Viele Rüganer sind sich einig: Es braucht kein LNG-Terminal vor oder auf Rügen. Sie fürchten um die Umwelt und den Tourismus. Können der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister sie überzeugen?
Pläne der Bundesregierung für ein Flüssigerdgas-Terminal am Standort Rügen sorgen seit Monaten für Widerstand auf der Insel. Am Donnerstag wollen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) persönlich vor Ort die Wogen glätten. Zu einem Treffen mit Vertretern von Gemeinden, aus der Wirtschaft und von Verbänden in Binz (17.00 Uhr) hat sich auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) angekündigt. Von der Bundesregierung wird vor allem der Nachweis eines tatsächlichen Bedarfs für das Terminal erwartet.
Unter dem Eindruck der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine treibt die Bundesregierung den Aufbau einer eigenen Importstruktur für Flüssigerdgas (LNG) energisch voran. So sollen ausbleibende Gaslieferungen aus Russland ersetzt werden. In kürzester Zeit wurden Importterminals gebaut – an der Nordsee, aber auch in Vorpommern. In Lubmin eröffneten Schwesig und Scholz bereits Mitte Januar ein privatwirtschaftlich betriebenes Terminal.
Als weiteres Ostsee-Terminal soll vor oder an Rügens Küste ein vom Bund gechartertes schwimmendes Spezialschiff zur Anlandung und Regasifizierung von LNG zum Einsatz kommen. Die Gegner auf der Insel sehen dadurch die Umwelt und den für die Insel besonders wichtigen Tourismus bedroht. Seit Monaten ziehen sie alle Register: Demos, Umfragen, eine Bundestagspetition, Erklärungen und Briefe nach Berlin, die nach ihren Aussagen bis zuletzt unbeantwortet blieben.
Davon ungeachtet hat der Bund zuletzt weiter Tatsachen geschaffen. Erst am Montag war bekannt geworden, dass die Bundesregierung nicht verbaute Röhren der deutsch-russischen Ostseegaspipeline Nord Stream 2 für das LNG-Terminal gekauft hat. Nach früheren Angaben der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern lagern in Sassnitz auf Rügen Nord-Stream-2-Rohre mit einer Gesamtlänge von 60 Kilometern.
Unterdessen ist noch unklar, wo genau die Bundesregierung ihr schwimmendes Terminal einsetzen will. Von einem Standort rund fünf Kilometer vor Sellin war die Bundesregierung nach vehementem Widerstand abgerückt. In der Diskussion ist auch der Hafen von Mukran oder ein Standort weiter draußen auf der Ostsee. “Die Standortentscheidung soll so schnell wie möglich gefällt werden”, hatte das Bundeswirtschaftsministerium erst kürzlich mitgeteilt.
Das Terminal soll im vorpommerschen Lubmin an das Gasfernleitungsnetz angebunden werden. Hier treffen mehrere Leitungen aufeinander, die ursprünglich zig Milliarden Kubikmeter Gas aus den deutsch-russischen Pipelines Nord Stream 1 und 2 verteilten. Von hier kann Gas untere anderem nach Süddeutschland weitergeleitet werden. LNG-Infrastruktur an der ostdeutschen Küste schafft laut Bundeswirtschaftsministerium auch Importmöglichkeiten für mittel- und osteuropäische Nachbarn, die bislang durch russisches Gas versorgt wurden und diese Mengen ebenfalls kompensieren müssen.
Kritiker sprechen hingegen von nicht benötigten Überkapazitäten. Die Gespräche in Binz dürften nicht einfach werden. Gemeinden im Südosten der Insel sprachen vorab von einem längst überfälligen Dialog. Ihre ablehnende Haltung zu dem Vorhaben sei weiterhin unverändert. Erst am Vorabend der Gespräche warnten Vertreter des Bäderverbandes vor möglichen Negativfolgen. Den Ostseebädern drohe mit den Terminals die Aberkennung ihres Status. Dies hätte drastische Folgen für den Tourismusstandort Rügen, hieß es in einer Mitteilung.