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Jahrestag des 7. Oktober: Terroristen zerstörten ihr Kibbuz. Nun dürfen sie endlich nach Hause

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Am 7. Oktober 2023 überfiel die Hamas in Israel den Kibbuz Nir Jitzchak. Unsere Reporterin hat ein Jahr lang vier Menschen begleitet, die überlebt haben.

Zehn Monate nachdem er hier dem Tod entkam, steht Oded Bahar vor dem Eingangstor des Kibbuz Nir Jitzchak. Es ist der 24. August 2024 – der Tag der Rückkehr aus dem Exil. Bahar, 70 Jahre alt, schiebt sich die Brille höher auf die Nase, wie immer, wenn er sich konzentriert. Ein junger Soldat im Wachhaus drückt einen Knopf, leise gleitet das Tor zur Seite, durch das damals auch die Terroristen eindrangen. Ein Tuch ist an dessen gelben Stäben festgeknotet, “Willkommen, Heimkehrer” steht darauf.

Staub wirbelt auf, als Bahar den Wagen langsam in Richtung seines Hauses lenkt.

Vorbei am Gemeinschafts-Speisesaal, in dem früher Hunderte Menschen saßen.

Vorbei am Kinderhaus, vor dem noch immer kaputt geschossenes Spielzeug liegt.

Entlang des Zaunes, der sie schützen sollte, schützen vor dem, was dahinter liegt, vor Gaza. Bahar hat den Zaun nie gemocht.

Jets krachen über den Himmel und werfen dort, nur Kilometer entfernt, ihre Bomben ab. “Ein ruhiger Tag”, sagt Bahar, er meint das nicht ironisch. Neben ihm sitzt sein Vater, er ist fast blind. Der 98-Jährige hat den Kibbuz mitaufgebaut, Häuser gemörtelt und die Felder angelegt, auf denen sein Sohn Gemüse anpflanzte. “Ein schöner Ort”, sagt der Vater, “bestimmt betrieben die Leute hier Landwirtschaft.” Der alte Mann war zu lange fort, ein Jahr fast, er hat vergessen, was seine Heimat gewesen ist.

Ein Jahr, in dem die Region in Brand geriet. Ein Jahr des Krieges, ein Jahr der Gewalt, ein Jahr der Toten, auf beiden Seiten. Ein Jahr ohne Wurzeln, ohne ihren Kibbuz.

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Ein Kibbuz ist eine geschlossene Gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Nähe und des Vertrauens, er versammelt Menschen, die zusammen entscheiden, und zwar alles. Ein in sich funktionierender Kosmos. Aber sensibel für Erschütterungen von außen. Ein Jahr lang hat der stern vier Menschen aus Nir Jitzchak begleitet.

Oded Bahar, den Friedensaktivisten, der als einer der Ersten zurückkehrt.

Den Tierhüter Ilan Yoseff, der die Kinder im Kibbuz lehrt, Spinnen genauso zu lieben wie Affen, seit Generationen schon.

Sheli Hazan, die Gesundheitsmanagerin, die zur Spendensammlerin wird.

Und Miguel Auerbach, den Schauspieler, der aus dem Terror ein Theaterstück macht. Vier von 582, die hier gelebt haben, einst, vor jenem Tag, den sie nur den “Schwarzen Samstag” nennen.

7. Oktober 2023

Wie alle Geschichten des 7. Oktober beginnt auch die von Nir Jitzchak im Morgengrauen. Es ist 6.34 Uhr, als Oded Bahar und seine Frau Ofra von Raketenlärm aufwachen. Sie setzen sich im Bett auf, schalten den Fernseher an. Alarm. Überall. Das Schlafzimmer der Bahars ist zugleich ihr Schutzraum. Die Wände sind mit Stahl verstärkt, auch die Fenster sind bombensicher, es gibt eine Belüftungsmaschine. Aber ein Türschloss fehlt. Die Bunker der mehr als 200 Wohnhäuser des Kibbuz sind zum Schutz vor Raketen konstruiert – nicht vor Terroristen, die mit Sturmgewehren in das Gelände einfallen.

9.25 Uhr, die Überwachungskamera am Eingangstor zeichnet mehr als ein Dutzend Eindringlinge auf. Manche sind kaum 20 Jahre alt. Sie finden die Schwachstelle des Zauns, neben dem Wachhaus, dringen ein, lassen das Tor zur Seite gleiten. Ein Kibbuz-Bewohner sieht die Männer und schickt eine Warnung in die Whatsapp-Gruppe. Er hört auch, wird er später erzählen, Schreie aus seinem Nachbarhaus. Es sind die von Clara Marman. Sie und vier weitere aus ihrer Familie werden nach Gaza entführt.

