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Westermann liest: Jan Weiler zeigt, wie er mit Sprache umgehen kann

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Autorin Christine Westermann stellt hier alle zwei Wochen ihre Buch-Entdeckungen vor. Diese Woche: “Munk” von Jan Weiler.

Es bleibt ihm das Herz stehen, mitten auf einer Rolltreppe in einem Kaufhaus in Zürich. Was bei Peter Munk keineswegs Todesangst auslöst, sondern zunächst nur helle Empörung. Ein Herzinfarkt mit 51, so hat er sich das nicht vorgestellt.

Überhaupt hatte er sich vieles in seinem Leben anders gedacht, als es dann tatsächlich gelaufen ist. Das Herz hat all die Irrungen und Wirrungen bislang klaglos mitgemacht, aber jetzt wird es ihm zu viel. Nach 1,86 Milliarden Schlägen hält es inne. “Das ist entschieden zu früh, denkt er, ganz entschieden zu früh und auch der völlig falsche Ort für so etwas.”

Dieses “so etwas” meint Sterben, und wer stirbt schon gern zwischen der zweiten und dritten Etage eines Kaufhauses mit Blick auf “ein fabelhaftes Sonderangebot für Zimmerli-Unterhosen”.

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Das Herz überlegt es sich dann noch mal, Munk wird gerettet, aber die Ärzte haben keine Ahnung, warum Munks Herz keine Lust mehr hatte, weiterzumachen. Er raucht nicht, treibt Sport, ernährt sich gesund, trinkt kaum Alkohol, ist keinem ungewöhnlichen Druck im Beruf ausgesetzt. Im Gegenteil, Peter Munk ist ein erfolgreicher, vielfach ausgezeichneter Architekt und obendrein Single. Nicht mal der Stressfaktor einer Beziehung oder gar einer Ehe spielt eine Rolle. Oder vielleicht doch?

Christine Westermann über die Lieben eines Menschen

Die Lieben im Leben eines Menschen, die großen, die hoffnungslosen, die gescheiterten, der Bestsellerautor Jan Weiler hat sie in seinem neuen Roman zu (s)einer Herzensangelegenheit gemacht.

36,5 Millionen Mal schlägt ein Herz pro Jahr. Aber was passiert, wenn es durch die Liebe aus dem Takt gerät, einen Knacks bekommt? “Wenn wir nicht gut mit der Liebe umgehen und unser Herz andauernd bricht, kann es schon sein, dass wir eines Tages auf einer Rolltreppe einfach um-kippen”, schreibt Jan Weiler.

Peter Munk kommt in seinem Leben auf 13 Lieben. Die Namen der Frauen fallen ihm nicht alle gleich ein, aber er erinnert sich an ganz schön wilde, dramatische Beziehungen. Manche dauerten länger, eine war schon nach einer Nacht vorbei.

Dennoch hinterlassen sie Spuren. Der Schlüssel zu seinem kranken Herzen, sagt ihm der Therapeut in jenem luxuriösen Resort im Schwarzwald, in das sich Munk zurückgezogen hat, stecke in seiner “unsortierten Seele”.

Also räumt er auf in seinem Herzen, erinnert sich an Namen, macht eine Liste mit den Frauen seines Lebens. Sie beginnt mit Nadja, es folgen Judith, Nicole, Ana, Maja, und irgendwann verliert man beim Lesen komplett den Überblick, was einem aber herzlich egal sein kann. Weil die Geschichten fein erzählt sind, mit gutem Humor und angenehmer Nachdenklichkeit. Kein lahmes Beziehungsgeschwätz und immer genug Drama; das ist keine Sekunde langweilig.

Dieser Roman ist im besten Sinne unterhaltend, weil Jan Weiler mit Sprache umgehen kann. Auch deshalb freut man sich über gut platzierte Seitenhiebe: Für Munk – und in diesem Fall sicher auch für den Autor Weiler – ist die Sprache zu schön und zu wertvoll, um sie in den Dienst einer politischen Absicht zu stellen. Deshalb weigert sich Munk in seinem Architekturbüro zu gendern. Gegenderte Texte lesen sich für ihn “wie Bekennerschreiben von linksterroristischen Attentätern: moralistisch, wichtigtuerisch, pädagogisch und uncharmant”.

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Bevor jetzt die Begeisterung für dieses Buch mit mir durchgeht, kleine Einschränkung: Das Ende der Munk’schen Liebesgeschichten ist überraschend flach. Es schrammt nur knapp am Kitsch vorbei. Aber Hand auf mein Herz: Das macht fast gar nichts.

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