Der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge pflegt nicht nur Kriegsgräber, sondern leistet auch pädagogische Arbeit. Über die Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt will er Demokratie fördern.
Ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, Zivilisten und deutsche Soldaten: Rund 290 Menschen sind auf der Kriegsgräberstätte Ludwigstein im nordhessischen Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis) begraben. Es sind Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts, aus unterschiedlichen Ländern, mit verschiedenen politischen und religiösen Überzeugungen. Sie alle starben im oder kurz nach dem 2. Weltkrieg. Ihre Lebenswelten und Schicksale möchte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Schülerinnen und Schülern nahebringen.
“Dazu werden Kriegsgräber- und Gedenkstätten als Lernorte genutzt”, sagt Maike Bartsch. Die promovierte Historikerin ist Regionalbeauftragte des Volksbundes Hessen-Nord. Der Volksbund ist vor allem für sein Engagement zur Erhaltung und Pflege von Kriegsgräberstätten bekannt. Darüber hinaus will die gemeinnützige Organisation mit friedenspädagogischer Arbeit Jugendliche erreichen.
“Unsere Angebote richten sich an junge Menschen im In- und Ausland”, erläutert Bartsch. Dazu zählten Workcamps, Begegnungs- und Bildungsstätten sowie Projekte im In- und Ausland. Ziel sei es, den Wert von Menschenrechten, Demokratie und Frieden zu vermitteln und sich mit Extremismus, Nationalismus und Rassismus auseinanderzusetzen.
Geschichte kann sich wiederholen
Der Weg dorthin führt über die Beschäftigung mit geschichtlichen Themen. “Wir wollen den Jugendlichen deutlich machen, dass diese Themen durchaus etwas mit ihrem Leben zu tun haben. Dass die Geschichte nicht beendet ist und wir nicht sagen können: ‘Die Weltkriege sind lange her und das interessiert uns nicht mehr, weil unsere Großelterngeneration nicht mal mehr involviert war’.”
Stattdessen solle jungen Menschen vermittelt werden, dass Geschichte sich wiederholen könne, wenn nicht aus ihr gelernt werde. “Dass etwa der Antisemitismus im Dritten Reich Ähnlichkeiten zu dem heutigen Antisemitismus hat. Dass populistische Parolen, die die Schüler aus den heutigen Zeiten kennen, verankert sind in der damaligen Lebenswelt.”
Erreichen möchte der Volksbund das unter anderem mit einem interaktiven Geocaching-Spiel. Beim “History Caching” suchen Jugendliche in Kleingruppen auf dem Gelände der Burg Ludwigstein versteckte Gegenstände aus dem Kontext des Zweiten Weltkriegs. “Dazu zählen etwa die Armbinde eines KZ-Häftlings, ein Essgeschirr aus einem Arbeitslager und eine Gürtelschnalle mit Abzeichen der Wehrmacht”, erklärt Bartsch. Zusätzlich bekämen die Schüler persönliche Informationen zu den Biografien einiger der auf der Kriegsgräberstätte Ludwigstein begrabenen Menschen. Dort angekommen werden deren Lebenswege besprochen. “Durch Berichte über Einzelschicksale können sich die Jugendlichen besser in ihre Situation hineinversetzen und sich mit ihnen identifizieren”, sagt Bartsch.
Enger Politikbegriff als Hindernis
Auch Susann Gessner von der Philipps-Universität Marburg versteht politische Bildung Jugendlicher als Schlüssel zum Weltverstehen. Den pauschalen Vorwurf, dass junge Menschen am politischen Geschehen kein großes Interesse zeigen, sieht die Professorin für Didaktik der politischen Bildung nicht bestätigt. “Ich glaube, dass gerade Jugendliche großes Interesse daran haben, sich mit der gesellschaftlichen und politischen Welt auseinanderzusetzen”, sagt sie.
Eine Hemmschwelle der politischen Bildung im schulischen Kontext sei allerdings der oft eng angelegte Politikbegriff, der vor allem mit Institutionen und dem politischen Tagesgeschäft gleichgesetzt werde. “Dadurch wird ein statisches Verständnis gefördert”, erklärt Gessner. “Ein Zugang zu Politischem, der etwas mit der eigenen Persönlichkeit, den eigenen Interessen und Sichtweisen in Bezug auf die Gesellschaft, in der man lebt, zu tun hat, kann dann nur schwer ermöglicht werden.”
Außerschulische Angebote wie jene des Volksbundes oder von Gedenkstätten und Initiativen könnten politische Bildung manchmal anders adressieren. Sie seien befreit von curricularen Vorgaben, könnten offenere, ungewöhnlichere Zugänge wählen. “Sie können den Jugendlichen eine ganz andere Ebene eröffnen, sich mit der Welt und mit der Gesellschaft, in der sie leben, auseinanderzusetzen”, erläutert Gessner. “Die Jugendlichen können im Rahmen solcher Projekte in einem bewertungs- und druckfreien Raum ihre Vorstellungen des Politischen erweitern.”
Persönliche Bedeutung herstellen
Wichtig sei dabei – schulisch wie außerschulisch – jungen Menschen Bildungsprozesse zu ermöglichen, die für sie nicht nur in Hinblick auf die Schule und kommende Prüfungen relevant seien, sondern auch für sie persönlich, “Es braucht Angebote, die sowohl die kognitive als auch die emotionale und die soziale Dimension ansprechen.” Besonders hervorzuheben sei dabei auch die Möglichkeit zum interkulturellen Austausch, um andere Perspektiven zu eröffnen.
“Die Möglichkeit entsprechender Angebote besteht darin, zum Weltverstehen von Jugendlichen beizutragen und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen.” Gerade historisch-politische Themen könnten ein Türöffner sein, um gegenwärtige Prozesse und Verhältnisse besser zu verstehen. “Denn überhaupt kann man aktuelle Geschehnisse und gesellschaftliche Verhältnisse erst dann hinreichend verstehen, wenn man auch ihre Gewordenheit berücksichtigt”, sagt Gessner.
Die Auseinandersetzung mit historisch-politischen Themen könne Jugendlichen vermitteln, dass die Welt nicht statisch sei, sondern sich in einem gesellschaftlichen Entwicklungs- und Veränderungsprozess befinde und sich Dinge auch zum Guten entwickeln könnten. “Wenn junge Menschen diese Erfahrung machen, können sie das verbinden mit einer eigenen Aussicht auf Selbstentwicklungsmöglichkeiten.”
Starre Weltbilder verflüssigen
Der historische Zugang eröffne die Perspektive darauf, dass etwa Kriege, Konflikte und soziale Verwerfungen universelle Problemlagen seien. Es sei bedeutsam, dass Jugendliche die Erfahrung machten, dass diese Themen nicht nur für sie, sondern auch für andere relevant seien. “Dann ist ein Austausch darüber möglich, welche Perspektiven sie auf bestimmte Phänomene haben. Und darüber werden diese erst verhandelbar.” Dadurch könnten starre Weltbilder verflüssigt oder dynamischer werden.
Zudem habe politische Bildung immer auch einen Allgemeinbildungsanspruch. “Es geht darum, Jugendlichen das eigene politische Denken zu ermöglichen und ihnen zu vermitteln, dass man in einer Demokratie immer auch selbst gestalterisch Einfluss nehmen kann und auch das Potenzial hat, das zu tun.”