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stern-Chefredakteur: Was haben Olaf Scholz und Friedrich Merz gemeinsam?

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Selbstüberzeugung allein wird nicht reichen, um das Kanzlerduell für sich zu entscheiden. Denn davon haben beide Kandidaten reichlich. Dies und mehr im aktuellen stern.

Nun steht es wohl fest, das Kanzler-Duell: Olaf Scholz gegen Friedrich Merz. Was die Männer gemein haben? Sie strahlen nicht. Sie sind beide keine “Yes, we can”-Kandidaten. Sie sind “Okay, aber”-Kandidaten.

Olaf Scholz ist mächtiger Bundeskanzler, aber wie viel Macht hat er noch? Die Umfragewerte schwanken, ob null Prozent oder doch drei Prozent der Bürger seiner Ampelregierung noch etwas zutrauen. Den Wahlabend in Brandenburg, der bei einer SPD-Niederlage die Kandidatendebatte in der SPD noch einmal angeheizt hätte, hat Scholz überlebt – weil er sich rausgehalten hat. Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte sich jede Unterstützung durch den Kanzler verbeten.

Friedrich Merz von der CDU sieht die Welt aus 1,98 Meter Höhe. Aber er fühlt sich oft noch weiter weg von den Menschen, vermutlich sitzt er daher so gern im Privatflugzeug. Merz hat die Gabe, allen Menschen die Welt zu erklären, selbst wenn er keineswegs alles von dieser Welt gesehen hat. Einen Tag regiert hat der Sauerländer noch nicht, und er ist nicht einmal der beliebteste mögliche Kanzlerkandidat in seiner Partei.

Was die Kandidaten Scholz und Merz noch verbindet? Sie bauen nicht das auf, was Jürgen Leinemann, legendärer “Spiegel”-Reporter, einmal definiert hat als den Wärmestrom oder Energiefluss zwischen einem Politiker und den Wählern. Kommt dieser Strom nicht in ausreichender Kraft zustande, hat dieser Politiker keine Chance auf Mehrheiten. Woidke hat vorgemacht, wie das geht. Mit seiner Ankündigung, nur im Amt zu bleiben, wenn er vor der AfD lande, hat er Wärme erzeugt, vielleicht gar Hitze, in jedem Fall Energie.

Von Staatsversagen kann keine Rede sein

Nun droht das Schlimmste: dass zwei Männer, die nur sich gelten lassen, in ihrer Selbstüberzeugtheit vor allem den anderen besiegen wollen. Scholz raunt von Merz’schen Charaktermängeln und dessen angeblichen Abbruchplänen für das Land. Merz wiederum lässt keinen Zweifel daran, wie sehr er den Politiker Scholz verachtet und die Ampelregierung und den Zustand des Landes gleich mit.

Was bei so viel Düsternis auf der Strecke bleiben und Auswandererfantasien befeuern könnte eine Betrachtung unserer Stärken, Schwächen und Herausforderungen. Wir brauchen offene Debatten über notwendige Reformen, die erst von Merkels Union, dann von der Ampel verschleppt wurden. Wer aber daran erinnert, dass wir in Deutschland noch starke Institutionen und Grundlagen haben, um die uns viele beneiden, stemmt sich nicht automatisch gegen Reformen. Wer in Deutschland das “Staatsversagen” ausruft, hat ohnehin noch nie ein Land gesehen, in dem der Staat wirklich versagt. Albert Einstein hat einmal gesagt: “Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.” Darum müssen Wahlkämpfe kreisen.

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Zu diesen Stärken gehören übrigens erstklassige Nachwuchsunternehmer, wie die Ergebnisse des Deutschen Gründerpreises zeigen, den der stern gemeinsam mit Porsche, Sparkassen und dem ZDF auch in diesem Jahr ausgerichtet hat. Wir durften engagierte Frauen und Männer auszeichnen, etwa Estefanía Lang und ihr Team, die den Hautarzt-Besuch per App ermöglichen. Die Brüder Nathanael und Johannes Laier, die eine KI entwickelten, mit der sich die Recyclingquote von Plastikmüll deutlich erhöhen lässt. Lesen Sie die Kurzporträts aller Preisträgerinnen und Preisträger.

Mein Kollege Hannes Roß konnte Regie-Legende Francis Ford Coppola interviewen, was mich vor Neid fast platzen lässt, denn ich halte Coppola, auch wenn er umstritten ist, für einen visionären Künstler. Ich schätze den Schöpfer von “Der Pate” oder “Apocalypse Now” schon für die denkwürdigen Sätze, die er in seine Interviews einstreut, gegenüber Roß etwa: “Kunst ohne Risiko funktioniert nicht, das ist, als wollte man Babys machen, ohne Sex zu haben.”  Oder in einem anderen Medium: “Wenn man losgelöst von der Zeit leben und sie beherrschen will, wird man Künstler. Wer von der Zeit beherrscht werden will, wird Anwalt.” Tut mir leid, liebe Anwälte.

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