Auf der anderen Seite des Kibbuz sitzt Miguel Auerbach im Schutzraum und liest die Warnungen im Chat. Er und ein paar befreundete Bewohner des Kibbuz haben die Gruppe “Die Überlebenden” genannt, es soll ein Scherz sein. Weil ihre Familien einst den Holocaust überlebt hatten.

11.31 Uhr, Esther: Habt ihr ein Schloss? Wir haben keines.

11.32 Uhr, Yael: Wir haben auch keines.

11.33 Uhr, Nora: Möge Gott uns helfen.

11.58 Uhr, Esther: Sie sind da. In unserem Haus.

Um zwölf Uhr hört Auerbach Schüsse, die Fenster in der Küche zersplittern. Er hört die Schritte der Terroristen und wie sie Bücher und Geschirr aus den Schränken reißen. Er hört, wie sie weiterziehen.

Ein paar Häuser weiter kauert Sheli Hazan im Schutzraum, mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern. Draußen hallen Schüsse, Männer schreien auf Arabisch. Die Kinder chatten mit ihren Freunden aus dem Nachbarkibbuz. Sie werden panisch. Dort, lesen sie, vergewaltigen, morden und entführen die Hamas-Angreifer seit Stunden. Sheli Hazan nimmt ihnen die Handys weg. Der Hund der Familie, Toy, ein braun-schwarz-weißer Shih Tzu, liegt neben der Tür. Kein Bellen. Kein Jaulen.

In zwölf Stunden erschießen die Männer der Hamas in Nir Jitzchak sieben Menschen. Sie zerren zudem sieben Kinder, Frauen und Männer aus Schutz-Zimmern und verschleppen sie nach Gaza.

Mit Bildern gedenkt man Opfern des 7. Oktober in Nir Jitzchak
© Yoray Liberman/stern

10. Oktober 2023

Eilat, ein Urlaubsort am Roten Meer im Süden Israels, bekannt für Tauchspots. Jetzt sind seine Hotels gefüllt mit Evakuierten, 120.000 aus den Kibbuzim und Orten nahe Gaza. Die Regierung zahlt die Zimmer. Israels Armee bereitet sich auf die Invasion in Gaza vor. Die Hamas soll vernichtet werden, ein für alle Mal.

Die Überlebenden aus Nir Jitzchak drängen sich in der Lobby des “Caesar Premier Hotels” aneinander, auf Sofas und Plastikstühlen, als habe man sie gerade erst hier ausgesetzt. Nähe gegen das Grauen, das vor Tagen passiert ist und immer wieder passiert, in Gedanken. Gemeinsam, wie im Kibbuz, wollen sie das überstehen, was Israels Armeesprecher “unseren 11. September” genannt hat. Draußen sind mehr als 30 Grad, im Pool glitzert das Wasser, eine Sommerbrise biegt die Palme. Im Souvenirshop stapeln sich Schwimmflügel in Neonfarben.

Einige der älteren Herren versuchen, sich mit einem Brettspiel abzulenken, andere zeigen sich auf ihren Handys Fotos aus den Stunden im Bunkerzimmer. Auch Miguel Auerbach und Oded Bahar sitzen hier.

Auerbachs Eltern stammen aus Essen und Berlin, die meisten seiner Verwandten wurden von den Nazis ermordet. Er spricht das antiquierte Deutsch jener Familien, die dem Holocaust entflohen sind und die alte Heimat vor allem aus den Werken der Dichter kennen. Redet Auerbach über die israelische Armee, sagt er “unser Heer”, Sätze beendet er mit “nicht wahr?”.

“Ein Albtraum”, wiederholt Auerbach in der Lobby, immer wieder, “ein Albtraum, aus dem wir nicht aufwachen können.” Sein Körper wirkt drahtig, die Stimme hat Volumen, selbst wenn er flüstert. Auerbach hat Schauspiel studiert. Die Jahre auf Theaterbühnen haben aus ihm einen Verbalkünstler gemacht, der nicht laut sein muss, um Gehör zu finden. Er könne es nicht abwarten, nach Nir Jitzchak zurückzukehren, sagt Auerbach auch.

Warum eigentlich?

