Home » Neue Härte des CDU-Chefs: Warum Friedrich Merz Russland plötzlich Ultimaten setzt

Neue Härte des CDU-Chefs: Warum Friedrich Merz Russland plötzlich Ultimaten setzt

Von

Der CDU-Kanzlerkandidat nennt Olaf Scholz einen Feigling, will Marschflugkörper ins Kriegsgebiet liefern. Bei der neuen Härte von Merz spielt auch das BSW eine Rolle.

Friedrich Merz spricht fast 40 Minuten lang, als doch noch so etwas wie Stimmung im Saal aufkommt. “Zögerlichkeit wird nicht als Besonnenheit, sondern als Feigheit interpretiert”, poltert der Kanzlerkandidat der Union in Richtung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). “Wir müssen mehr tun für unsere Verteidigung!”, ruft er. “Wir müssen mehr tun für unsere Freiheit!”  

Riesenjubel bricht aus auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Halle (Saale). Endlich so etwas wie ein Angriff in einer ansonsten rhetorisch zurückhaltenden Rede. Eine knappe Woche ist das jetzt her. 

Diese Szene, sie steht beispielhaft für eine neue Klarheit in Merz’ Russlandkurs, das Kalkül, die SPD im Bundestagswahlkampf ausgerechnet auf diesem sensiblen Feld herauszufordern und eine riskante Strategie im Umgang mit Sahra Wagenknecht. Doch die neue Härte ist nicht ohne Risiko. 

Merz schwieg zur Ukraine nur ungern 

Nur mit der Faust in der Tasche, sagen Leute, die Merz gut kennen, habe sich der 68-Jährige in den vergangenen Monaten zurückgenommen. Inständig hatten ihn insbesondere die CDU-Landesverbände im Osten vor den Landtagswahlen gebeten, sich weniger aggressiv zur Ukraine zu äußern.  

Im Unionsfraktionsvorstand faltete Merz im Juni den Außenpolitiker Roderich Kiesewetter für dessen öffentliche Alleingänge zusammen. Er gilt als einer der lautesten Ukraine-Unterstützer in der Union. Von einem Kurswechsel von Merz wurde gemutmaßt.  

Eine einschneidende Frage stand im Raum: Opfert Merz die Ukraine für den Wahlerfolg der Union?  

Inzwischen liegt die Landtagswahl in Brandenburg 39 Tage zurück, die in Sachsen und Thüringen fanden schon vor zwei Monaten statt. Verhandelt wird noch über Koalitionen, ausgerechnet mit dem russlandfreundlichen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Zurückhaltung aus Berlin wäre also womöglich geboten, weiterhin. Aber Friedrich Merz will sich jetzt nicht länger zurückhalten. 

Und im Kanzleramt sitzt Olaf Scholz, das Angsthäschen 

Am Sonntag, einen Tag nach seiner Rede auf dem Deutschlandtag, legte Merz nach: „Wenn wir im Westen Angst haben, uns zu verteidigen, dann hat Putin schon zur Hälfte gewonnen”, sagte Merz im „Bericht aus Berlin“. Es gehe jetzt um die Frage, wie selbstbewusst man dessen Aggression begegne. “Der Einzige, der im Weg steht, ist der deutsche Bundeskanzler. Und der hat offensichtlich Angst“, sagte Merz. Diese Botschaft soll offenbar ankommen beim Volk: Hier steht Friedrich, der Mutige. Im Kanzleramt sitzt Olaf Scholz, das Angsthäschen.  

So einfach ist es freilich nicht: Unter Scholz ist Deutschland eines der größten Geberländer der Ukraine, finanziell und militärisch. Scholz hat eine Allianz für mehr Luftverteidigung organisiert, mehr Geld für die Ukraine lockergemacht, als andere Länder schon knauserten. Aber der Bundeskanzler steht auch für einen Kurs der Zurückhaltung, klare rote Linien, was eine deutsche Beteiligung betrifft: keine Lieferung der Taurus-Raketen, keine Freigabe von deutschen Waffen für den Beschuss von russischem Staatsgebiet, keine direkte deutsche Unterstützung für die Ukraine.  

STERN 45_24 Fried 12:24

Merz übertritt diese roten Linien: Im Bundestag forderte er ein Ultimatum an Russland. Wenn die russische Armee nicht binnen 24 Stunden damit aufhöre, Wohnhäuser zu bombardieren, müsse Deutschland bereit sein, die Marschflugkörper vom Typ Taurus zu liefern. Er zitierte den französischen Philosophen Michel de Montaigne: „Angst ist die Mutter aller Grausamkeit“ und betonte, dass es an der Zeit sei, diese Angst zu überwinden, um die Grausamkeiten in der Ukraine zu beenden. 

