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VW-Betriebsrat: “Wenn ich vier oder fünf Stunden Schlaf bekomme, bin ich glücklich”

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VW will mehrere Standorte schließen, auch das Nutzfahrzeugwerk in Hannover gilt als gefährdet. Betriebsratchef Stavros Christidis über Tabubrüche und anstrengende Verhandlungen

Capital: Herr Christidis, wie schlafen Sie momentan?
STAVROS CHRISTIDIS: Sehr unruhig. Normalerweise habe ich eine 60-Stunden-Woche, was schon anstrengend genug ist. Durch die Verhandlungen in den letzten Wochen geht es aber noch darüber hinaus. Wenn ich vier oder fünf Stunden Schlaf bekomme, bin ich glücklich.

Hinter Ihnen liegt eine Woche der Hiobsbotschaften. Zuerst kündigte der Konzernvorstand an, drei Werke schließen zu wollen. Dann folgte der massive Gewinneinbruch. Beschäftigte sollen nun auf zehn Prozent ihres Gehalts und die üblichen Prämienzahlungen verzichten. Haben Sie so etwas in Ihrer Zeit bei Volkswagen schon mal erlebt?
In meinen 33 Jahren bei VW noch nicht, nein. Wir erleben gerade die größte Krise, die es im Unternehmen je gegeben hat.

Sie teilen also die Analyse des Vorstands?
Größtenteils, die Probleme sind ja auch nicht wegzureden. Nur unser Rezept dagegen ist eben ein anderes.

Sie fordern, alle Werke zu erhalten, keine betriebsbedingte Kündigungen und sieben Prozent mehr Lohn. Das ist Ihr Rezept?
Bei jeder Tarifrunde gibt es Spielraum auf beiden Seiten. Nur geht es dieses Mal eben nicht nur um eine normale Entgelterhöhung. Mit der Debatte über Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen hat der Vorstand rote Linien überschritten, die wir nicht hinnehmen werden.

Das heißt, Gehaltskürzungen und vorübergehende Nullrunden wären für Sie verhandelbar?
Wir sind bereit, über Sparmaßnahmen zu reden. Das tun wir mit dem Vorstand im Übrigen auch schon seit einem Jahr. Klar ist aber auch: Es darf nicht nur bei Mitarbeitern gespart werden. Als Betriebsrat sind wir der Meinung, dass sich auch zwischen den Marken und Werken noch viele Synergien heben lassen – bei Batterien zum Beispiel, bei Software und Fahrzeugplattformen. Da gibt es Milliarden zu holen.

Die Friedenspflicht bei VW endet am 1. Dezember. Glauben Sie, dass Streiks noch vermeidbar sind?
Die IG Metall und wir als VW-Betriebsrat sind immer bemüht, uns am Verhandlungstisch zu einigen. Jetzt sind die Fronten aber stark verhärtet. Die Forderungen des Unternehmens sind so gravierend, dass es schwer vorstellbar ist, sich vor Ende der Friedenspflicht zu einigen.

Wo sehen Sie die Ursachen für die Krise bei VW?
Der Weg in die Elektromobilität ist grundsätzlich richtig, es gibt kein Zurück mehr. Aber das Management und der Vorstand haben sich zu lange auf den Erfolgen des Verbrennungsmotors ausgeruht. Spätestens nach dem Dieselskandal hätte man entschlossen handeln müssen. Doch dann kam zuerst die Corona-Pandemie und später die Halbleiterkrise. Dabei haben wir nicht mehr gesehen, was links und rechts um uns herum passiert, besonders bei den Wettbewerbern aus China und den USA. Viele Entscheidungen sind zu spät oder gar nicht gefallen.

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Liegen die Probleme nicht tiefer? VW-Chef Oliver Blume hat am Montag moniert, die Löhne in deutschen Werken seien doppelt so hoch wie im Ausland.
Wissen Sie, das A und O eines erfolgreichen Unternehmens sind doch Management- und Produktthemen. Würden wir heute anfangen, allen Mitarbeitern 100 oder 200 Euro weniger zu zahlen, würde das am Problem von Volkswagen rein gar nichts ändern. Uns fehlen die richtigen Produkte mit einer Technologie, die Menschen begeistert. Dafür braucht es Investitionen und ganz sicher keine Gehaltskürzungen.

