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Landtagspräsident: Das lädierte Parlament: Das sind die Lehren aus dem Thüringer Wahldrama

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Nein, die AfD hat den Thüringer Landtag doch nicht erobert, das Parlament wählte einen CDU-Präsidenten. Doch der Weg dorthin war skandalös – und das lag nicht nur an der Höcke-Fraktion.

Da steht er nun, überhäuft mit Blumensträußen und Erleichterung: Thadäus König, 42 Jahre alt, promoviert, katholisch, Familienvater, CDU-Mitglied, Landtagsabgeordneter – und seit diesem Samstag, 10.46 Uhr, Präsident des Thüringer Parlaments. 

Er hat damit das protokollarisch höchste Amt im Land inne. Er führt die Verwaltung des Landtags, steht dem Ältestenrat vor, lädt zu Sitzungen ein und dürfte demnächst die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten leiten. Und er wird Thüringen nach innen und außen repräsentieren. 

Es ist also kein trivialer Posten, den König jetzt innehat. Und es ist gut, dass er nicht von einem AfD-Politiker oder gar einer vorbestraften Extremistin besetzt wird.

27: Landtagskrise CDU erfolgreich beim Verfassungsgericht – 7ea9598c8a2fb3a8

Dennoch ist das Ansehen des Thüringer Parlaments in den vergangenen Tagen stark beschädigt worden – zuallererst von der AfD, aber eben auch von den anderen Fraktionen. Die hässlichen Szenen der abgebrochenen Sitzung vom Donnerstag werden lange nachhallen. 

Die von Björn Höcke geführte Landtagsfraktion besaß eine klar erkennbare Strategie. Sie lautete: Wenn schon die Mehrheit des Landtags erkennbar nicht gewillt ist, die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal zu wählen, so sollte doch so viel politischer Profit wie möglich herausgeschlagen werden – und dies auf Kosten der anderen Parteien und der demokratischen Institutionen. 

Ziel war es, die alte Opfererzählung zu stärken, von der armen, ach so demokratischen AfD, die von einem diktatorisch agierenden Parteien-Kartell unterdrückt werde – das, na klar, den wahren Volkswillen missachte. 

Die Mittel zum Zweck für die AfD

Für diesen Zweck besaß Höcke zwei Mittel. Erstens die Geschäftsordnung des Landtags, die das alleinige Vorschlagsrecht für den Präsidenten der größten Fraktion, also der AfD, zubilligte. Und zweitens, halb mit Plan, halb mit Glück, einen parteieigenen Alterspräsidenten, der das Vorschlagsrecht so weit nur möglich durchsetzen sollte.

Die anderen Fraktionen hatten sich ebenso vorbereitet. Ihr Mittel: die gemeinsame Mehrheit von 56 der 88 Abgeordneten.Liveblog Landtag Thüringen

Doch das Ergebnis war, leider, ein schlechter Plan, der umso schlechter exekutiert wurde. Anstatt bis zur Wahl des Landtagspräsidenten zu warten, um die AfD-Kandidatin durchfallen zu lassen und in späteren Wahlgängen – notfalls über eine Eilanordnung des Landesverfassungsgerichts – einen eigenen Kandidaten zu wählen, beantragten sie die Änderung der Geschäftsordnung, um das alleinige Vorschlagsrecht der AfD zu tilgen.

Dabei war das Herumschrauben an den Regeln schon keine gute Idee, als vor einigen Monaten darüber diskutiert wurde. Doch immerhin hätte da das alte Parlament die Geschäftsordnung noch rechtssicher und in aller gebotenen Ruhe anpassen können. Jetzt aber, direkt vor dem Wahlakt?

Thüringer Landtag: Größtmöglicher Schaden erzeugt

Damit wurde von der AfD bewusst genährte Verdacht, dass sich eine Mehrheit interessegeleitet an einem stets geachteten Minderheitenrecht vergreift, unfreiwillig bestätigt. Und es bot der Partei die Gelegenheit, mittels ihres Alterspräsidenten einen möglichst großen Schaden zu erzeugen.