Merz und seine Strategen haben die behutsame Ukraine-Politik des Kanzlers als Chance erkannt. Der Unionskanzlerkandidat will jetzt Führung demonstrieren – und sich so von Scholz absetzen. Nur noch 16 Prozent der Menschen bescheinigen diesem laut des ZDF-Politbarometers Führungsstärke, 76 Prozent halten ihn für führungsschwach. Mal wieder ein Basta-Kanzler á la Gerhard Schröder, einer, der geradeausredet, in Hauptsätzen, danach sehnt sich selbst in der SPD mancher. Und Basta sagen, das kann Friedrich Merz.  

Kiesewetter hofft unter Merz auf eine Führungsrolle Deutschlands 

Roderich Kiesewetter ist froh über diesen neuen Friedrich Merz. Der CDU-Außenpolitiker, der noch im Sommer von Merz gemaßregelt wurde, lobt nun dessen Ukraine-Kurs: “Friedrich Merz würde als Bundeskanzler echte gemeinsame europäische Unterstützung für die Ukraine organisieren und unsere Eigenverantwortung für die Sicherheit stärken, statt wie Olaf Scholz immer nur auf die Amerikaner zu zeigen”, sagte Kiesewetter dem stern. “Friedrich Merz würde endlich eine klare Strategie der Stärke fahren, statt sich von Putin weiter erpressen zu lassen.” Das zeige sein Auftritt im Deutschen Bundestag. 

Für die SPD und Olaf Scholz kommt Merz’ neue Klarheit in einer schwierigen Phase: In Brandenburg haben die Sozialdemokraten sich zusammen mit dem BSW gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ausgesprochen, damit auch gegen den eigenen Bundeskanzler. Der neue SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hat mit einem Interview im stern eine Debatte um den Umgang mit Altkanzler und Putinfreund Gerhard Schröder ausgelöst. 

Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, sagte dem stern dazu: “Die Rehabilitation Schröders durch Matthias Miersch zeigt: Die SPD beschließt die Wende von der Zeitenwende.” Das sei unverantwortlich für die Sicherheit Deutschlands und Europas, sagte Winkel. “Die SPD schürt die Angst der Deutschen, statt mit Polen und Frankreich Stärke zu zeigen”, so der Chef des Parteinachwuchses der Union. “Mit der inhaltlichen Wiederannäherung an Russland scheint man zudem eine Koalition mit dem BSW auf Bundesebene vorzubereiten.” 

30: Sondierungskompromiss in Thüringen sorgt innerhalb des BSW für Zwist – 22dbf769633fb0b3

Doch auch die Union selbst muss sich mit dem BSW auseinandersetzen: In Thüringen und in Sachsen verhandeln die Landesverbände jeweils mit der Partei von Sahra Wagenknecht. Aus diesen Landesverbänden ist Ärger über Merz’ neue Deutlichkeit zu hören. Will er das Bündnis politisch verhindern, ohne das offen aussprechen zu müssen?  

Im Konrad-Adenauer-Haus hofft man auf etwas anderes: Das BSW soll derart unter Druck gesetzt werden, dass Wagenknecht in den Konflikt mit ihren Landesverbänden gehen muss. In Thüringen scheint das vorerst funktioniert zu haben; der Ausgang des Machtkampfes zwischen Wagenknecht und BSW-Landeschefin Katja Wolf ist allerdings offen. Für die Parteiführung der Union ist in jedem Fall wichtig: Es soll dringend der Eindruck vermieden werden, dass sie die eigene Westbindung für mögliche Koalitionen im Osten opfert.  

Friedrich, der Hitzkopf?

Der Kurs von Merz ist ein Wagnis. Ein Drittel der Deutschen will die Ukraine inzwischen weniger als bisher unterstützen, ein knappes weiteres Drittel will die Waffenhilfe auf jetzigem Stand belassen. Ob es für rhetorische Eskalationen und Ultimaten á la Merz wirklich Mehrheiten gibt? Fraglich. 

Die SPD versucht den Kanzlerkandidaten und großen Scholz-Widersacher nun als Hasardeur hinzustellen. “Friedrich Merz ist ein unglaublicher Hitzkopf, der sich viel zu leicht von seinen Emotionen leiten lässt”, sagte etwa Generalsekretär Miersch kürzlich dem stern. Hier Friedrich, der Hitzkopf und dort Olaf, der Besonnene. Die Gefahr für die Union ist, dass sich die Kriegsangst der Deutschen gegen Merz wendet. Schweigt er dann doch lieber wieder? 

VERWANDTE BEITRÄGE