Es mehren sich aber auch Stimmen, VW-Mitarbeiter hätten über Jahre „wie Maden im Speck“ gelebt – überdurchschnittliche Gehälter, dicke Bonuszahlungen und der Status, quasi unkündbar zu sein. Können Sie die Kritik nicht nachvollziehen?
Bei dem, was dazu in den letzten Tagen teilweise in den Medien zu lesen war, bin ich fast vom Stuhl gefallen. Weder gibt es bei VW ein 13. oder 14. Monatsgehalt, noch sind wir im Haustarif weit weg von der Fläche. Natürlich gibt es Zulagen, wenn es gut läuft. Wir passen uns der Krise aber auch an. Durch die Umstellung auf Zweischichtbetrieb verzichten viele Mitarbeiter aktuell zum Beispiel auf attraktive Nachtzuschläge. Beim Bäcker erzählte mir jemand neulich, es könne ja nicht sein, dass Azubis bei VW mit 1500 Euro netto nach Hause gehen. Solche Zahlen gibt es nicht. Wir liegen bei 880 Euro brutto. Da zahlt Lidl mehr.

Wie groß ist Ihre Sorge vor einer Werkschließung in Hannover?
Angesichts der aktuellen Tabubrüche schließe ich nichts mehr aus – ich weiß schlichtweg nicht, wo das Management hinwill. Das Werk in Hannover ist das Herzstück des Nutzfahrzeugbereichs von VW, hier gibt es enorm viel Know-how. Es ist daher inakzeptabel, dass der Standort jetzt infrage gestellt wird, vor allem, nachdem man uns versichert hatte, dass er ausgelastet wird und strategisch wichtig bleibt. Nun bleiben versprochene Modelle und Produkte aus und es wird trotzdem über Schließungen diskutiert. Das ist unfair.

Es heißt, das Werk sei schlicht zu teuer.
Bis Juni hatten wir bei Volkswagen Nutzfahrzeuge ein Rekordergebnis, der T6 lief hier in Hannover über drei Schichten und brachte hohe Gewinne. Dann entschied man sich strategisch für die Kooperation mit Ford in der Türkei, wodurch uns nun ein zentrales Modell weniger zur Verfügung steht. Das führt dazu, dass der Standort unterausgelastet ist und die Fabrikkosten steigen – das ist doch völlig logisch. Wenn der Konzern wirklich zum Standort Deutschland stehen will, dann ist die wirtschaftlich sinnvolle Lösung klar: Hannover gezielt auslasten, so wie es in der Vergangenheit war.

Ist es nicht ohnehin ausgeschlossen, dass VW den Standort schließt? Das Land Niedersachsen als Großaktionär wird den Plänen wohl kaum zustimmen.
Auf die Politik möchte ich mich nicht verlassen.

Die Zukunft des Werks hängt auch am Erfolg des ID.Buzz. Bislang hat sich der E-Bulli allerdings schlecht verkauft. Zu wenig Funktionen, zu hoher Preis: Ein Flop mit Ansage?
Es ist richtig, dass wir bei der Preisgestaltung anfangs skeptisch waren. Auch die geplante Stückzahl von 150.000 Fahrzeugen pro Jahr erschien uns nicht realistisch. Deshalb haben wir neben dem T6 ein drittes Produkt gefordert, das allerdings nicht kommt. Das Problem ließe sich aber lösen.

Was schlagen Sie vor?
Ich sehe für die Zukunft nur zwei Möglichkeiten: Ein weiteres Modell aus dem Konzern wird es bis 2031 nicht geben. Deshalb müssen wir uns auf den Multivan T7 konzentrieren. Das Modell hat zwar anfangs einige Kinderkrankheiten gehabt, aber es etabliert sich langsam. Ein Relaunch würde aus unserer Sicht helfen, weiter in die Stückzahlen zu kommen. Dasselbe gilt für den ID.Buzz: Das Modell muss attraktiver und günstiger werden.

Seit Kurzem gibt es eine neue Variante des ID.Buzz mit längerem Radstand und mehr Funktionen. Die günstigste Variante ist für unter 50.000 Euro zu haben. Reicht das?
Das wird sich zeigen. Der Verkaufsstart in Nordamerika stimmt mich schon mal zuversichtlich, ich glaube, dort gibt es für das Fahrzeug einen großen Markt. Was Deutschland angeht, ist aus unserer Sicht aber auch die Politik gefordert.

Vor Ort: VW Dresden 16.00

Inwiefern?
Wir brauchen dringend neue Kaufanreize für Elektroautos. Nicht für immer und ewig, aber vorübergehend, eben solange, bis der Übergang zur Elektromobilität vollzogen ist. Das können neben einer neuen Kaufprämie zum Beispiel auch steuerlich vergünstigte Leasingkonditionen sein.

Und was, wenn das alles nicht eintritt?
Dann werden die Chinesen und Amerikaner das Rennen machen. Es geht nicht nur um Volkswagen, sondern um hunderttausende Arbeitsplätze und das Know-how in der Automobilindustrie. Besonders in der aktuellen Situation und angesichts der schlechten Stimmung im Land habe ich Bedenken. Wenn VW zugrunde geht, werden auch andere Unternehmen und Branchen folgen. Das wäre fatal, denn wir haben über Jahrzehnte etwas aufgebaut, das es jetzt zu verteidigen gilt.

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