Das mehrstündige Chaos vom Donnerstag hat den Ruf Thüringens und seines Landtags zusätzlich ruiniert. Nachdem CDU und FDP im Winter 2020 blindlings in die Falle der AfD liefen und gemeinsam mit Höckes Leuten den Liberalen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählen, ließen sie sich offen vorführen. Es war unklug, die Rede des Alterspräsidenten immer wieder rüde zu unterbrechen, so unerträglich die von ihm verbreitete Propaganda auch war.

Der einzige Vorteil war: So zeigte die AfD noch deutlicher ihr hässliches, aggressives und destruktives Gesicht. Der Alterspräsident, der ein reines Ehrenamt ohne jede Legitimation besitzt, führte sich auf wie ein ferngesteuerter Amateurtyrann. Jene AfD-Politiker, die ihn lenkten, standen sogar phasenweise neben ihm auf dem Podium.

Die Selbstermächtigung des Alterspräsidenten

Die AfD überdrehte – und lieferte damit zusätzliche Beweismittel für das Verfassungsgericht in Weimar, das die CDU erwartungsgemäß anrief. Die Eilentscheidung, die am späten Freitagabend eintrudelte, konnte da nicht mehr überraschen.

Das Gericht beendete die Selbstermächtigung des Alterspräsidenten und verpflichtete ihn dazu, das Parlament über seinen Konstituierungsprozess selbst entscheiden zu lassen. Das oberste Verfassungsorgan des Landes war wieder souverän. Es konnte sich mit Mehrheit neue Regeln geben und dann mit Mehrheit einen Präsidenten wählen.

Natürlich lässt sich weiter über die Frage streiten, ob ein Parlament, das beschlussfähig ist, schon seine Geschäftsordnung beschließen kann oder erst mit der Wahl des Präsidenten die volle Arbeitsfähigkeit herstellen muss. Aber die Entscheidung des Gerichtshofes in Weimar ist zu respektieren. Zum einen ist sie gut begründet. Zum anderen verlangt dies das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung.

Und Höcke gratuliert

Im Landtag verhielt sich die AfD am Samstag betont korrekt. Der Alterspräsident arbeitete die Anweisungen des Verfassungsgerichts ab, die Wahl König verlief überaus gesittet. Am Ende gratulierte Höcke dem neuen Präsidenten, und der Präsident gab ihm die Hand.

Dass die AfD in der Öffentlich dennoch das Gericht angreift, war nicht anders zu erwarten. So systematisch sie das Vertrauen in Briefwahlen, parlamentarische Abläufe oder Verwaltungsprozesse untergräbt, so konsequent schürt sie Zweifel am Rechtsstaat. Wahl Landtagspräsident Thüringen 16:48

Die Lehre aus all dem? Die AfD lässt sich nicht wegkämpfen oder wegregulieren. Dieser Befund stimmte schon, als sie noch deutlich schwächer war. Nun, da sie in einem Landesparlament die stärkste Fraktion stellt und in zwei Landtagen die Sperrminorität besitzt, lässt er sich nicht mehr ignorieren. 

Es wäre falsch, eine in Teilen extremistische Partei an der Regierungsmacht zu beteiligen oder ihr die Leitung eines Parlaments zu übertragen. Sie würde dadurch nicht entzaubert oder gar gemäßigt, sondern bekäme nur noch mehr Möglichkeiten, das System auszuhöhlen. 

Die Abgrenzung bleibt daher richtig. Doch die reine Ausgrenzung schadet dem Ansehen der Demokratie und nützt am Ende nur der AfD. Und sie lässt sich wegen der Sperrminorität in Thüringen und Brandenburg auch kaum durchhalten, von den Kommunen ganz zu schweigen.

Hier eine neue Balance zu finden, wird die schwierige Aufgabe der nächsten Monate sein. Der Vorwahlkampf um den Bundestag hat bereits begonnen.

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