Die Ukraine muss sich nach Trumps Wahlsieg auf andere Zeiten einstellen. Erste Reaktionen aus Kiew zeigen: Man versucht, pragmatisch an den designierten US-Präsidenten heranzugehen.
Wolodymyr Selenskyj gehörte zu den Ersten, die Präsident Donald Trump auf X zum Sieg bei der Präsidentschaftswahl in den USA beglückwünschten. Um kurz nach 9 Uhr deutscher Zeit, eine halbe Stunde nach Viktor Orbán, aber deutlich vor Ursula von der Leyen und Olaf Scholz, gratulierte der ukrainische Präsident Trump zu seinem “beeindruckenden Wahlsieg” und erinnerte diesen gleich danach an ein “tolles Treffen” im September, bei dem man “die strategische Partnerschaft zwischen der Ukraine und den USA, den Siegesplan und Wege, wie die russische Aggression gegen die Ukraine beendet werden kann” besprochen habe.
Die ukrainische Führung übt sich in Zweckoptimismus – was bleibt ihr angesichts der miserablen Lage auch anderes übrig. Im Oktober eroberte Russland im Osten der Ukraine knapp 500 Quadratkilometer, mehr als in jedem Monat seit Beginn der russischen Offensive im Herbst 2023.
Kontakte der Ukraine zu den Republikanern blieben lange schwach
Insbesondere Selenskyj dürfte klar sein, dass der neue US-Präsident keine Sympathien für ihn hegt. 2019 versuchte Trump Selenskyj durch das Zurückhalten von militärischer Hilfe dazu zu bringen, kompromittierende Informationen über die Aktivitäten von Hunter Biden, Joe Bidens Sohn, in der Ukraine auszugraben. Das Öffentlichwerden dieser Causa führte zum Amtsenthebungsverfahren gegenüber Donald Trump während seiner ersten Amtszeit.
Lange ging Selenskyjs Umgebung von einer zweiten Amtszeit Joe Bidens aus – die Kontakte in die Republikanische Partei und vornehmlich zu Trumps Umfeld blieben schwach. In diesem Jahr umwarb Selenskyj auch die Trump-Wählerschaft, zum Beispiel mit einem Interview auf Fox News.
Auch Olexandr Mereschko, Vorsitzender des Auswärtigen Komitees im ukrainischen Parlament, sagt gegenüber dem stern: “Ich bin wirklich optimistisch. Trump will ein starker Präsident sein – und das bedeutet, dass er gegenüber Putin keine Schwäche zeigen wird.” Trumps Sieg sei für ihn keine Überraschung gewesen.
Allerdings sieht auch Mereschko, dass die Ukraine für Trump nicht unbedingt an erster Stelle stehe und dass er allgemein eher zu den Präsidenten zähle, für die Innenpolitik im Vordergrund stehe. “Aber das Leben zwingt einen Präsidenten manchmal dazu, sich mehr mit außenpolitischen Fragen zu beschäftigen”, so Merezhko. Auch andere sehen in Trumps Wahl eine Chance: Eine Fortführung des Status quo mit immer nur begrenzten Militärhilfen durch die Biden-Administration hatte der Ukraine zuletzt wenig geholfen. Russland ist seit einem Jahr militärisch auf dem Vormarsch.
“Wir werden uns auf Verhandlungen für ein Kriegsende einstellen müssen”
“Das ist nicht das schlechteste Ergebnis”, gibt auch der Kiewer Politikwissenschaftler Wolodymyr Fesenko gegenüber dem stern zu bedenken. Viel schlimmer für die Ukraine wäre eine politische Krise in den USA aufgrund einer politischen Blockade eines demokratisch geführten Weißen Hauses und eines republikanischen Kongresses gewesen. Ein Präsident Trump bedeute für die Ukrainer bestimmte Risiken, glaubt Fesenko. Dazu gehöre, dass sich die Art der Unterstützung für die Ukraine ändern könnte: Statt Militärhilfen könnte Trump der Ukraine anbieten, Rüstungsgüter von den USA auf Kredit zu kaufen. Zugleich könnte die direkte finanzielle Hilfe für den ukrainischen Haushalt eingestellt werden. “Und wir werden uns auf den Beginn von Verhandlungen für ein Ende des Kriegs einstellen müssen. Auch wenn es dabei kein schnelles Ergebnis geben wird.”
Trumps Ankündigung, den Krieg in der Ukraine “innerhalb von 24 Stunden” beenden zu können, ohne zu erklären, wie er das erreichen will, gehört zu den größten Risiken für die Ukrainer. Zuletzt hatte die “Financial Times” unter Berufung auf dessen Umfeld berichtet, Trump schwebe ein “Einfrieren” des Konflikts entlang der jetzigen Frontlinie vor. Und beunruhigend für die Ukrainer ist das offenbar enge Verhältnis Trumps zum russischen Präsidenten Wladimir Putin: US-amerikanische Medien hatten zuletzt berichtet, Trump habe seit seiner Abwahl 2019 siebenmal privat mit Putin telefoniert.
Ihor, ein Soldat, der seit der ersten Kriegswoche gegen die russischen Invasoren kämpft und gerade wieder im Auto zum Einsatz im Osten unterwegs ist, sagte dem stern: “Der sehr verehrte Herr Biden redet mehr als er tut, und wir haben ihn schon satt. Aber Trump ist halt ein Verrückter. Deshalb muss man fürchten, dass er unüberlegte Dinge tut. Aber wir und ich ganz besonders freuen uns, dass sich schneller entscheidet, wie dieser Krieg ausgeht. Trump wird sich kategorisch entscheiden, entweder zu unseren Gunsten oder eben nicht.”