder vor der Show häufig untereinander getauscht.
Als der Applaus am Ende der Show abebbt, wird Larsson kurz ernst. Sie wisse, dass es nicht für jeden schön sei, an die eigene Jugend zurückzudenken. In Wahrheit gehe es in ihrem Programm daher um eines: Freundschaft. Sie stimmt den 2000er-Song “A Thousand Miles” von Vanessa Carlton an, im Hintergrund streifen Fotos von ihr und ihren Freunden über die Bühnenleinwand. Die Zuschauerinnen lächeln.
Eine sagt: “Wir sind ja auch befreundet, sie weiß es nur noch nicht!”