Der Tango ist ein sehr erotischer Tanz – das weiß auch Konstantin. Dass seine Freundin Eva ihn intensiv als Hobby betreibt, macht ihn daher sehr eifersüchtig. Zu Recht?
Liebe Frau Peirano,
ich habe vor zwei Jahren eine Frau (Eva) kennen gelernt, mit der ich mich so gut verstehe wie noch mit keiner Frau bisher. Sie ist sehr attraktiv, sexy, selbstbewusst, witzig und charmant. Und noch vieles mehr.
Mein Problem ist, dass Eva Tango tanzt und ich eifersüchtig bin. Sie tanzt seit zehn Jahren ziemlich intensiv, geht auf viele Tanzveranstaltungen (Milongas) und ihr halber Freundeskreis besteht aus Tangotänzer:innen.Peirano Patchwork mit der bipolaren Ex 21.10
Da sie auch international tanzt und dann immer mal für ein Wochenende auf ein Festival oder einen Encuentro geht, lernt sie dann auch viele neue Leute kennen, tanzt mit denen, teilt sich auch mal ein Zimmer oder eine Wohnung.
Eva geht eigentlich sehr offen mit der Situation um und bezieht mich auch ein. Ich kenne einige ihrer Freundinnen und Freunde vom Tango, wir sprechen offen darüber und sie hat auch Verständnis für meine Eifersucht. Sie ist manchmal genervt und fühlt sich eingeengt, aber sie sagt auch deutlich, dass sie kein Leben ohne Tango führen möchte.
Ich denke, dass viele Leute bei Tango eine Art Grenze sehen – man kommt sich ja sehr nah dabei, hält den anderen im Arm, riecht sich, flirtet oder erlebt Erotik. Und ich liege oft nachts wach, wenn ich weiß, dass sie gerade in Istanbul, Barcelona oder Neapel unterwegs ist und mit fremden Männern tanzt. Oder auch einfach nur bei uns in Berlin tanzen geht und dann nachts zu mir ins Bett kommt und nach vielen anderen Männern riecht. Mich verletzt das.
Eva hat Verständnis für mich und sie hat mich auch gefragt, ob ich einfach mal mitkommen will und mir das anschaue oder selbst mal einen Anfängerkurs machen will. Aber ich bin kein Tänzer und außerdem wäre das dann noch schlimmer für mich, wenn ich direkt sehe, was Eva macht. Sie ist eine sehr gute Tänzerin und ich möchte gar nicht sehen, wie sie dann in den Armen anderer Männer liegt und dahin schmilzt. Das verdränge ich auch ein bisschen.
Und ihr den Tango zu verbieten – oder auszureden – würde überhaupt nicht klappen. Tanzen ist ihre Leidenschaft, und ich weiß vom Kopf her, dass man niemandem etwas nehmen sollte, was er liebt, weil man dann nicht mehr mal selbst ist. Ich spiele in einer Band und würde es auch nicht okay finden, wenn meine Partnerin mir das nehmen würde. Aber das ist halt etwas völlig anderes, denn ich liege da nicht in den Armen anderer Frauen, sondern stehe hinter meinem Schlagzeug.
Haben Sie Tipps für mich, wie ich meine Eifersucht in den Griff bekommen kann?
Viele Grüße
Konstantin B.
Lieber Konstantin B.,
ich kann gut verstehen, dass es für Sie nicht leicht ist, dass Ihre Freundin so intensiv Tango tanzt und dabei – wie es nun einmal beim Tango üblich ist nthe pri- andere Männer im Arm hält und mit ihnen die Musik genießt und mitunter auch erotische Gefühle hat.
Es gibt ja in jeder Epoche und jeder Gesellschaft bestimmte Regeln und Vorgaben dafür, was schicklich ist: Wie man sich kleiden darf und was zu aufreizend ist. Wie man andere Menschen (insbesondere die vom anderen Geschlecht) berühren darf und wie nicht.
Und Tango sprengt in vielerlei Hinsicht den Rahmen, da zwei Menschen sich ohne Vorgeplänkel intensiv in den Armen halten und Wange an Wange, Lippen am Ohr des anderen (wenn das mit der Größe hinhaut) miteinander sich zur Musik bewegen.BIo Julia Peirano
Das sieht erst einmal sehr erotisch und intim aus, und ich weiß, dass es für viele Partner*innen sehr schwer ist, das mit anzusehen oder es sich vorzustellen.
Und es ist auch für viele Menschen, die mit dem Tango selbst gerade anfangen, am Anfang sehr aufregend, verwirrend und beängstigend, fremden Tänzer:innen so plötzlich so nahe zu kommen. Ein Blick, ein Nicken, und schon liegt man sich in den Armen.
Doch den Tango gibt es schon seit über 100 Jahren und auch das Problem mit der Eifersucht ist auch seit über 100 Jahren eine Begleiterscheinung vom Tango.
