Home » Twitter: “Wenn wir damit Geld verlieren, ist das so” – Elon Musk will Hassrede nicht löschen und setzt alles aufs Spiel

Twitter: “Wenn wir damit Geld verlieren, ist das so” – Elon Musk will Hassrede nicht löschen und setzt alles aufs Spiel

Von

Finanziell geht es Twitter nicht gut. Selbst Elon Musk gab das mehrfach zu. Dennoch ist Geld für ihn nicht alles, was bei Twitter ins rechte Lot gebracht werden muss.

Das bisherige Twitter-Chaos und Elon Musks teils radikale Ansichten führten kurz nach seiner Übernahme des Kurznachrichtenportals dazu, dass zahllose Werbekunden der Seite zunächst den Rücken kehrten. Zu unsicher war der Kurs, auf den Musk sein neuestes Projekt brachte. Musk bestätigte die Abtrünnigen in ihrer Abkehr, indem er so manche Firma öffentlich an den Pranger stellte.

Inzwischen hat sich die Lage etwas entspannt. Der “BBC” sagte Musk, dass man finanziell etwa auf Null komme und die meisten Werbekunden zurückgekehrt seien.

Die finanzielle “Erholung” ist dabei kein Wunder: Von ursprünglich 8000 Mitarbeitenden sind nur noch 1500 übrig, an vielen Standorten zahlt das Unternehmen keine Mieten mehr und lässt Rechnungen unbezahlt liegen. Selbst das Hauptquartier blieb von den Sparmaßnahmen nicht verschont. Große Teile der Innenausstattung wurden via Auktion abgestoßen, Dienstleistungen wie Hausmeisterservice oder Gebäudereinigung kündigte Twitter auf. Vom einstigen Glanz ist wortwörtlich nicht mehr viel übrig.

Elon Musk will keine Einmischung in die Twitter-Politik

Die Einschränkungen werden wohl auch weiterhin nötig sein, damit sich Twitter über Wasser halten kann. Denn mit weit offenen Armen empfängt Musk seine Werbekunden auch künftig nicht – selbst wenn er darauf eigentlich angewiesen ist. Vor dem Kauf machte Werbung rund 90 Prozent der Einnahmen von Twitter aus. Es wäre überraschend, wenn das Blaue-Häkchen-Programm “Blue” davon einen nennenswerten Anteil übernehmen könnte.

FS Elon Musk 17.01

Was aber die Bedenken der Werber, Twitter könne zu radikal sein, angeht, spielt der Tech-Milliardär mit offenen Karten. In einem Gespräch mit Linda Yaccarino, Vorsitzende für globale Werbung und Partnerschaften bei NBCUniversal, sagte er laut “Wall Street Journal“: “Es ist völlig in Ordnung zu sagen, dass Sie Ihre Werbung an bestimmten Stellen auf Twitter anzeigen lassen wollen und an anderen Stellen nicht. Aber es ist nicht in Ordnung zu sagen, was Twitter tun soll. Und wenn das bedeutet, dass wir Werbedollar verlieren, dann verlieren wir sie. Aber die Redefreiheit hat Vorrang.”

Musk kommunizierte von Anfang an, dass er Twitter zu einem “Marktplatz der Redefreiheit” machen wolle, der auch “unbequemen” Meinungen Raum bietet. Gemeint ist damit allem voran sogenannte Hassrede, die vor seiner Übernahme durch ein großes Moderationsteam in Schach gehalten wurde, nun aber relativ ungestört verbreitet werden kann.

Musk erklärt sein Ziel wie folgt: “Wir versuchen hier einen vernünftigen Mittelweg zu finden, wir versuchen also, eine Reihe von Dingen zu erfüllen, nämlich sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit ihre Stimme hat, aber auch, dass Werbekunden in der Lage sind, ihre Marken zu bedienen und die Wahrnehmung ihrer Marken zu verbessern, und auch ihren Umsatz.”

Für viele ehemalige Kunden, die laut “Wall Street Journal” bisher nicht zurückgekehrt sind, reicht die Argumentation vermutlich nicht. Demnach sollen 37 der ehemals 100 Topkunden seit der Übernahme von Musk keinen Cent mehr bezahlt haben. Weitere 24 hätten ihre Ausgaben um mindestens 80 Prozent gekürzt.

STERN PAID IV Jack Sweeney Flugdaten Musk und Putin 16.50

Da hilft es wenig, dass Musk erklärte, auch künftig keine Hassrede löschen zu wollen. Seine Politik lautet unverändert “Redefreiheit, aber keine Reichweitenfreiheit”. Das bedeutet, dass man auf Twitter zwar alles sagen darf, aber niemand garantiert, dass es auch jemand liest. Oder anders: Statt Inhalte zu löschen, werden sie auf der Plattform quasi unsichtbar gemacht. Auffindbar sind sie trotzdem. Laut Musk entspricht das auch dem restlichen Internet.

Regierungen bestehen auf Moderation

Dabei vergisst er, dass er als Betreiber einer Plattform wie Twitter in vielen Ländern eine Verantwortung dafür hat, was man dort findet. Tatsächlich sind bestimmte Inhalte schlicht illegal, sodass sie entfernt werden müssen. Nicht wenige Regierungen, darunter auch die EU, pochen auf eine rasche Entfernung potentiell rechtswidriger Beiträge. Die Strafen bei wissentlichen Verstößen können sehr hoch sein – in der EU bis zu sechs Prozent des jährlichen Umsatzes.

Vor diesem Hintergrund wird es künftig weiterhin ein Spagat werden, rückläufige Einnahmen und aufgelaufene Kosten in Einklang zu bringen. Während so mancher Werber das wackelige Twitter-Terrain eher meidet, stehen auf der Kostenseite zahllose Klagen entlassener Mitarbeiter und Forderungen von Gläubigern an, deren Rechnungen Twitter ignoriert hat oder aufschiebt. 

Wie man daraus ein florierendes Unternehmen für Freigeister aller Art machen will, weiß wohl nur Musk selbst. Sein Ziel, einen ertragreichen Meinungsmarktplatz zu betreiben, ist jedenfalls vielen Gefahren ausgesetzt – ob nun finanzieller oder regulatorischer Art.

Lesen Sie auch:

Elon Musk räumt Twitter-Zentrale leer: Stühle, Kaffeemaschinen und blaue Vögel kommen unter den Hammer

Elon Musk wirft seinen Privatjet-Stalker bei Twitter raus – und will den Studenten vor Gericht zerren

Musk ignoriert Ergebnis seiner Rücktritts-Abstimmung – und wittert eine Verschwörung

VERWANDTE BEITRÄGE