Schon vor dem 7. Oktober flogen dort Raketen aus Gaza über die Häuser. Das Leben im Kibbuz war eines, das immer auf der Kippe stand, hier die Idylle, dort die Gefahr, die jederzeit über den Zaun kommen konnte. Warum dort leben und warum dorthin zurückkehren? Auerbach antwortet mit einem Lied der bekannten israelischen Sängerin Chava Alberstein, über das Leben am “Rand des Vulkans”. Darin heißt es: “Alle paar Jahre – so steht es in den Zeitungen – bricht die Lava erneut aus dem Berg aus und bedroht erneut das ganze Dorf. Warum bist du so hartnäckig, warum verlässt du das Dorf nicht ein für alle Mal?” Die letzte Strophe rezitiert Auerbach wie ein Gedicht: “Und hoffe auf den Tag, der noch kommen wird, an dem der Berg still sein wird. Und wie wird dann auf dem schwarzen Basalt das Gras ein für alle Mal blühen.” Er verstummt.

Oded Bahar, von seinem Stuhl, sagt mit gedämpfter Stimme: “Ich denke auch an die Zivilisten in Gaza. Auf sie kommt jetzt wohl etwas Schlimmes zu.” Bahar hatte sich vor dem 7. Oktober jeden Freitag mit Friedensaktivisten getroffen. Wird es das je wieder geben? Er weiß es nicht. Aber er weiß, dass er einer bleiben will.

Beim Pool planschen bald dann doch einige Erwachsene mit ihren Kindern herum, aber Sheli Hazan bleibt drinnen sitzen, ihre neunjährige Tochter Ofri auf dem Schoß. Das Mädchen traut sich nicht nach draußen. Sie lächeln, es ist ein automatisches Lächeln, eines, das ihre großen, braunen Augen nicht erreicht. Ofri habe sie gefragt, erzählt Hazan, wie lange die Terroristen brauchen würden, um in Eilat zu sein. Die Mutter fürchtet den Tag, an dem Ofri zurück in die Schule geht, an dem sie bemerkt, dass einige ihrer Mitschüler tot sind oder entführt. Hier im Hotel teilt sich die Familie ein Hotelzimmer. Abends sitzt Sheli dort über ihrem Laptop, entwirft eine Spendenkampagne für jene, die komplizierte Behandlungen brauchen oder ihre Häuser reparieren müssen. “Wir sind eine kleine Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt”, sagt sie. “Wir müssen uns umeinander kümmern.”

Mutter Sheli und Ofri Hazan in der Hotellobby
© Katharina Kunert

Ein Kibbuz lebt von der Landwirtschaft, den Tieren. Meist sind es Hühner und Kühe, aber in Nir Jitzchak gab es noch mehr. Affen, Vögel, Schlangen, Mäuse. Ilan Yoseff hatte sie in den Kibbuz geholt, der Zoo war sein Stolz. Besucher aus der ganzen Gegend kamen, um von ihm zu lernen. Jetzt, im Hotel, tigert der 72-Jährige umher, greift immer wieder nach dem Telefon. Er will, dass auch die Tiere evakuiert werden. “Wenn sie nicht bald etwas zu essen und trinken bekommen, dann laufen sie weg”, sagt Yoseff, macht dann eine Pause. “Oder sie sterben.” Seine kräftigen Arme zeugen von langen Arbeitstagen, am Abendbüfett lässt er den Nachtisch aus. Yoseff liebt Natur. Er hasst Luxus.

3. Februar 2024

Israels Armee kämpft inzwischen an zwei Fronten, in Gaza wie auch an der Nordgrenze zum Libanon. Doch Hamas und Hisbollah schießen weiter mit Raketen. Zehntausende Menschen wurden aus dem Norden evakuiert, und auch das Grenzgebiet zu Gaza, im Süden, auch Nir Jitzchak, ist weiterhin nicht sicher. Die Rückkehr der Bewohner scheint in die Ferne zu rücken.

Einige haben die Feriengegend trotzdem schon verlassen, sich Wohnungen in anderen Städten gesucht. Andere fangen an wie aus Trotz ihren Kibbuz aus der Ferne herzurichten. Sie fahren morgens in die verlorene Heimat, reparieren zerschossene Fensterscheiben und teeren die Parkplätze, auf denen ihre Autos verbrannt sind. Manche bleiben gar über Nacht. Die meisten fahren abends ins Exil zurück.