Deshalb gibt es in jeder Tango-Community bestimmte Verhaltensregeln, damit weder körperlich noch emotional Chaos ausbricht. Man lernt, wie und wo man sich umarmen darf – und was zu nah ist. Man verständigt sich darüber, wie man auffordert und wie man jemanden abweist, mit dem man nicht tanzen möchte. Und es ist auch geregelt, wie lange man mit jemandem tanzt.
Auf Tanzveranstaltungen ist es üblich und erwünscht, dass man dauernd die Partner wechselt und nicht den ganzen Abend mit einer Person tanzt. Deshalb kommt in der Regel nach vier Tangos eine Zwischenmusik und die Tanzfläche leert sich, damit jeder sich eine*n neue*n Tänzer*in suchen kann. Das verhindert, dass man sich zu sehr auf eine Person fokussiert und zu große Intimität aufbaut. Man lernt beim Tango, schnell Nähe zuzulassen, aber genauso schnell auch wieder loszulassen. Denn der Tango ist ein sozialer Tanz, bei der man mit vielen tanzt und nicht nur mit einem.
Ihre Freundin tanzt bereits seit zehn Jahren. Das heißt, dass sie garantiert gelernt hat, mit der schnellen Nähe und dem Loslassen und Wechseln beim Tango umzugehen. Und wahrscheinlich gerät sie nicht mehr so schnell aus der Fassung, wenn es mal beim Tango mit jemandem ein bisschen knistert. Schließlich weiß man: Nach zwölf Minuten ist der schöne Zauber auch wieder vorbei. Auch damit lernt man umzugehen.
Wie wäre es, wenn Sie da bei Ihrer Freundin noch einmal genauer nachfragen? Oft gibt es ja bestimmte Horrorfantasien, die man sich vorstellt und die Angst oder Unbehagen erzeugen. Zum Beispiel: Die Freundin geht tanzen, trifft einen besonders attraktiven Mann, tanzt den ganzen Abend nur mit ihm und dann geht sie mit ihm ins Bett – oder verliebt sich.
Das kann natürlich passieren, so wie es überall passieren kann: Bei der Arbeit, auf einer privaten Feier, im Sportverein. Aber beim Tango geht es doch stärker um die Gemeinschaft und die Gruppe – und das fängt einiges an Erotik, die auf einen bestimmten Mann gerichtet ist, ab. Man könnte auch sagen: Tangotänzer haben sich an das erotische Grundrauschen und die plötzliche Nähe mit Fremden gewöhnt und bleiben da gelassen.
Man könnte auch sagen: Wer wie ihre Freundin seit zehn Jahren tanzt und gewohnt ist, fremde Männer im Arm zu halten, gerät da nicht mehr so leicht in Wallung. Und schon gar nicht außer Kontrolle.
Wie unterhalten Sie und Eva sich eigentlich darüber, was sie auf den Tanzevents erlebt? Haben Sie durch Beschreibungen oder Fotos (zum Beispiel Facebook, Instagram) einen Einblick, mit wem sie sich unterhält, eine Wohnung oder ein Zimmer teilt? Wissen Sie, worum es ihr genau geht beim Tanzen? Bezieht Eva Sie in den Erzählungen mit ein und teilt ihre Erlebnisse und Gefühle oder gibt es sofort Spannungen, wenn sie davon erzählt? Werden Sie auch in einige Entscheidungen mit einbezogen – zum Beispiel wann sie wegfährt – und ist das für Sie so in Ordnung? Oder haben Sie den Eindruck, dass Sie übergangen werden, wenn es ums Tanzen geht?
Und ganz wichtig: Wie ist Evas (und Ihre) Wertvorstellung von Treue? Haben Sie den Eindruck, dass Eva ähnliche Vorstellungen hat wie Sie? Oder gibt es da Unsicherheiten? Hat Eva z.B. schon einmal während einer Beziehung eine Affäre gehabt oder ist sie einem One-Night-Stand gegenüber offen eingestellt?
Ich würde Ihnen raten, diese Einstellung zur Treue ganz klar vom Tango zu trennen. Denn beim Tango geht es zwar um Erotik und das gemeinsame Tanzen zu sinnlicher Musik, aber es ist kein Freifahrtschein für Sex! Einige Menschen handhaben das zwar so, aber das kann man auch bei der Arbeit, auf Tinder oder im Sportverein erleben.
Wahrscheinlich wird Ihre Eifersucht durch Gespräche nicht komplett verschwinden, aber einige Filme des Kopfkinos werden sich vielleicht doch positiv verändern, wenn Sie mehr über die Tangoszene per se wissen und auch darüber, wie Eva mit der Tangowelt umgeht.
Ich würde Ihnen empfehlen, sich in diese doch recht fremde und für Sie mitunter befremdliche Welt heranzutasten und zu schauen, wie das auf Sie wirkt.
Vielleicht werden dann auch einige Rahmenbedingungen und Absprachen klarer, die Ihnen beiden helfen, mit der Situation umzugehen, dass Ihre Freundin eine Tangotänzerin ist.
Ich wünsche Ihnen einen intensiven Austausch!
Herzliche Grüße
Julia Peirano