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Pazifik: Wohnen wie auf einem Floß – Müll im Meer wird zum dauerhaften Lebensraum für Tiere

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Der Pazifik wird von einem gigantischen Müllstrudel verschmutzt. Doch manche kleine Lebewesen schaffen es, den Abfall als neue Heimat zu nutzen. Das zeigt eine Studie.

Der Effekt wirkt ein bisschen so, wie man ihn von versunkenen Schiffen kennt: Auf dem von Menschen produzierten Schrott siedeln sich nach einiger Zeit Meeresbewohner an.

US-Forscherinnen und Forscher haben jetzt in einer Studie nachgewiesen, dass im Plastikmüll, der im Pazifik treibt, neuer Lebensraum für eine Reihe kleiner Tiere entstanden ist, die normalerweise nicht im offenen Meer zu Hause sind: Im Abfall des nördlichen Pazifischen Ozeans, zwischen Kalifornien und Hawaii, wiesen sie insgesamt 37 wirbellose Arten nach, wie sie in dieser Woche in einem Artikel in der Fachzeitschrift “Nature Ecology and Evolution” beschreiben. Insgesamt fanden sie in mehr als zwei Drittel des Unrats aus dem massiven Müllstrudel, der auch als “Great Pacific Garbage Patch” bekannt ist, Küstenlebewesen.

Darüber, dass sich im Müll der Ozeane Tiere ansiedeln, wird seit ein paar Jahren immer wieder berichtet. Die Forschergruppe um Linsey Haram vom Smithsonian Environmental Research Center in Edgewater ging diesem Effekt jetzt genauer nach und zeigte, dass die Arten in der Lage sind, lange auf dem schwimmenden Abfall zu überleben und sich teilweise sogar fortzupflanzen. Die Tiere erobern demnach dauerhaft den Lebensraum Müll im Meer.STERN PAID 06_23 Mythen über Erdbeben 19.55

Der offene Pazifik ist unter normalen Umständen kein Lebensraum für Küstentiere

Wie auf Flößen treiben die Organismen durch die Ozeane, die sie sonst niemals besiedeln könnten. Normalerweise benötigen sie einen Untergrund oder – wie im Falle von Anemonen – einen festen Halt, wie beispielsweise Sediment oder Felsen. Auch Nahrung ist normalerweise im Freiwasser rar.

Zu den Lebewesen, die von Haram und ihrem Team auf dem Müll im Ozean nachgewiesen wurden, zählten unter anderem wirbellose Schalentiere wie beispielsweise kleine Krebse, Weichtiere wie Anemonen und moosähnliche Kreaturen, die Bryozoen genannt werden. Die ursprüngliche Heimat dieser Tiere waren den Forscherinnen und Forschern zufolge sehr weit entfernte Küstenregionen, beispielsweise in Japan. In ihrer neuen Umgebung auf dem Abfall im Ozean ernährten sie sich von Schleim aus Bakterien und Algen, den sie auf dem Plastikmüll fanden.

Angedockt an Plastikflaschen, Behältern und anderem Zivilisationsmüll schafften es die Organismen, für sich auf diese Weise neue Lebensräume zu erschließen.

Auch der Tsunami brachte etliche Tierarten in neue Regionen

Einen ähnlichen Effekt hatten die Wissenschaftler nach dem Tsunami in Japan von März 2011 beobachtet, wie es in der Studie unter anderem heißt: Damals seien Unmengen an Schutt und Sediment ins Meer gespült worden und mit den Meeresströmungen über weite Strecken des Ozeans getrieben. In der Folge habe man insgesamt 381 Küstentierarten aus Japan zwischen 2012 und 2017 in Nordamerika und auf Hawaii nachweisen können.

Auch die Wanderung von Lebewesen im Schlepptau der Zivilisation ist nichts Neues. Man kennt sie von Pflanzen an Land, Insekten und sogar Säugetieren, wie etwa dem Waschbär, der sich mittlerweile auch in Deutschland angesiedelt hat. Solche Arten reisen mit den unterschiedlichsten Mitteln an neue Orte – in Schiffen oder Flugzeugen, an Autoreifen oder sie werden bewusst von Menschen transportiert. Die Neuankömmlinge können problematisch sein, wenn sie heimische Arten verdrängen und Ökosysteme durcheinander bringen.

Seltene Tiere, die kaum jemand kennt 6.20

Wie sich die Verbreitung von Küstentieren auf dem Ozean auf die dortigen Ökosysteme auswirkt, ist noch nicht erforscht. Generell ist der Müll im Meer jedoch ein massives Problem – nicht nur, weil Mikroplastik in die Nahrungsketten gelangt. Auch sterben viele Tiere, weil sie sich im Unrat verfangen oder ihn fressen. Der “Great Pacific Garbage Patch” oder Pazifische Müllstrudel ist allein durch seine geschätzte Größe berühmt-berüchtigt: Er ist Berichten zufolge etwa viereinhalbmal so groß wie Deutschland.

Quellen: “Nature Ecology and Evolution“, “Wissenschaft.de” / mit Material von AFP

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