Dort, am Roten Meer, wurden die Evakuierten in ein neues Hotel umgesiedelt, das “U Splash”. Von der Struktur ähnelt das Resort einem Kibbuz: in der Mitte eine Wiese, auf der Kinder Fußball spielen. Drum herum die Häuser. Auf Bänken sitzen Nachbarn beieinander, trinken Kaffee, spielen Karten. Überall strömt Lilienduft aus den Lüftungen. Ein Leben im Schwebezustand, parfümiert und träge.

Doch an diesem Tag herrscht Aufregung. In einem Saal wurden Plastikstühle aufgebaut, Hunderte sitzen dort und hören einer Frau zu, immer wieder wischt sich jemand Tränen von den Wangen. Clara Marman ist zu Besuch. Zum ersten Mal kehrt sie, die am 7. Oktober verschleppt wurde, in die Arme ihrer Gemeinschaft zurück. Marman ist eine von den 105 Geiseln, die zwei Monate zuvor durch ein Abkommen mit der Hamas freigekommen sind. Etwa 140 verblieben in Gaza.

Was Marman an diesem Abend genau erzählt, soll nicht veröffentlicht werden, darum bittet sie. Im Publikum sitzt Ilan Yoseff, der Wildhüter, neben seinem Enkel Eyal, 16, er nimmt ihn in den Arm. Die Terroristen hatten zweimal versucht, in dessen Bunkerzimmer einzufallen, Eyals Vater stemmte sich gegen die Tür. Als Marman von ihrer verschleppten und nun befreiten Nichte erzählt, drückt Yoseff Eyals Schulter. “Zufall, nichts als Zufall, dass es nicht wir waren”, flüstert er.

Der Großvater und sein Enkel, sie teilen die Leidenschaft für Tiere. Weil längst alle Tiere aus Nir Jitzchak evakuiert wurden, haben die beiden etwas Besonderes auf den Weg gebracht – einen Exil-Zoo. Die Schlangen, Eidechsen, Schildkröten aus dem Kibbuz pflegt Yoseff jetzt nahe dem Hotel, in einem eingezäunten Schuppen mit selbst gezimmerten Gattern und Käfigen. Mit einem Mountainbike fährt er fünfmal am Tag zwischen dem Hotel und diesem Schuppen hin und her, immer in Sorge, es könne den Tieren schlecht gehen. In der Sommerhitze, befürchtet Yoseff, werden sie träge, schwitzen mehr und trinken zu wenig. Sie sind das Trockenklima von Nir Jitzchak gewohnt. Die Wüste. Nicht die schwüle Luft der Küste.

Ilan Yoseff, der Tierhüter von Nir Jitzchak. Er ließ auch Schlangen und Kleintiere evakuieren
© Yoray Liberman/stern

Miguel Auerbach sitzt mit Stift und Block in seinem Hotelzimmer, gefliester Boden, durch ein Terrassenfenster fällt Licht. Ein Regisseur hat ihn gefragt, ob er Teil eines dokumentarischen Theaterstücks werden wolle. Gemeinsam schreiben sie ein Stück darüber, wie die Bewohner der Kibbuzim am 7. Oktober ihre Heimat verloren. Sie schreiben über eine Gemeinschaft, die vorher jede Kleinigkeit diskutiert hat – und die im Exil nicht mehr streiten will, damit es wenigstens ein bisschen Frieden gibt.

25. August 2024

Yoseff schlängelt sich in der Lobby des Hotels zwischen Gepäckwagen und Rollkoffern hindurch. Es ist der Tag der großen Abreise. Yoseff umarmt, drückt Schultern, hastet von einem zum anderen. “Wir brauchen noch mehr Stühle und Tische”, sagt er zu seinem Enkel Eyal. Die Bat Mizwa von Eyals Cousine fängt gleich an, der Übergang ins Erwachsenenleben am zwölften Geburtstag, mitten im Abreisechaos. Sie feiert fern der Heimat, fast allein, viele Freundinnen sind schon abgereist. Die Kibbuz-Bewohner verlassen das Hotel, sie verteilen sich auf ganz Israel. Es ist das vorläufige Ende einer Gemeinschaft, die seit Jahrzehnten bestanden hat. Yoseffs Familie zieht ebenfalls aus, nur er und seine Frau bleiben weiter im Hotel. So lange wenigstens, wie es braucht, ihr Haus in Nir Jitzchak zu reparieren. Es wurde von einer Rakete getroffen.

