Das Sozialkino der Bahn könnte man lustig finden. Wenn es nicht so röche! Und laut wäre! Unser Kolumnist weiß: Die Hölle, das sind die anderen.
Meine Laune war eigentlich zu gut für einen misanthropischen Text über die grenzenlose Bräsigkeit der lieben Mitmenschen. Die Herbstsonne schien golden und mit solch wärmendem Nachdruck, dass ich auf dem iPhone schon die nächsten Freibäder googelte. Leider passierte dann das, was mir meistens passiert, wenn ich mit der Bahn fahre: Ich treffe auf andere Menschen. Damit habe ich diesen Menschen aber schon mal voraus, dass ich überhaupt registriere, dass da noch andere im Waggon sind. Wie sonst soll es zu erklären sein, dass sich nicht wenige verhalten, als wären sie allein? Mit all den vermeintlichen Rechten und Freiheiten, die man sich so im eigenen Wohnzimmer nimmt. Manch einer entspannt in Wagen 11 nämlich erst dann, wenn er Schuhe und Socken ausgezogen hat – wie mein Hintermann, dessen blanker Fuß, einem frechen Gürteltier gleich, plötzlich unter meinem Sitz hervorlugte. Nun bin ich allerdings kein Podologe, der sich dafür begeistern könnte, zumal die chipslettenartigen Fußnägel mir bei unkontrollierten Zuckbewegungen ernsthafte Schnittwunden hätten zufügen können.kurzbio beisenherz
Als Vielfahrer verstehe ich natürlich auch, dass man während einer zehnstündigen Bahnfahrt von Hamburg nach Bremen nicht verhungern möchte. Was Mitreisende allerdings an Speisen auspacken, ist eine olfaktorische Prüfung, die sämtliche Instagram-Videos toppt, in denen fiese Hundebesitzer ihre Bulldoggen mit einer Dose Surströmming quälen. Als der Erdkundelehrer auf dem Zweier sein Behältnis öffnete, dachte ich: “Ach, schön. Da hat sich einer ein halbes Pfund Aas eingetuppert.” Und, ja, doch: Ich verlange von der überforderten Mutter der beiden Jungs gar nicht, dass sie mit ihren Sechsjährigen vier Stunden lang Uno spielt, bis sie irgendwann lieber unterm als im Zug sein will. Aber dass die beiden ihre epilepsiefördernden Cartoonserien auf dem iPad so laut schauten, dass sogar der Lokführer neun Waggons weiter vorn abgelenkt war, schien mir pädagogisch nicht geboten.
Auf Konfrontation mit Akustikhooligans
Leider werde ich mit fortschreitendem Alter weniger duldsam, was solche Situationen angeht, und lasse es nicht selten auf Konfrontation ankommen. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Kopfhörer zwar über Noise-Cancelling verfügen, das wiewohl zu schwach ist, um die Akustikhooligans zu überhören – und, schlimmer noch: Solchermaßen betäubt labern diese beim Telefonat jetzt in dreifacher Lautstärke über ihre eigene Taubheit hinweg! Dass der vor mir ungehemmt mit seinem Arzt korrespondierte und sich geräuschvoll Medikamente aufschrieb, hätte man fast als Aufforderung verstehen können, ihm gratis eine zweite Fachmeinung angedeihen zu lassen. Nun darf man in der Bahn hoffen, dass dank dreistündiger Verspätung und kaputter Steckdosen das Handy irgendwann den Geist aufgibt. Nur draußen geht’s leider weiter.
Wie wahr das Kant-Zitat “Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt” ist, bemerkt man immer dort besonders anschaulich, wo eine Minderheit sich akustisch über das Ruhebedürfnis der ermatteten Mehrheit hinwegsetzt. Die schönsten Orte Hamburgs, ein Tag im Park, der Zauber eines herrlichen Sommertages an der Elbe wurden schon jäh zerstört, weil ein Granatenarschloch mit seinem Bluetooth-Lautsprecher den Steg mit einem “DSDS”-Casting verwechselt hatte. Was ist mit diesen Leuten falsch? UNSER LEBEN IST NICHT EURE AKUSTISCHE BIOTONNE! Ich werde mich künftig mit Harzer Käse und Sandalen gegen derlei menschlichen Andrang wappnen. Zur Not sogar mit einer roten Trump-Kappe: Make Ruhezone Great Again.