Miguel Auerbach hat sein Leben in seinem Hotelzimmer auf dem Boden gestapelt. Zum dritten Mal binnen eines Jahres packt er Pappkartons. Diesmal wird er in ein Dorf nahe der ägyptischen Grenze ziehen, Auerbach und seine Frau fühlen sich in Nir Jitzchak nicht sicher, noch nicht. “Sie nennen uns Luxusflüchtlinge. Aber es schmerzt, der Heimat fern zu sein”, sagt er.

Miguel Auerbach mit Frau Ruth im Hotel. Sieben Monate war das Resort am Roten Meer ihr Zuhause
© Yoray Liberman/stern

Kartons auch bei Sheli Hazan, sie hievt sie auf den Gepäckwagen. Tochter Ofri turnt darauf mit ihrem Hund herum. Die meisten Haustiere durften nicht mit in die Hotels, aber Toy, der im Bunker ruhig blieb, gilt als Familienmitglied. Wie Ofri zuckt er bei lauten Geräuschen zusammen und bleibt nicht gern allein. Das Mädchen kann nicht mehr ohne seine Mutter einschlafen.

“Das Hotel war ein Ort zum Heilen”, sagt Sheli. “Sie haben uns alles gegeben, ich habe hier in Eilat Freunde gefunden, und die Kinder konnten wieder lernen, Kinder zu sein.” Die Kinder wollen zurück nach Nir Jitzchak. Doch Sheli und ihr Mann haben beschlossen, mit 20 anderen Familien aus Nir Jitzchak in den Kibbuz Masch’abbe Sade im Landesinnern zu gehen, für ein Jahr.

Auszug aus dem Exil: Sheli Hazan mit Tochter Ofri am Tag der Abreise aus dem Hotel bei Eilat
© Yoray Liberman/stern

Einige Stunden später ist Oded Bahar einer der Ersten, die Nir Jitzchak erreichen. Er wartet mit seinem Wagen am Eingangstor, im Minutentakt fahren Autos hindurch, Kinder winken auf den Rücksitzen. Im Hotel, sagt Bahar, habe er es nicht mehr ausgehalten. “Die wollten uns betäuben. Jeden Tag wurden die Handtücher gewechselt. Ich konnte mich über nichts beschweren. Und genau das wollten die auch.” Er sei fast verrückt geworden, wenn er Nachbarn beim Kaffeeplausch sah. Bahar, der Aktivist, fuhr immer wieder zu Mahnwachen für die Geiseln nach Tel Aviv, er hat auf Massenprotesten gegen die Regierung angeschrien.

Gaza Wiederaufbau 19.50

Im Kibbuz soll Bahar helfen, eine finanzielle Grundlage zu schaffen, mit der Landwirtschaft. Während über ihm Kampfjets dröhnen und irgendwo hinter dem Zaun Bomben detonieren, pflanzt er Babykarotten. Über 40.000 Menschen sind in Gaza inzwischen ums Leben gekommen.

“Die Regierung lässt diesen verdammten Krieg nie enden”, sagt Bahar. Einen Frieden mit den arabischen Nachbarn ersehnt er noch immer, aber die Hoffnung darauf hat er fast aufgegeben. “Ich entscheide nicht, dass einer mein Feind ist, weil er Palästinenser oder Israeli ist. Sondern weil er ein Extremist ist.” Die gebe es auf beiden Seiten des Zauns. “Wir glaubten, dass die, die Frieden wollen, eines Tages in der Mehrheit sein würden. Vielleicht war das eine Illusion.”

Bahar ist allein, seine Frau zog auch ins Landesinnere. Vielleicht wird er ihr folgen, vielleicht nicht. Bahar weiß es nicht. Etwa die Hälfte der Bewohner kehrt zurück nach Nir Jitzchak. Der Rest ist verstreut.

Oder verschleppt.

Oder tot.

Zwei Wochen später kommt eine weitere Familie zurück, die von Sheli Hazan. Länger haben sie es dann doch nicht fern ihrer Gemeinschaft ausgehalten.

Im September steht Miguel Auerbach auf der Bühne eines kleinen Theaters in Jerusalem. Er trägt den Schlussmonolog seines Stücks vor, er hat ihn selbst geschrieben:

“Ich bin mit 20 Jahren und einem braunen Koffer hier angekommen. Die Hütte, die Erde, die weite Landschaft, Freiheit, all das bindet mich an diesen Ort. Ich will nach Hause, will nach Hause, nach Hause.”

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